1. Tag: Reise nach Felbarr
Der frische Schnee knirschte unter seinen Stiefeln, als Fincayr die Anhöhe erklomm und vorsichtig einen Blick auf die dahinter liegende Straße warf. Wobei Straße es nicht wirklich traf, eher handelte es sich um einen Pfad, kaum sicher und breit genug für die Wagen die sich dort unten um große Felsbrocken und zum Teil versteckte Schneelöcher herum quälten. Rund ein Dutzend Wagen waren es und etwa die dreifache Anzahl Menschen und Zwerge, welche dort unten ungefähr in dieselbe Richtung reisten wie er selbst. Wohin sie wohl wollten? Fincayr kannte sich hier nicht besonders aus. Nur wenige seines Volkes lebten in der Gegend, es gab einfach zuviele Orks. Er hatte von einer Zwergenfestung gehört, zwei Tagesreisen weiter, vielleicht war sie das Ziel dieser Leute.
Sein eigenes Ziel war dem Schamanen noch nicht klar. Wie schon oft in seinem Leben folgte er Sarkoth, seinem spirituellen Freund und Gefährten seit langer Zeit. Der Geisterwolf hatte ihn sanft aber unmißverständlich in diese Gegend geführt.Warum? Wohin genau? Das würde sich ergeben, da war Fincayr sicher …
Wirbelnde Bilder. Explosionen, das Gesicht seines Meister, die zornige Miene von Magister Earon. Was hast Du wieder angestellt? Die Zerstörung des Labors seines Meisters vermischte sich mit den Bildern eines anderen rauchenden Labors. Lummi hatte ein wenig experimentiert, an sich ganz harmlose Dinge. Was ihn geritten hatte noch ein paar andere Sachen mit hinein zu geben, er wusste es hinterher nicht mehr. Ohne das Eingreifen von Magister Earon wären die Folgen vielleicht ebenso schlimm gewesen wie damals. Lummi zitterte im Schlaf, wälzte sich unruhig hin und her. Und wie willst Du den Schaden wieder gut machen? Soviel Geld hatte er nicht. Fast erleichtert hatte er zugestimmt, als „Strafe“ eine Reise in den Norden zu unternehmen. Fast. Fröstelnd zieht Lummi die Decke enger um sich. Felbarr war sein Ziel. Sein Auftrag: einige Kisten wertvoller magischer Fracht zu Magister Earons Freund zu bringen, der dort zum Kontingent gehörte mit welchem Silbermond die Zwerge unterstützte. Er sollte eine Weile helfen, so gut er konnte. Vermutlich lief es auf das langweilige Schreiben von Schriftrollen und Brauen von Tränken hinaus.Aber allemal besser als die Alternativen.
Höhnisch lachte John McBrire ihn aus. Die verschlagene Visage mit dem fehlenden Schneidezahn, Lummi würde ihn überall wieder erkennen. Er erinnerte sich noch wie er ihn das erste Mal sah. John war einer dieser Herumtreiber die nie irgendwo wirklich Fuß fassen konnten. Er wohnte in einer schäbigen Kaschemme nicht weit vom Haus seiner Eltern. Ab und zu bekam er von den Leuten der Gegend die eine oder andere kleine Abreit, sei es Holz hacken oder eine Kiste schleppen. Gemocht hatte Lummi ihn nicht, aber das schob der Gnom damals auf das Aussehen dieses Mannes. Doch er hatte sich nicht getäuscht. Hätte er doch nur damals auf sein Bauchgefühl geachtet. Die kleine Faust ballt sich im Schlaf. Im Brief des Nachbarn über den Tod seiner Eltern hatte ein Name gestanden, der Name von einem der Täter, dem einzigen der bekannt war: John McBrire. Er war seitdem verschwunden. Aber eines Tages, da war Lummi sich sicher, würden sie sich begegnen. Und dann …
Explosionen überall, wieder vermischten sich die Bilder. Mit einem Rumms wird Lummi aus der Koje des Planwagens geschleudert. Ein heftiger Schmerz durchzuckt seine linke Seite als er gegen eine Kiste prallt. Der Wagen war zum Halten gekommen und stand nun schief. Lärm und Geschrei war von draußen zu hören.
Seufzend beschleunigt Sigmund sein Pferd. Was war denn nun wieder los? Fast bedauerte er es sich dem Wagenzug angeschlossen zu haben. Natürlich war es so das Beste, die Gegend alleine zu bereisen kam selbst für jemand wie ihn, kampfgestählt und im Segen Helms, Selbstmord gleich. Aber warum musste alles so undiszipliniert ablaufen? Irgendwie machte jeder was er wollte und auf Befehle wurde nur gehört wenn es einem passte, den Eindruck hatte er zumindest in den vergangenen Tagen gewonnen. Er konnte nur hoffen dass es in Felbarr anders war. Sicher würde es dort anders sein. Eine Festung, von Zwergen zurück erobert die sich darauf vorbereiteten Angriffe der Orks abzuwehren, da würde Zucht und Ordnung, Fleiß und Arbeitseifer herrschen. Und für ihn gab es dort sicher genug zu tun. Ungeheuer aller Art, zweibeinige und andere, sollten dort ihr Unwesen treiben. Man würde sehen. Seine Aufmerksamkeit kehrt in die Gegenwart zurück. Mißmutig fällt sein Blick auf den Wagen, der schief in einer Schneewehe steckt. Der Fahrer hatte versucht um einen Felsbrocken herum zu kommen der den halben Pfad versperrte, herab gerollt von einem der Hänge. Dabei war er aber in ein vom Schnee verdecktes Loch gerutscht und kam aus eigener Kraft nicht mehr heraus. Die Wagen dahinter hielten an, Fahrer eilten herbei um zu helfen.
