Narrath – Stadt der Geister (Karrnath)15. Barrakas 998 NBK
Der Regen ergießt sich endlos aus dem wolkendichten und grauem Himmel. Trist und fahl wirkt der verschwommene Dunst, welcher sich am Morgen des 15. Barrakas über den Norden Karrnath´s senkt.
Die Krone der Wellen erreicht nach nur knapp überwundenen Strapazen endlich ihr Ziel und kommt zum Halt, denn der Seeweg welcher in die Stadt der Geister führt, wird von einer gewaltigen grauen Mauer versperrt. In deren Mitte befindet sich eine Einmündung für kleinere Kutter, welche jedoch für größere Schiffe zu klein ist. Von der See aus lässt sich nur erahnen, dass hinter dem gewaltigem und kahlgrauem Bollwerk eine Stadt existiert.
Lassal schüttelt den Kopf.
"Selbst in Zeiten in denen sich die Völker dem Frieden widmen sollten, lassen die Leute Karrnaths nicht von ihren Sicherheitsmaßnahmen ab. Zumindest ist es immer ein beeindruckendes Schauspiel. Seht selbst."
Kapitän Deniel d'Lyrandar bewegt sich auf den Bug des Schiffes zu. Die verregnete Luft dort beginnt sich zu verschieben und zu verzerren.
Drei männliche Gestalten beginnen sich aus der Verschiebung herauszuschälen - ein Portal. Zwei der Menschen sind schwer gepanzert und ein Chimärenkopf ist auf ihrem schwarzrotem Wams eingezeichnet. Der dritte Mann trägt einen Stab und die Armeeuniform Karrnaths. Alle drei verfügen über harte und rauhe Gesichtskonturen.
Während der halbelfische Kapitän die Besucher mit weit ausgestreckten Armen überschwenglich begrüßt, salutieren die drei Männer nur knapp.
Der Mann mit dem Stab weist auf die frei schwebenden Elementargeister, welche hinter den Segeln schweben. Deniel d'Lyrandar beginnt daraufhin zu erklären und zeigt mit seinen Gesten auch zwischendurch auf die Helden.
Ein einvernehmendes Nicken signalisiert, dass die Männer Karrnaths sich zufrieden geben. Der Träger des Stabs - scheinbar ein Magier - führt mit der freien Hand eine Geste aus und die Luft verzerrt und verschiebt sich wieder, woraufhin die Gestalten verschwinden.
Erst jetzt werden die gewaltigen Kräne deutlich, welche am Rand der Eissee auf den Mauern thronen, als ein flimmerndes, vielfarbiges Glimmen in deren Spitzen zu pulsieren beginnt und immer stärker anschwelt. Die Helden werden an ähnliche Kräne in Sharn erinnert, welche die Fracht von Schiffen im Dolch löschen und in höhere Ebenen transportieren - eine der vielen Schöpfungen des Hauses Cannith.
Auf beiden Seiten des Flusses schießen Strahlen aus den Krahnspitzen auf die Mitte jener Mauer, welche die See versperrt. Mit gewaltiger und bebender Kraft wird die Seemauer geteilt und zu beiden Seiten diagonal empor gezogen. Die Lyrian passiert die nun frei gewordene Seepforte.
Steinerne Gebäude und Türme schälen sich hinter der Mauer aus dem Dunst heraus. Geräusche von klirrenden Hämmern und entfernte Rufe dringen durch den Regen.
Die Stadtmitte besteht nur aus Wasser. Von drei Seiten fließt die Eissee nach Narrath hinein, wo sich die drei Seearme schließlich in einem gewaltigem Becken treffen.
Einige Schiffe liegen an verschiedenen Anliegestellen und löschen ihre Fracht oder nehmen Neue auf. Viele der Gebäude und Türme wirken unfertig und überall wird an ihnen gearbeitet. Von hier aus wirkt die Stadt wie eine gewaltige Baustelle. Bei näherem Hinsehen wird schnell erkennbar, dass es sich bei den Arbeitern fast ausschließlich um Kriegsgeschmiedete handelt.
Als die Lyrian weiter ins Zentrum der Stadt und der sich kreuzenden Eissee fährt, ändert sich dieser Eindruck. So ist auf der Nordseite ein Marktplatz sichtbar, welcher trotz des Unwetters reges Treiben erkennen lässt. Viele der Gebäude sind schlichte, massive Steinblöcke mit Fenstern und Türen, wie Bunkeranlagen wirkend. Einige davon werden geziert durch großflächige Wandbehänge.
"Propagandawerkzeuge der Kriegsherren Karrnaths", erklärt Lassal, während er auf einen Behang verweist, welcher einen überdimensionalen, geballten, blutroten Panzerhandschuh auf schwarzem Untergrund zeigt.
