Sobald er den Schatten der Bäume erreicht hat, verschwendet Torinkas keine weiteren Gedanken mehr an das, was sich soeben ereignet hatte. Sein Geist richtet sich wieder voll und ganz auf das, was noch vor ihm liegt, der Weg zum Gewölbe und die Wiedervereinigung mit seinen Brüdern dort.
Schnellen Schrittes wendet der Dunkle Rächer sich gen Süden, dem Verlauf des Flusses in einigem Abstand folgenden. Jetzt, allein und ohne den störenden Ballast seiner Begleiter, findet Torinkas schnell wieder zu dem zurück, was ihn in so wenigen Jahren so hoch in den Reihen der Shevariten hatte aufsteigen lassen. Der Kleriker läuft mehr durch die Wälder, als dass er geht, ohne Angst sich zu verirren oder in die falsche Richtung zu reisen. Jahrzehnte hatte er an diesem Ort, in den tiefen des Cormanthor verbracht und auch wenn er sich nun an seinem Rand befindet, so atmet er doch die gleiche Luft. Torinkas hat beinahe das Gefühl jemand anders lenke seine Schritte, die von der Gewissheit beflügelt werden, dass der Krieg gegen die Drow in diesem Moment im Wald im Osten tobt und die Kirche jeden Bogen brauchen konnte, der ihnen zur Verfügung stand.
Der Mondelf verliert keine Zeit durch Rasten oder Erforschen der Umgebung, er eilt so schnell er kann durch den Wald und da seine Füße ihn schneller und weiter Richtung Süden tragen als es bei Menschen der Fall wäre, trifft der Rächer auch auf keine versprengten Kräfte der Zentarim, die nach der Niederlage im Schattental Zuflucht in den Wäldern suchen.
Bis tief in die Nacht hinein marschiert Torinkas durch den Wald und erst als die Zeit gekommen ist, Gebete an den Pfeilbringer zu richten, macht der Mondelf halt. Wie auch die dutzenden Krieger im Osten des Cormanthorwaldes, nahe des Elfenhofes, sinkt der Dunkle Rächer unter einer alten Eiche auf die Knie und richtet stumme Worte an seinen Gott, der das einzige ist, was ihn noch antreibt.
Beinahe eine Stunde verbringt Torinkas in stillem Zwiegespräch mit Shevarash, bevor er sich auf den Baum flüchtet und dort oben Ruhe für die weitere Reise findet.
Lange vor dem Sonnenaufgang schlägt Torinkas die Augen wieder auf und ohne sich zu bewegen, beginnt er ein Gebet zu sprechen, das seinen Körper langsam in die Eiche sinken lässt. Von einem Schlag auf den anderen verändert sich die Wahrnehmung des Rächers völlig. Seine Augen sehen nicht mehr die unmittelbare Umgebung, stattdessen fühlt er viel mehr sämtliche Eichen, die sich im näheren Umkreis befinden. Ohne viel Zeit zu verlieren, wählt Torinkas einen Baum aus, der sich in entsprechender Richtung befindet und transportiert sich binnen eines Wimpernschlages in ebendiesen Baum. Dort verweilt er jedoch nur für eine Sekunde um die nächste Eiche zu erspüren, die er für seinen Zauber würde nutzen können. So gelingt es Torinkas mit Hilfe der Magie binnen einer Minute beinahe zehn Kilometer gen Nordosten zu reisen, wobei er ohne Schwierigkeiten auch den Ashaba hinter sich lässt.
Schließlich tritt der Dunkle Rächer wieder aus der letzten Eiche, die er mit Hilfe seines Zaubers erreichen konnte hinaus und setzt seinen Weg nun wieder zu Fuß fort.
Erneut gönnt er sich nur dann eine Pause wenn es zum Essen und Trinken zwingend erforderlich ist und so kommt es, dass er bereits nach zwei Tagen die Wälder in den Myth Drannor selbst gelegen ist passiert und schon drei Tage später sein Ziel erreicht hat.
