Sanft folgte Shemiyas Stimme der Melodie, die sie umgab. Sie spürte es, fühlte es tief in ihrem Innern. Nicht nur in ihrem Herzen, nein... noch tiefer. Ganz von selbst kamen die Klänge aus ihrem Mund. Sie sang die Melodie nur nach, auch wenn sie wusste, dass sie außer ihr wohl niemand hören könnte - jedenfalls niemand außer einem Himmelssänger.
Bisher war der Begriff für sie immer nur eine Art Titel gewesen, doch allmählich verstand sie, was er bedeutete. Sie fühlte sich der spirituellen Welt - der Himmelswelt, wie manche sie nannten - tief verbunden, war eins mit ihr. Sie sang ihr Lied, sang das Lied der Natur, der alles durchdringenden Kräfte von Harmonie und Gleichgewicht.
Mit jeder Note, jedem Klang wurde sie mehr eins, konnte bald nicht mehr den Unterschied zwischen ihren Beinen und dem Gras, auf dem sie saß, wahrnehmen. Sie war reine Energie, im steten Fluss so wie das Gewässer vor ihr, und in perfektem Einklang mit sich selbst und ihrer Umgebung.
"Shemiya! Was ist mit dir??"
Tlendrae klang verängstigt, besorgt, doch obwohl sie seine Gefühle wahrnahm, ja sogar mit ihm fühlte, steckte sie seine Sorge nicht an. Sie spürte alles, was sie umgab, und alles, was sie selbst ausmachte, und sie spürte keinerlei Gefahr. Dafür aber etwas anderes, eine Präsenz, eine Macht, fremdartig und doch vollkommen mit ihr verbunden...
"Ich bin Shemiya Iyanami. Ich bin die Herrin des Wassers und ihre Hüterin."
Sie sah zum Fluss, und mit nur einem Gedanken brachte sie ihn dazu, langsamer zu fließen. Nein, das war nicht ganz richtig. Sie floss langsamer. So, wie sie ihren Körper dazu bringen konnte, langsamer zu atmen, brachte sie nun den Fluss dazu, langsamer zu fließen. "Ich bin in allem, Spenderin und Hüterin des Lebens. In mir wirst du stets Trost und Frieden finden."
Ihre Hand glitt zu einem Stein, der vor ihr lag, und sie strich über ihn, fühlte, wie sie auch mit ihm eins wurde, spürte die kalte, harte Oberfläche und die verborgene Wärme in seinem Inneren, spürte...