Nachdenklich und ein wenig erheitert sieht Salif dem Treiben vom Kutschbock des zweiten Wagens zu. Ein halbes Dutzend Kerle bemühten sich den Wagen wieder flott zu machen. Er selber würde da nur im Wege stehen. Seine Gedanken schweifen ab, kehren zurück zu dem seltsamen Brief, den er erhalten hatte.Ein Brief aus Felbarr von seinem alten Freund Myrzen Lendrokk. Nun ja, Freund war ein wenig übertrieben. Alter Geschäftspartner traf es eher. Myrzen war mit Salif schon diverse Male handelseinig geworden und stets war es zu beider Vorteil gewesen. Myrzen gehörte zu jener Art Händler, die auf der einen Seite die Zähne eines alten Pferdes bleichten oder einem wohlhabenden Reisenden zu völlig überzogenen Preisen ein gänzlich unnützes Was-auch-immer aufschwatzten. Aber andererseits würde er nie einem Geschäftspartner herein legen und mehr als einmal hatte er auf einen Gewinn verzichtet weil er einem armen Tropf nicht den letzten Silberling abknöpfen wollte.
Und ebendieser Myrzen hatte ihm nun einen Brief geschickt, ihn eingeladen nach Felbarr. Es sollte um ein ganz großes Geschäft gehen, etwas was er allein nicht abwickeln konnte. Genau hatte er sich nicht ausgedrückt, aber Salif hatte heraus gelesen, dass es wohl kein ganz offizielles Geschäft war und vermutlich ohne Wissen der dort lebenden Zwerge. Immerhin traute Salif dem Wort seines Freundes genug um sich auf den beschwerlichen und nicht ganz ungefährlichen Weg zu machen. Im Wagen hinter ihm waren einige Waren, die er relativ günstig im Süden eingekauft hatte und hoffte mit ausreichend Gewinn zu verkaufen, um auch dann verlustfrei zu bleiben falls sich wider Erwarten die Versprechungen Myrzens als Geschwätz herausstellten.
Eine letzte Kurve, dann lag der Wagentrek vor Tibryn. Schon lange vorher hatte er den Geruch des Feuerfasses wahrgenommen, welches dem schnellen Entzünden eines Lagerfeuers am Abend diente, und am Lärm der Stimmen gehört dass es Probleme gab. Was es wohl dieses Mal wieder war? Seit er sich dem Trek angeschlossen hatte, gab es täglich Probleme aller Art. Allein zu reisen wäre bestimmt einfacher gewesen. Aber zwei Dinge hatten ihn bewogen, diese langsamere und beschwerlichere Art des Reisens zu wählen. Auf der einen Seite die Sorge um diese Leute. Es waren Fremde, ja. Aber doch potentielle Verbündete. Und ihre Chance das Ziel sicher zu erreichen war sicher deutlich größer mit ihm an ihrer Seite als ohne ihn. Und dann war da als zweites die Art seines Zieles. Felbarr, die Zwergenfestung. Leise seufzt Tibryn. Weder die Aussicht eine Festung aus Stein zu betreten noch von sovielen Zwergen umgeben zu sein erfüllte sein Herz mit Freude. Aber irgendwo musste er mit der Suche beginnen und soviel er wusste war Felbarr die einzige größere Ansiedlung dort. Vielleicht hatte man etwas von Nalheer Adrigen gehört. Die Freundin seiner Familie, die auch Tibryns Ausbildung lange Zeit begleitet hatte und sicher mit Anteil daran hatte warum er Waldläufer geworden war, hatte im letzten Herbst das letzte Mal von sich hören lassen. Seitdem nichts mehr. Allmählich machte Tibryn sich Sorgen, immerhin war Nalheer nicht mehr die jüngste und wenn auch keineswegs gebrechlich so war diese Gegend, kalt, eisig und voller Orks, sicher nicht das Gesündeste um allein zu leben. So hatte er sich entschlossen hierher zu reisen und nach ihr zu schauen. Aber wie würden die Zwerge wohl auf einen allein reisenden Elfen reagieren? Um leichter und unverfänglicher Zutritt zu erlangen, hatte er sich dem Trek angeschlossen. Manchmal bedauerte er die Entscheidung, aber Tibryn wusste dass sie richtig gewesen war.
Kurz blitzte etwas in der Sonne. Dort oben auf der Kuppe war jemand. Der Waldläufer denkt unwillkürlich an die Spuren welche er vor einer Stunde entdeckt hatte. Er war dem Trek voraus geritten und war über die Spuren von Orks gestolpert. Sie waren zwei Tage alt gewesen, führten zu einem Lagerplatz und dann weiter weg von der Straße. Es sah nach Jägern aus, aber die Grenze zwischen Jägern und Räubern war bei Orks fließend. Vielleicht sollte er sich diesen Beobachter einmal näher anschauen …