Vor dem Mondelfen erhebt sich die riesige, pechschwarze Eiche, zwischen deren Wurzeln der Eingang zum Gewölbe der Ungestillten Vergeltung verborgen liegt. Langsam und bedächtig geht er auf die riesigen Wurzeln des blattlosen Baumes zu, der nach wie vor von Leben erfüllt ist, obwohl es doch den Anschein hat, als sei er längst gestorben.
Torinkas sieht die drei Gejagten lange bevor sie ihn wahrnehmen können. Zwei Elfen und eine Halbelfe warten zwischen den Ästen mit gespannten Bögen darauf, dass jemand die kleine Lichtung, die die riesige Eiche umgibt, betritt. Torinkas würde ihnen den Gefallen tun, denn er hatte Wichtigeres zu tun als jungen Dienern des Nachtjägers Lektionen zu erteilen.
Offen schreitet der Dunkle Rächer auf die freie Fläche, während der seichte Wind seinen roten Umhang immer wieder einige Zentimeter anhebt, jedoch nur um ihn dann schnell wieder fallen zu lassen. Durch sein Visier blickt Torinkas einem der Wächter, von dem er wusste, dass dieser ihn erkennen würde, direkt in die Augen: “Seid gegrüßt Brüder, ich komme mit wichtiger Kunde für die Hohen Rächer.“
Der Wächter dessen Name Jolin lautet, wenn Torinkas sich recht entsann, nickt nur stumm und lässt den Dunklen Rächer ohne weitere Worte passieren.
Zielstrebig setzt Torinkas seinen Weg ins innere des Gewölbes, zu den Obersten seiner Kirche fort. Auch an den leicht gesicherten Toren erwarten ihn weitere Wachten, die ihn jedoch ebenso problemlos passieren lassen. Verglichen mit den Zugängen im Untergrund sind die Sicherheitsvorkehrungen an der Oberfläche verschwindet gering, obwohl die meisten Außenstehende wohl auch die Wachen hier oben als zahlreich und die Fallen und Schutzzauber als gefährlich und mächtig bezeichnen würden.
Doch der wahre Feind der Shevariten würde nicht von der Oberfläche her angreifen, er würde aus den Tiefen des unterreiches kommen, deren einziger Zugang in der näheren Umgebung des Elfenhofes sich unter den Wurzeln der schwarzen Eiche verbirgt.
Schnell findet Torinkas seinen Weg durch die finsteren Kavernen, die wie leergefegt wirkten. Ihre Bewohner befinden sich entweder auf Wache an den Eingängen oder an der Front im Cormanthorwald um gegen die Drow zu kämpfen.
Es braucht keine Ankündigung seitens des Dunklen Rächers, denn schon vor Stunden hatte Torinkas mit Hilfe seiner Magie eine Nachricht an die Oberen übermittelt, die von seiner baldigen Ankunft kündete.
So kommt es auch, dass die drei, die nicht im Wald gegen die Drow kämpften oder einen Streifzug durchs Unterreich leiteten ihn bereits erwarten. Gehüllt in die für einen Rächer typischen roten Umhänge und glänzenden Mithralkettenpanzer, stehen sie in einer kleinen Kammer, die der Kirche für militärische Besprechungen dient. Denn genau das ist es, was hier nun stattfinden würde.
