Als Sanguiel ihr Votivband aus der Hand des Pontifex empfing, berührte der Pontifex kurz auf eine verspielte, kindliche Weise das Gefieder der jungen Gabrielitin, wie um das Selbstvertrauen des sichtlich unsicheren Engels zu stärken und ihr besonderen Mut zu machen. Durch die Menge der versammelten Engel ging ein Raunen, ob dieser besonderen Ehre, die Sanguiel gerade empfangen hatte. Doch in manchen Gesichtern ist auch Neid zu lesen: Warum hatte der Pontifex gerade ihr diese Ehre erwiesen? Was hebt sie heraus? Doch bei den meisten Engeln verflogen diese Gedanken direkt, denn Neid war eine Sünde, die sich für die Sendboten Gottes auf Erden nicht schickte. Die meisten freuten sich für Sanguiel und schauten sie bewundernd an, als sie ihren Platz in der Menge wieder eingenommen hatte. Doch auch den Kardinälen blieb diese Situation nicht verborgen: Manche von ihnen fingen an, leise zu tuscheln, und auch Kardinal Kant hob die Augenbrauen. Doch keiner von euch weilte bereits lange genug unter Menschen, um erkennen zu können, ob es sich hierbei nur um Verwunderung ob dieser außergewöhnlichen Szene oder doch vielleicht Besorgnis um irgendetwas, was euch verborgen ist, handelte..
Doch für Nachdenken blieb so oder so keine Zeit: Nach Sanguiel wurden nur noch wenige Engel auf die Plattform gerufen, um den Segen zu empfangen. Als das Tablett mit den Votivbändern endlich leer war, zog sich der junge Monach, der das Tablett die ganze Zeremonie über getragen hatte, langsam zurück. Kardinal Kant trat bis an die vorderste Kante der Plattform und breitete die Arme aus.
"Engel! Nun seid ihr vollwertige Sendboten Gottes auf Erden! Mögen euch die zwei Jahre eurer Ausbildung für euren Dienst, den ihr im Auftrag des Herrn für die Angelitische Kirche und die Einwohner Europas versehen werdet, dienlich sein! Vergesst nie, was ihr gelernt habt, was euer Auftrag ist, wer ihr seid! Mögt ihr nun eure zukünftigen Aufgaben zum Wohle der gesamten Menschheit erfolgreich erfüllen können!"
Mit diesen Worten senkte Kardinal Kant die Arme und der Chor der Sarieliten setzte zu einem Choral an. Die gewaltigen Stimmen des Himmlischen Chores füllten den Platz komplett aus, niemand, weder Mensch noch Engel, vermochte sich ihrer Wirkung zu entziehen. Ergriffen erhoben sich die Kirchendiener auf der Tribüne. Monachen, Beginen, Bischöfe, ja selbst die in blau gewandeten Kardinäle standen auf, um den gerade geweihten Engeln ihre Ehrerbietung zu bekunden.
Mit den letzten Tönen des Chorals war auch die Weihezeremonie selbst zu Ende. Die jungen Engel erhoben sich nun in die Luft, ein majestätisches Schauspiel, denn mit ihren meterlangen, weißen Schwingen verdunkelten sie den Himmel über dem Petersplatz. Unten drängten sich die Menschen noch mehr als vorher, die Gesichter gen Himmel gewandt, die Hände ausgestreckt, um eine der Federn, die sich beim Start der Engel aus ihrem Gefieder lösten, zu erhaschen.