Im Jahre des Herrn 1461: Die Walachei
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Ein weiterer Schweißtropfen rinnt über die Stirn des Bauern, eine dünne Spur auf der schmutzigen Haut hinterlassend, ehe er kurz vor der Nasenwurzel von einer groben, rissigen Hand fortgewischt wird. Mihai seufzt erschöpft und blickt mit zusammengekniffenen Augen in den blauen Himmel, von dem die Mittagssonne herabsticht und die ohnehin schon harte Feldarbeit zur Tortur werden lässt.
Der mit freiem, sonnengegerbtem Oberkörper inmitten von abgemähten und garstig piekenden Weizenhalmen stehende Mann wirkt Ausgemergelt und bereits weit Älter als die fünfundzwanzig Winter die er ist - aber eine Familie mit vier lebendigen Kindern zollt nuneinmal ihren Tribut. Mihai atmet nocheinmal tief die angenehme Luft und lässt seinen Blick zufrieden über die Reihe bisher zusammengeflochtenen Garben wandern. Schmatzend sammelt er Spucke auf den Lippen und lässt einen kurzen Pfiff über die hügelige Landschaft mit ihren kleinen Wäldchen gellen.
Nur wenige Augenblicke später kommt auch schon Radu, sein treuer alter Hund aus dem Gebüsch angeprescht und begrüßt, von seinem Streifzug freudich hechelnd und mit dem Schwanz wedelnd, sein Herrchen. Mihai tätschelt dem großen Rüden, welcher ihn seit Kindesbeinen an begleitet und glücklicherweise niemals Menschen kennengelernt hat, die seine Nase möglicherweise weniger beleidigen würden, den Kopf und entschließt sich dann, der Mittagshitze mit einem Schläfchen unter dem nahen Baum am Wegesrand entgegenzuwirken.
Es scheint dem Bauern, als wäre er nur kurz eingenickt, als ihn das aufgeregt Kläffen Radus weckt. Unbeeindruckt lässt Mihai jedoch die Augen wohlig geschlossen, zum einen ist der Schatten des ausladenden Baumes nach harter Arbeit eine reine Wohltat, zum anderen war es schon jeher Radus Art, fremde Wanderer mit lautem, aufdringlichem Gebaren entgegenzurennen. Erst das plötzliche Surren eines Bogens und das darauffolgende aufjaulen des Hundes lassen den Bauern erschreckt auffahren.
Am Rand des Weges hingestreckt liegt Radu, von einem dunkel gefiederten Pfeil durchbohrt. Wolken haben sich vor die Sonne geschoben und drohend ragt vor ihm eine schwarz getünchte Kutsche mit eisernen Beschlägen und unruhig tänzelnden Pferden empor. Die als Eskorte reitenden walachischen Husaren blicken streng auf den Bauern herunter, der sich auf einmal klein, schmutzig und schuldig fühlt, ohne genau zu wissen warum.
In diesem Moment stockt Mihais Atmen, als er die Wimpel an der Kutsche entdeckt: Das Kreuz mit dem Drachen, das Wappen der Dracul! Und wie ein vernichtender Peitschenhieb treffen ihn die harten Worte des Husarenhauptmannes. "Dein Köter hat Prinz Vlad belästigt! Komm her!" Mihai, der sich bei der ersten Erwähnung des Woiwoden vor Angst schlotternd in den Staub geworfen hatte, rappelt sich langsam wieder auf, und geht auf Beinen wie aus dürrem Reisig auf die Kutsche zu. Jeder Schritt ist eine Qual, kalter Schweiß rinnt in Strömen an seinem Körper hinunter und trotz der Hitze des Tages zittert der Bauer am ganzen Leib. Panisch zuckt er zusammen und bleibt wie angewurzelt stehen als der schwarze Vorhang in der Kutsche einen Spalt weit bei Seite gezogen wird. "Mein Gebieter?" Der Hauptmann blickt fragend in die Finsterniss des Wagens und kurz meint Mihai, dessen Kopf vor Angst wie leergefegt ist und sogar vergisst, sich auf die Knie zu werfen, eine Brosche oder Fibel im Dunkeln aufleuchten zu sehen. Der Drache...leibhaftig!
Da erklingt eine Stimme aus dem schwarzen Abgrund des Kutschenfensters: Warm, wohlklingend und sanft im Ton, gebildet und weltgewandt, ja geradezu poetisch in der Betonung, Mihai ist ganz verzückt von dieser Stimme, das erste mal dass er die Stimme seines Herrschers vernehmen darf! Ein entrücktes, staunendes Lächeln ob dieser flüchtigen Berührung mit höheren, für ihn kaum erträumbaren Ebenen des Seins, umspielt das wettergegerbte Gesicht des Bauern und Vaters und eine einzelne Träne rinnt über seine verschmutze Wange, Reinheit bringend, während die Husaren ihn fortschleifen und allmählich die noch immer in seinem Kopf haftenden, wohlklingenden Worte Gestalt annehmen und in ihrer ganzen Auswirkung verständlich werden:
"Pfählt ihn."
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