Langsam tritt Torinkas zu seinen Vorgesetzten hinein und nach einem kurzen begrüßenden Nicken beginnt er mit seinen Ausführungen: “Vor beinahe zwei Zehntagen bin ich von hier aufgebrochen um mich einem gemischten Trupp aus Myth Drannor anzuschließen, der den Auftrag hatte das Schattental von der Unterdrückung zu befreien. Vor nunmehr fünf Tagen gelang es uns schließlich die Anführerin der Zentarim niederzuringen und so die Besetzung zu beenden. Dies wäre für uns von nicht allzu großem Belang, wenn nicht die dhaerauw mit den Zentarim im Bunde gestanden hätten. Im Verlauf des Kampfes um das Tal, wurde ich mit einer Truppe Drow konfrontiert, die zu den Spinnenküssern aus Maerimydra gehörten. Sie wurden restlos vernichtet, allerdings fanden wir in ihrer Hand die Kriegsklinge von Myth Drannor, die Botschafter Selvan Galatea, einer der Tel’Quess, der unseren Respekt verdient hat, da er die Drow ebenso hasst, wie wir es tun und ein furchtloser Streiter für die Sache der Tel’quessir ist, nach Myth Drannor zurückbringen wird oder bereits dorthin gebracht hat. Doch neben diesem wahrlich gewaltigen Schatz habe ich noch etwas finden können, was sich für uns als sehr viel wertvoller erweisen dürfte.“
Langsam holt Torinkas die Karten, die er im Stützpunkt der Drow eingesteckt hatte, hervor und breitet sie auf dem Tisch aus. Nach einigen prüfenden Blicken ist den drei anderen Rächern sofort bewusst worum es sich handeln und was dies für die Kirche bedeutete. Dennoch warten sie ab, bis Torinkas seinen Bericht abgeschlossen hat: “Wie ihr seht ermöglicht uns dieses Material ohne größere Schwierigkeiten einen Offensive gegen Maerimydra zu starten, denn zusätzlich zu diesen Karten sind wir noch auf Informationen gestoßen, die eindeutig darauf hinweisen, dass eine nicht zu vernachlässigende Streitmacht dorthin zurückgekehrt und die Stadt wieder in Besitz genommen hat.
Zudem sollte das Schattental, das einen direkten Zugang zum Unterreiche beherbergt, einen guten Ausgangspunkt für einen solche Kreuzzug bieten.“
Mit einem Nicken nehmen die drei Oberen den Bericht zur Kenntnis und schließlich ergreift die einzige Elfe im Raum das Wort: “Es sind gute Neuigkeiten, die ihr bringt, denn mit Hilfe dieser Unterlagen wird es uns möglich sein einen entscheidenden Schlag gegen die Spinnendämonin und ihre Anhänger zu führen. Doch bevor es so weit ist, gibt es noch etwas anderes, dessen wir uns entledigen müssen. Die Anhänger des Maskierten halten nach wie vor weite Teile der Wälder im Osten und so lange sie nicht bezwungen sind, können wir nicht wagen eine große Streitmacht auf einen Kreuzzug derartigen Ausmaßes zu entsenden. Doch jetzt, da die Streitkräfte Myth Drannors an unserer Seite stehen und sich keine Sorgen mehr um die schwächlichen Menschen im Westen machen müssen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die schwarzen Teufel wieder aus den Wäldern getrieben werden können. Ihr habt Großes erreicht in den letzten Tagen und uns der Erfüllung des Gelübdes einen fingerbreit näher gebracht. Doch es liegen noch Meilen vor uns, bevor wir das Ziel erreicht haben und deshalb müsst ihr schon bald wieder aufbrechen. Vor einigen Tagen sind Branjen, Forala und Vergal zusammen mit einigen Novizen von einem Streifzug aus den dunklen Tiefen zurückgekehrt. Inzwischen dürften ihre Wunden geheilt sein und ihre Köcher wieder gefüllt. Es ist an euch sie in den Kampf zu führen Torinkas. Bringt sie zu einer der Fronten im Wald und zeigt den Novizen, was es bedeutet ein vollendeter Rächer im Dienste des Nachtjägers zu sein. Fügt weitere Namen zu der Reihe eurer bezwungenen Feinde hinzu.“
Die beiden anderen Elfen nicken zustimmend und einer von ihnen zeiht einen Pfeil aus dem Köcher an seiner Seite und bricht ihn in der Mitte entzwei, sodass er dem Symbol, das an einer Kette um die Hälse aller vier hängt, sehr ähnlich sieht.
Mit drei Stimmen, die wie eine klingen, entlassen die drei älteren Elfen den Dunklen Rächer: “Jagt ohne Furcht!“
Torinkas verlässt den Raum auf dem gleichen Weg auf dem er ihn betreten hat und biegt nach einigen Metern in Richtung der Waffenkammer ab. Vor ihm liegt eine neue Aufgabe und mit ihr neue Feinde, die es die Rache des Pfeilbringers spüren zu lassen gilt…