Und so kam es, dass sich des Abends die Gesellschaft bei den Handarbeiten über das Buch unterhielt. Valeria las ein wenig vor und man besprach worum es ging. Leider wurde sie dabei immer verwirrter. Immer wenn sie und die anderen meinten eine Kernaussage gefunden zu haben, eine Leitlinie des Lebens oder so, dann wurde dies im nächsten Kapitel wieder umgeworfen. Still hatte Damaris bisher in ihrer Ecke gesessen und gestickt. Valeria war schon am ersten Abend aufgefallen wie geschickt sie dabei war. Damaris konnte sehr feine und völlig exakte Stiche setzen. Sie ging dabei völlig fantasielos vor, setzte einen Stich neben den anderen wie ein Zombie. Genauso war es ihr beigebracht worden. Daran musste noch gearbeitet werden. Vielleicht sollte sie ihr einmal ein paar Bilder zu sticken geben?
Auf jeden Fall brach sie nun ihr Schweigen, stickte vor sich hin und plapperte dabei, merkte nicht wie es immer stiller um sie her wurde und alle ihr ganz verdutzt lauschten.
Vielleicht ist ja das die Moral des Buches. Moral wandelt sich im Laufe des Lebens. Meinte Mutter meinte einmal zu mir: Großmutter fand Gras schön, Wildblumen und den Wind über der Steppe. Ich mag lieber Eis und Frost, klirrende Kälte und einen warmen Kamin. Was Du magst musst Du selber herausfinden. Für jeden ist etwas anderes wichtig, gut und richtig. Und das ändert sich im Laufe des Lebens. Es gibt feste Dinge die bestand haben und andere die sich ändern. Man darf die beständigen nicht verändern wollen und die veränderlichen nicht festhalten.
Das war es, wurde Valeria klar. Moral waren nicht 12 unveränderliche Gesetze, in Eisen gegossen. Es gab Dinge die Bestand hatten und andere die sich im Laufe der Jahre ändern und ändern mussten. Jeder musste für sich herausfinden welche Regeln für ihn galten, heute, morgen und nächstes Jahr. Immer aufs Neue sich und seine Moral definieren, aber dabei nie den Halt verlieren.
Amelie schaut lächelnd zur versonnen vor sich hin arbeitenden Damaris. Welch ungewöhnliches Mädchen.