Nach kurzer Zeit wurde den dreien eine Trage zur Verfügung gestellt und unter Aufsicht der Frau hoben sie den Baron darauf. Sie sorgte noch dafür, dass er mit Schnüren daran fixiert wurde und gab den Männern ein paar Hinweise, wie sie für einen möglichst ruckelfreien Transport sorgen konnten, dann kümmerte sie sich auch schon um andere Verletzte.
Der Weg zum Hospital verging für die drei wie in Trance. Kaum ein Wort sprachen sie miteinander; ihre Gedanken waren immer noch mit Rachegelüsten gefüllt, und die wenige Konzentration, die sie aufbringen konnten, widmeten sie dem Manövrieren durch die sich langsam füllenden Straßen. Offenbar war soviel Zeit vergangen, dass viele Zuschauer die Arena verlassen hatten und sich nun auf dem Heimweg befanden. Der ein oder andere erkannte Erich, und gelegentliche Rufe wie
"He, wohin bist du auf einmal verschwunden?" waren zu hören, doch Louis' antwortende Blicke waren derart tödlich, dass niemand sich traute, auch nur ein weiteres Wort zu sagen.
Die Universität hatten sie ja bereits besucht, und dabei waren sie auch an dem Hospital vorbeigekommen, das sich auf dem gleichen Gelände befand. So mussten sie nicht lange suchen, sondern eilten direkt durch das hohe, doppelflügelige Eingangstor in das Haus der Heilung. Drinnen standen sie in einer Art riesiger Aula und waren zunächst orientierungslos. Hie und da huschten Gestalten, teils mit weißen Kitteln, durch die Halle, und überall waren junge Menschen mit Stapeln von Büchern zu sehen - vermutlich Studenten.
Als sie dort etwas erschlagen standen, öffnete sich eine Tür seitlich von ihnen und ein älterer Mann mit einem leicht orientalisch anmutenden Aussehen trat heraus, umringt von einer Schar Studenten, die ihn mit Fragen zu bombardieren schienen.
Als der Mann, der in einen etwas altmodischen Anzug gekleidet war und keineswegs so aussah, wie die drei sich einen Arzt vorstellten, die drei Männer mit der Trage erblickte, hob er eine Hand, die sofort die Studenten innehalten ließ, und humpelte auf einen Stock gestützt auf Baron Tristan zu.
Ohne um Erlaubnis zu fragen, begann er damit, den jungen Verletzten abzutasten, hielt immer wieder inne, schien im Geiste zu zählen, und fragte schließlich niemanden im Speziellen:
"Wer hat diesen Druckverband angelegt? Hat derjenige nicht die Stichwunde an der Leiste gesehen? Der Mann hätte ausbluten können."Abrupt wandte er sich ab und begann, sich zu entfernen. Nach ein paar Schritten drehte er sich um.
"Worauf wartet ihr? Kommt, ich muss operieren."~~~
Werner war inzwischen in seine Herberge zurückgekehrt und versuchte sich, einen Reim auf die Geschehnisse des Tages zu machen. Es war definitiv ein ereignisreicher Nachmittag gewesen, und er war gespannt auf den Abend, der noch folgen würde. Hoffentlich würden die drei Männer seiner Einladung folgen.
Jetzt aber war etwas anderes Zentrum seines Interesses. Die ganze Zeit über hatte er die Tasche des Mannes an sich geklammert; nun wollte er auch wissen, was sich denn darin befand, was für den jungen Mann eine solche Wichtigkeit hatte, dass er selbst im Angesicht des Todes noch daran dachte. Etwas enttäuscht stellte er fest, dass nur ein Buch sich in der Tasche befand; allerdings schien es ein sehr alter Schinken zu sein, und oft genutzt. An etlichen Stellen lagen lose Blätter zwischen den Seiten, oder kleine Zettel markierten Seiten, die offenbar interessant waren. Der Titel war in Handschrift geschrieben:
"Das Buch derer von Naumburg". Und auch der Inhalt war handgeschrieben - offenbar handelte es sich um so etwas wie ein Tagebuch. Doch entziffern konnte Werner zu seiner Enttäuschung nichts: Alles schien in einem Kauderwelsch verfasst worden zu sein, von dem der Jäger immer einmal wieder einzelne Worte entziffern zu können meinte; doch letztlich war alles Geschriebene für ihn völlig unverständlich, teilweise schien es sich nicht einmal um echte Schriftzeichen zu handeln.
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Katharina erkannte wie die anderen Zuschauer auch irgendwann, dass das Turnier heute wohl seinen nicht sehr befriedigenden Abschluss gefunden hatte. Bis dahin hatte sie sich jedoch bereits durch die halbe Zuschauerschaft gefragt, um einen Hinweise auf den Verbleib Ratjoffs zu finden. Irgendjemand musste ja einmal etwas über den Mann wissen, und jemand tat das dann auch: Eine Gruppe Zuschauer erklärte der jungen Frau sehr überzeugend, dass Ratjoff seine Abende nach einem Kampf gerne in einer Taverne namens
"Zum Schwarzen Raben" verbrachte und dort entweder seinen Kummer im Alkohol ertränkte oder seinen Sieg feierte. Was in diesem Fall zutraf, war wohl nicht ganz klar, doch die Chance war groß, dass er auch heute dieser Tradition folgen würde.