Die drei Gefährten hatten bei Professor Weierstraß alles erreicht, was sie sich erhofft hatten, und so verabschiedeten sie sich nun und ließen den Gelehrten weiter über seine komplexen Folgen grübeln: Wenn es im Rat zu einer Abstimmung kommen würde, war Weierstraß auf ihrer Seite, und zusätzlich hatten sie noch einen Hinweis erhalten, wie sie andere Mitglieder des Rates vielleicht von ihrer Sache überzeugen konnten.
Der Tag war nun ohnehin schon fortgeschritten, und so begaben die drei sich ohne weitere Besuche oder Erkundigungen zurück zu ihrem Gasthaus. Nach einem kurzen Nachtmahl zog sich jeder der drei zurück; niemand hatte heute mehr ein großes Bedürfnis nach einem geselligen Abend. Insbesondere Erich wollte auch für den kommenden Tag ausgeruht sein.
Am nächsten Morgen lag die Erwartung des großen Turniers überall in der Luft. Schon beim Frühstück schnappte Erich von den umliegenden Tischen Gesprächsfetzen auf, in denen die Chancen der Teilnehmer diskutiert wurden - auch wenn niemand wusste, dass auch Erich bei dem Turnier mitkämpfen würde.
Es war noch viel Zeit bis zum Beginn des Turniers, als die drei Männer das Gasthaus verließen, denn Erich wollte rechtzeitig zur Auslosung dort sein, um noch die Möglichkeit nutzen zu können, seinen Kontrahenten zu beobachten; doch bereits zu dieser Stunde war ein Menschenstrom er erkennen, der auf die große Arena zuzufließen schien.
Hannah und Jelena dagegen waren mit Baron Tristan im Gasthaus geblieben; keine von ihnen hatte ein ausgesprochenes Faible für solch möglicherweise blutigen Turniere, und der Baron wollte nicht riskieren, in dem Trubel womöglich erkannt zu werden.
Louis, Friedrich und Erich erreichten schließlich die Arena, vor der sich bereits eine üppige Menschenmenge gebildet hatte, die darauf wartete, endlich eingelassen zu werden. Für die Teilnehmer, so fanden sie schnell heraus, gab es einen eigenen Zugang am andern Ende des Baus, der streng bewacht wurde. Da jeder Kämpfer bis zu zwei Betreuer mitbringen durfte, konnten auch Louis und Friedrich durch den Seiteneingang das innere betreten. Nach einem kurzen Weg durch die Katakomben unterhalb der Tribüne erreichten die drei schließlich den Kampfplatz im Innenraum, und ein durchaus beeindruckender Anblick bot sich ihnen.
Auch wenn jemand von ihnen schon einmal ein vergleichbares Amphitheater besucht hatte, so war der Blick von den Zuschauertribünen doch etwas anderes als das, was sich ihnen jetzt bot. Der Platz in der Mitte war rundum von Tribünen umringt, die sich scheinbar endlos in die Höhe streckten - nun, sicherlich nicht endlos, doch Friedrich überschlug im Kopf die Anzahl der Menschen, die hier wohl Platz finden würden, und kam auf eine Zahl, die ihm beinahe die Sprache verschlug: An die 100.000 Besucher würden wohl in dieses Theater passen.
Auf dem sandigen Kampfplatz hatten sich bereits etwa drei Dutzend Kämpfer und ihre Begleiter versammelt, und auch hinter Erich betraten weitere die Arena. Die meisten blieben mit ihren Betreuern für sich, und die Größe des Platzes erlaubte es jedem, sich in Ruhe vorzubereiten. Die Teilnehmer ergaben eine bunte Mischung: Es waren offenbar erfahrene Kämpfer dabei, aber auch junge Burschen, die sich erst noch die Hörner abstoßen mussten, und etliche Glücksritter, die wohl einfach hofften, durch die Auslosung der Waffen eine Chance zu haben. Auch einige Frauen befanden sich unter den Teilnehmern, wenn auch der ungleich überwiegende Teil Männer waren. Erich beobachtete die Konkurrenz eine Weile und kam zu dem Schluss, dass ein Drittel der Teilnehmer wohl kaum eine ernsthafte Hürde für ihn darstellen würden. Etwa ein Dutzend schätzte er als ernsthafte Konkurrenten auf Augenhöhe ein, gegen die er sich allerdings dennoch Chancen ausrechnete. Eine gute Handvoll der Teilnehmer jedoch beeindruckte ihn; es war für seine geschulten Augen schnell klar, dass diese wohl den Titel unter sich ausmachen würden. Musste er gegen einen von ihnen antreten, benötigte er schon eine ganze Menge Glück, um die nächste Runde zu erreichen.
59 Männer und Frauen waren es schließlich, die nacheinander aufgerufen wurden, um ihre Anwesenheit zu bekunden. Für jeden Namen, der verlesen wurde, ließ ein in weiße Roben gekleideter Schiedsrichter einen Zettel in eine Urne fallen, aus der gleich die Begegnungen ausgelost werden würden. All das geschah an einer Art Altar - ein besseres Wort fiel den dreien nicht ein, der etwas erhöht zwischen den unteren Zuschauerreihen stand und den Kampfplatz überblickte. Auch Erich erwiderte die Bestätigung, als sein Name fiel, und sah, wie der Zettel mit seinem Namen in der Urne verschwand. Ein Name nach dem anderen wurde abgehakt, bis zum Schluss nur noch einer übrig war. Gespannt erwarteten die Versammelten den Beginn der Auslosung, als der Richter den Namen verließ: "Heinrich Dray!"
Sofort ging ein Raunen durch die Menge, dann wurde es still. Konnte das wirklich sein? Auch Friedrich und Erich kannten natürlich diesen Namen: es war der Kommandant der Eisengarde in Wirsche, und - so pfiffen es die Spatzen von den Dächern - Roswitha von Wirsches Liebhaber.
Tatsächlich erhob sich nun ein bisher von den wenigsten beachteter Mann, der ohne Begleitung reglos abseits gesessen hatte, zog die Kapuze vom Kopf und rief laut: "Anwesend!"
Auch der letzte Zettel verschwand in der Urne, doch noch immer sahen sich die Männer und Frauen in der Arena gegenseitig ungläubig an.
Was wollte Dray hier in Freiburg? Und wieso trat er bei diesem Turnier an? Doch auch ein wenig Furcht war in den Augen des einen oder anderen zu erkennen, womöglich auf ihn als Gegner zu stoßen. Ein Kommandant der Eisengarde war ein Kaliber, mit dem niemand sich wirklich anlegen wollte.
Doch die Offiziellen ließen sich nicht beirren, und die Auslosung startete schnell und schritt noch schneller voran. Ein Name nach dem anderen wurde gezogen, verlesen und die Paarungen gebildet; außerdem wurden die Waffen mithilfe einer weiteren Urne zugelost. Erich atmete erleichtert aus, als Heinrich Dray einem der anderen Kämpfer zugelost wurde, und wenig später war es soweit: Sein Gegner hieß Alexander Taubner, und wenn Erich nicht arg getäuscht wurde, war dies ein leichtes Los für die erste Runde. Als Waffen erhielten sowohl er als auch sein Gegner ein Kurzschwert sowie einen kleinen Rundschild, doch Erich war zuversichtlich, dass er diesen Mann notfalls auch mit bloßen Händen würde besiegen können.
Eine Stunde Vorbereitungszeit hatten die 54 Kämpfer nun, die in der ersten Runde antreten mussten (fünf hatten ein Freilos erhalten), während nun die Zuschauer in die Arena eingelassen wurden und begannen, die Tribünen zu füllen.