"Nur einen Tag? Da könnt... kannst du ja von Glück reden." Gerade noch erinnerte Fabulon sich daran, dass er mit dem Zwerg ja das Du vereinbart hatte. Merkwürdig eigentlich, dass er das getan hatte. Die Elfen seiner Sippe nannten sich untereinander immer Du. So etwas wie höfliche Distanz gab es bei ihnen nicht. Im Gegenteil, Distanz wäre unter seinen Brüdern und Schwestern wahrscheinlich eher als unhöflich betrachtet worden. Ganz anders empfand Fabulon das bei Agehörigen anderer Völker. Wahrscheinlich lag das daran, dass er sich als Elf von den Menschen und erstrecht von den Zwergen so sehr unterschied, dass er außer der Tatsache, dass alle auf zwei Beinen liefen, wenige Gemeinamkeiten ausmachen konnte. Es fiel ihm schwer, jemanden an sich heran zu lassen, mit dem ihm augenscheinlich so wenig verband.
Plötzlich bemerkte Fabulon, dass er den Zwerg die ganze Zeit angestarrt hatte und rief sich innerlich zur Ordnung. Mit einem Kopfschütteln blickte er nun in seinen immernoch halb gefüllten Weinbecher.
Hatte nicht auch der Zwerg vorhin erwähnt, dass er ebenfalls auf der Suche nach jemandem war? Fabulon fragte sich, ob auch Regadur so etwas wie Trennungsschmerz im Herzen empfand, so wie er selbst, wenn er an seine Schwester und ihr ungewisses Schicksal dachte. Bisher waren ihm Zwerge mit ihrem Auftreten, mit ihren schweren Stiefeln, ihrem Poltern und den klobigen Waffen, mit der rauhen, lauten Stimme, dem manchmal kopfschmerzenbereitendem Gelächter und dem Geruch nach Metall und Anstrengung immer so vorgekommen, als läge in ihrem Wesen eher die Macht der Zerstörung als die Kraft des Erschaffens. Doch jetzt, als Fabulon den Zwerg zum ersten Mal näher betrachtete, fiel ihm auf, dass Zwerge wohl doch mehr als nur das waren, was sie auf dem ersten Blick zu sein schienen. Die Verzierungen von Helm und Rüstung zeigten von einer großen Kunstfertigkeit in der Bearbeitung des Metalls. Verschlungene Linien und Muster bildeten Formen, die vielleicht in der Symbolik der Zwerge eine Bedeutung haben konnten, wie es die im Leder seiner eigenen eingearbeiteten Muster auch hatten. Je mehr Fabulon den Zwerg betrachtete, um so mehr nahm er die Kunstfertigkeit wahr, mit der dessen Ausrüstung gearbeitet war. Sie war anders aber auf ihre Art auch irgendwie... interessant. Sollten Zwerge doch einen Sinn für das Schöne haben?
"Ja... Ja, ich suche jemanden... jemanden, der mir nahe steht." Und nach einem kurzen Zögern fügte er hinzu. "Meine Schwester. Und wenn ich mich richtig erinnere hattet ihr eben auch etwas erwähnt, dass ihr jemanden vermisst."