Der Süden der Stadt scheint dagegen aus Gebäuden und Türmen kunstvollerer Architektur zu bestehen und zeigt nicht nur, dass sich Karrnath kulturell geöffnet hat, sondern hier auch die gehobeneren Schichten verkehren.
Auffällig ist, dass die grauen Steingemäuer und Bunker vielfach mit glimmenden Laternen, geheimnisvollen Masken, Geschmeide und Girlanden behangen sind. Das Klingen einfacher Glockenspiele tönt durch den Regen. Man bereitet sich auf ein großes Fest vor.
Die Lyrian legt schließlich an der Nordseite an und Seile werden befestigt. Eine ganze Einheit von Kriegsgeschmiedeten steht bereit, um beim Löschen der Fracht zu helfen. Im Bauch des Schiffes wird eine Klappe geöffnet und die überlebenden Händler der Lyrian weisen die Geschmiedeten an, dass Schiff zu entladen. Der Kapitän verkündigt, dass die Lyrian im Reparaturdock von Haus Cannith anlegen wird und für die nächsten zehn Tage die Stadt nicht verlassen kann.
Lassal wendet sich wieder den Helden zu:
“Nun, dann wollen wir mal. Wie erwähnt, habe ich noch einige Spenden zum Tempel der Herrschar zu transportieren. Es ist nicht weit von hier, der Tempel liegt im Zentrum der Nordstadt, auch als das Sternviertel bekannt.”
Nur weniger Meter entfernt:
Der mächtige Marschenländer tritt aus dem imposanten, steinernem Bau. Einen weiteren langwierigen Prozeß, städtischer Bürokratie hat er nun hinter sich. Das Hafenbüro ist ein gut besuchter Ort und die Warteschlangen sind lang. Sein Ziel: Die Rückkehr in die Schattenmarschen.
In Erfahrung bringen konnte er, dass viele Passagen in Richtung Sharn und letztendlich der Marschen aufgrund der vernichtenden Stürme ausfallen. Lediglich die beiden Elementargalleonen, die Lyrian und die Sevalen, werden in den nächsten Tagen die Karrnbucht überqueren und nach Sharn reisen. Während die Sevalen noch die Fürstentümer durchkreuzt und erst in fünf Tagen in Narrath eintreffen soll, legt die Lyrian gerade im Norden der Stadt, direkt vor dem Hafenbüro, an. Laut dem Hafenarbeiter ist sie eines der schnellsten Schiffe der zehn Weltmeere.
Während Vulgad dort auf der Treppe thront, erkennt er, dass mit der Lyrian etwas nicht stimmen kann. Das Schiff ist von Kerben und Narben übersät. Die Reling ist an mehreren Stellen gebrochen. Der Rumpf wird geziert von kristallenen, glimmenden Glyphen, welche jedoch teilweise zersprungen sind. Letztendlich wird diese Galleone nicht von einem magischem Ring umspannt, wie man es von vielen Lyrandarschiffen kennt, sondern es thronen zwei geisterhafte Schemen aus pulsierenden Wolken hinter den Segeln.
“So habe ich mir das nicht vorgestellt”, seufzt Lassal.
Zwei große Metallwagen mit schweren Holzkisten türmen sich vor dem Verwalter, Joanne, Talen und Sarelo auf.
Die letzten Geschmiedeten welche beim Transport der Spenden hätten helfen können wendeten sich mit den Worten “dafür wurde ich nicht delegiert” und “wartet auf die nächste Transporteinheit” ab.
“Dann müssen wir wohl zweimal gehen, auch wenn ich sehr knapp bei Zeit bin. Vielleicht weiß der Kapitän oder jemand von der Mannschaft Rat.”
Lassal wendet sich wieder ab.
An der Lyrian hält sich schließlich nur noch die völlig entkräftete Besatzung auf, die dabei ist, dass Schiff mühselig wieder zu sichern. In diesem Moment tritt der Marschenländer die Stufen zum Dock hinunter.
Der grobschlächtige Mann ähnelt am meisten einem Jahre alten Baum. Er ist überdurchschnittlich groß, geradezu riesig. Sein kahler von der Sonne verbrannter Kopf betont die gebräunte Maskulinität seines Körpers. Kontrollierte Kraft spricht aus seinen Bewegungen und dennoch schimmert etwas wie Intelligenz in den kalten blauen Augen.
Ihm entgegen stehen ein grüngewandeter, gepflegt erscheinender Elf, der jedoch dunkle Falten unter seinen Augen trägt - ein athletischer, junger und vom Wetter gegerbter Mann - sowie eine junge, dunkelhaarige Frau, welche ob ihrer Sutane sowohl dem Klerus als auch dem Adel angehören könnte.