Als Dorgen davon sprach, dass der Korporal das Verschwinden Amnics nicht allzu ernst nahm, verdunkelte sich das Gesicht von Tunaster deutlich. Verdan meinte sofort wieder diesen Anflug von Wahnsinn in den Augen des alternden Mannes zu sehen. Und auch Dorgen war es, als beschäftigte etwas die Seele Tunasters und belastete sie schwer. "Da könnt Ihr Euch auch sicher sein, dass hinter Amnics 'Abwesenheit' mehr steckt ", antwortete er mit verbitterter, aber zitternder Stimme. "Ich...weiß nicht genau, was mit ihm passiert ist, aber Amnic beschäftigte sich in letzter Zeit wie auch ich mit dem neuen Tempel von Mitternacht. Ihr müsst wissen, er ist der einzige seiner Art in ganz Cormyr. Ich selbst bin schon lange Jahre im Dienste der Mystra, bin viel herum gekommen, habe vieles gesehen und stets Kontakt mit den anderen Klerikern der Mutter der Magie gehalten. Doch ich habe erst sehr spät von dem neuen Tempel erfahren, was ungewöhnlich ist. Sofort bin ich nach Weloon gezogen und habe dort Amnic aufgesucht. Er ist immer bestens über die Geschehnisse in der Stadt informiert und hat mir mehr vom Tempel erzählt. Dabei erwähnte er auch die Tempelvorsteherin Lady Arthas, von der ich noch nie etwas gehört hatte, und man möchte doch meinen, dass eine Frau, die den Vorstand eines solch einzigartigen Tempels übernimmt, in unseren Kreisen bekannt ist. Doch Amnic äußerte mir gegenüber auch Bedenken. Er sagte, er habe den Tempel aufgesucht und die Priester seien ihm seltsam vorgekommen." Tunasters Hände verkrampften sich, bevor er leise, kaum hörbar, weitersprach. "Ich war auch dort. Nur wenige Tage nachdem Amnic verschwunden ist, habe ich mich aufgemacht und wollte mit Lady Arthas sprechen. Ich musste im Hof warten, bis nach fast einer Stunde endlich jemand kam. Ein Mann namens Fembrys. Ja, er trug das Zeichen Mystras und ja, er sprach in ihrem Namen, aber seine Stimme, wie verächtlich sie jedes Mal klang, wenn er ihren Namen nutzte." Er legte eine Hand auf seine Augen, als könne er damit die folgenden Bilder fern halten. "Er wollte mich ins Innere des Tempels bringen, aber...aber ich..." Angst und auch Scham standen ihm nun ins Gesicht geschrieben, als er Dorgen und Verdan ansah. "Aber ich bin geflohen. Ich bin davon gelaufen. Und was im ersten Moment feige klingen mag, war vermutlich die beste Entscheidung meines Lebens, denn als ich über den Hof stolperte, wurde plötzlich mit Pfeilen auf mich geschossen. Könnt Ihr Euch das vorstellen?" Diese Erfahrung schien Tunaster schwer mitgenommen zu haben. Er schüttelte nur den Kopf. "Ich habe natürlich sofort mit Hauptmann Tholl gesprochen, doch er sagte nur, dass die Purpurdrachen schon vor einiger Zeit dort waren, weil es Meldungen über seltsame Lichter und Geräusche des Nachts gebe. Sie haben aber nichts gefunden und ich solle mir keine Sorgen machen. Sie haben mich behandelt wie einen Irren und wahrscheinlich...wirke ich zurzeit auch so. Aber fest steht, dass auch Amnic nicht geschwiegen hat, bevor er verschwand. Er hat Flugblätter gedruckt, in denen er die Priester als falsche und arglistige Täuscher bezeichnet hat. Hauptmann Tholl hat dies dann unterbunden, weil es keine wirklichen Beweise gibt. Das ist das Problem. Wir haben keine Beweise und nun ist unser Ruf dermaßen zerstört, dass man mich am liebsten wegsperren würde und Amnic...wer weiß, was mit ihm geschehen ist. Ich will es mir gar nicht vorstellen." Er brauchte eine lange Zeit, um sich zu beruhigen und wieder einen einigermaßen klaren Gedanken zu fassen. "Aber das Tagebuch. Es ist erst vor kurzem in Amnics Besitz gelangt. Er hat es mir gezeigt. Er sagte, er habe es zuerst seinem Willen unterwerfen müssen, um ein Geheimwort anzulegen. Nur mit diesem Geheimwort kann man es öffnen. Als er das getan hat, hat er ein leeres Buch vorgefunden, das er fortan für seine Aufzeichnungen genutzt hat. Allerdings..." Tunaster sah zu Dorgens Rucksack hinüber. "Er war sich sicher, das zuvor auch schon jemand das Buch benutzt hat. Das heißt, die Seiten müssen gelöscht worden sein. Doch vielleicht ist das Wissen nicht für immer verloren. Vielleicht gibt es dieses Wissen nur preis, wenn es...ach...ich weiß nicht, ich weiß nur, dass es viel redet, wenn es nicht in der Nähe seines Besitzers ist. Wenn ich Euch also einen Rat geben darf, bringt es unter Eure Kontrolle und zum schweigen." Tunaster wirkte müde und abgekämpft nach seiner Erzählung und das Lächeln, das er zuvor für die drei Männer und das Buch erübrigt hatte, war verblasst.