Victor hörte den Argumenten der Anderen mit wachsendem Unmut zu. Womöglich lag es an seiner eigenen Geschichte, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass es so einfach war, wie die anderen sich das vorstellten.
"Nun gut. Dass die Opfer die Strafe selbst bestimmen, ist vermutlich wirklich keine gute Idee. Allerdings warne ich dringend davor, einzelne Banditen freizulassen oder gar mit uns mitzunehmen. Vielleicht ist mein Menschenbild zu negativ, aber glaubst du wirklich," - das sagte er zu Tian gewandt - "dass ein freigelassener Bandit freiwillig Meldung bei den Schwertjunkern erstattet und nicht die Gelegenheit ergreift, das Weite zu suchen? Und was hindert ihn dann daran, sich wieder seinen Kumpanen anzuschließen? Was passiert, wenn er in Zukunft unschuldige Reisende überfällt und womöglich sogar tötet? Klebt deren Blut dann nicht an unseren Händen?"
Varis und Calxu dagegen stimmte er zu: "Wenn wir sonst kein Urteil fällen wollen, müssen wir sie hier einsperren. Was ich noch weniger tun würde als sie einfach freizulassen, wäre, sie mit zum Unterschlupf zu nehmen. Sicher könnten sie uns helfen, aber sie könnten uns genauso gut - und ich halte das für wahrscheinlicher - in irgendeiner Weise verraten. Möglichkeiten dazu gäbe es genügend.
Was die beiden anderen betrifft. Das einstimmige Urteil scheint zu sein, dass sie nicht bereuen. In diesem Fall ist das Gesetz eindeutig; und auch wenn es mir keine Freude bereiten würde, wäre ich bereit, es auch zu vollstrecken. Wobei der Strick als Strafe in meinen Augen die passende wäre."
In der Frage, wie sie weiter vorgehen wollten, wurde schnell deutlich, dass er mit seinem Vorschlag allein war. Außer ihm stimmten alle überein, hier im Fort auf die Banditen zu warten. Victors Meinung nach verspielten sie dadurch zwar einen Vorteil, den sie jetzt noch hatten, allerdings merkte er schnell, dass er die anderen damit nicht überzeugen konnte. Dennoch gab er nicht komplett auf.
"Der Plan, sie nach und nach aufzureiben, ist prinzipiell gut. Allerdings warne ich noch einmal davor, dass das schiefgehen könnte. Wenn ihr eine Vorhut von vier Mann los schickt, die dann nicht zurückkehrt: Würdet ihr tatsächlich weitere vier Mann schicken? Mir wäre die Gefahr zu hoch, dass, was immer der ersten Gruppe widerfahren ist, auch der zweiten drohen würde. Daher sehe ich mehrere Möglichkeiten: Entweder sie kommen mit allem, was sie haben, oder sie versuchen, die Lage auszuspähen.
Letzteres ist in dieser Gegend sehr schwierig, daher bin ich fast geneigt an ersteres zu glauben.
Aber was ist mit der dritten Möglichkeit: Was passiert, wenn sie gar nicht kommen? Wir könnten den Stützpunkt nicht wirklich verlassen, ohne Oleg und Svetlana möglichen Räuberüberfällen schutzlos auszuliefern. Wir können aber auch nicht viel tun, wenn wir hierbleiben.
Um ihnen einen Schritt voraus zu sein, schlage ich deshalb vor, dass ich alleine den Weg zum Quartier der Räuber unternehme und auskundschafte, was sie vorhaben. Sobald ich mehr in Erfahrung gebracht habe, kehre ich zurück. Im Schutz des Waldes und der Dunkelheit habe ich als Einzelner gute Chancen, unentdeckt zu bleiben."
Er blickte die anderen erwartungsvoll an. Er war sich relativ sicher, dass sie sein Vorhaben nicht gutheißen würden, und dazu vermutete er, dass Varis für eine solche Aufgabe besser geeignet war als er selbst - aber es gefiel ihm ganz und gar nicht, passiv hier zu sitzen und zu warten, was passierte. Jeder Plan war aus seiner Sicht besser als einfach nur abzuwarten.