Doch so düster und trostlos die Lage auch aussehen mag: Wenn die vier Ermittler wüssten, welchen Gefahren sie in letzter Minute dank der Hilfe des mysteriösen 'Roland's entronnen sind, würden sie ihre Situation vielleicht ein wenig mehr zu schätzen wissen. Denn noch während urplötzlich aufflackernde Buschfeuer die Bergungsteams vom komplett verschütteten Dorf Still Mountain abdrängten und von TEMCO wie Marionetten gelenkte Streifen von Polizei und FBI das Land durchkämmen, betreten zwei dunkel gekleidete Herren einer dritten Partei das schäbige Motel, in welchem die Gejagdten nur wenige Stunden zuvor ihr Lager aufgeschlagen hatten. Und es bedarf nicht einmal des Anblicks der schallgedämpften Automatikwaffen, dass der Portier sich fragen beginnt, wem genau der vermeintliche Reporter eigentlich das Fax geschickt hat...
27. Oktober 2006 - New Hampshire, weit abseits der Straße zwischen Manchester und Salem - 15.00 Uhr
Am anderen Ende der USA stellt der Mann, der früher unter dem Namen Nicholas Dunn bekannt war, den Motor des Wagens aus, dessen dumpfes Brummen ihm die ganze Fahrt über unsympathisch und falsch vorgekommen war. An dem geräumigen dunkelblauen Kombi mit dem kleinen Schriftzug der fingierten Versicherungsfirma ist natürlich nichts zu bemängeln, wie die Ermittler bereits am Flughaftenparkplatz in Manchester erkennen konnten, jedoch ist und bleibt es einfach nicht Nic's geliebter Chevrolet.
Blechern wird nun das Prasseln der dicken Regentropfen auf dem Dach hörbar; ein nicht endenwollender Wolkenbruch der über dem Wagen zu hängen scheint, seitdem dieser von der großen Straße abgebogen war. Zwar hatten sie ihre neuen Identitäten schon ein wenig länger, doch erst als ihr Wagen über den holprigen Kiesweg durch den Wald rollte und rings umher die alten Laubbäume in blutigem Rot und nassem Gelb durch das regnerische Grau leuchteten, schienen die vier tatsächlich ihr altes Leben hinter sich gelassen zu haben.
Keine Spur mehr von dem Kalifornien, das sie verlassen hatten - dies hier ist Neuengland. Das Land der ersten puritanischen Siedler, welche in einsamen Blockhütten, umgeben von rauher Wildniss ihren düsteren religiösen Impulsen nachgingen; Jahrhunderte zuvor das Land der Indianer und Brutstätte ihrer heute vergessenen und unnennbaren Riten; und Jahrtausende zuvor das Land jener Dinge, der wabernder, archaischer Geist all dies beseelte...
Diese Gegend hat wohl mehr Menschen zur Niederschrift grauenerregender Geschichten inspiriert als jede andere, von H.P. Lovecraft bis Stephen King - und als die vier Ermittler aussteigen, sich dem aus nieversiegenden Quellen eiskalt herabstürzenden Nass aussetzen und den glatten Asphalt wie ein unzureichend dünner Sargdeckel über uraltem Schrecken unter ihren Schuhen spüren, wissen sie auch warum.
Als der ungewohnt holprige Wagen vor einigen Minuten mitten im Wald ein weit offenstehendes rostiges Eisentor innerhalb einer von Vegetation nahezu vollständig zurückeroberten Mauer durchfahren hatte, und an einem Torflügel ein schief hängendes Schild mit der Aufschrift Gibson Mental Hospital zu sehen gewesen war, hatte manch einer unter ihnen das Auftauchen eines granitsteinernen Molochs aus dem vorletzten Jahrhundert oder eines knarrenden und windschiefen Herrenhauses erwartet, wohl aber nicht den Anblick, der sich ihnen nun bietet.
Die frischernannten 'Versicherungsprüfer' stehen mitten im Wald auf einem regenüberschwemmten Parkplatz - außer von ihrem eigenen Auto nur noch von einem grünen Kleinwagen genutzt - und betrachten das moderne, eingeschossige Gebäude aus sauber verfugten Ziegelsteinen wobei die in dieser urtümlichen Umgebung beinahe schmerzhaft unpassend wirkende Nüchternheit der Heilanstalt ihnen eine scheinbar völlig irrationale Abneigung durch die Nervenenden jagt...