Alles geschah extrem schnell. Als Eretria ihm erneut drohte und Djarissa auf ihn zukam, betätigte er, was auch immer er in seiner Tasche getragen hatte, und von irgendwo aus seinem Unterschlupf war eine Explosion zu hören - begleitet von Schreien.
Mika sah mit Entsetzen, wie eine der Türen in dem langen Gang, aus dem sie gekommen waren, aus ihren Angeln flog und mit lautem Scheppern und Krachen gegen die gegenüberliegende Wand prallte. Rauch stieg von dort auf, allerdings kein natürlicher: Er war bläulich-violett, und es zischelte seltsam. Die übrigen Gefährten im Gang zogen sich instinktiv davor zurück.
Karak war tatsächlich ein so guter Kämpfer, wie er angekündigt hatte, denn er schaffte es mit Leichtigkeit, Djarissas Angriff auszuweichen. Auch Eretria, die ebenfalls zum Angriff überging, schaffte es nicht, ihn zu treffen. Doch Karak hatte nicht mit Jacquis besonderen Kräften gerechnet.
Zwei steinerne Dornen schossen aus dem Boden, durchbohrten seine Füße und ließen Karak vor Schmerz aufschreien - doch nur kurz, denn dem so festgehaltenen Entführer kam ein weiterer steinerner Dorn entgegen - von oben. Karak musste ihn auf sich zukommen sehen, denn er riss den Kopf nach oben... und die Felsspitze durchbohrte sein linkes Auge, so tief, dass sie am anderen Ende seines Schädels wieder zum Vorschein kam.
So stark Karak eben noch gewirkt haben mochte, so schlaff und leblos hing er nun da, gehalten nur noch von den steinernen Spitzen, die ihn besiegt hatten. Er war tot, es war vorbei.
Eretria starrte den Leichnam einen Moment an, bis sie plötzlich, erschrocken die Augen aufriss.
"Milan!"Sie lief hinaus, zu Mika, zu den anderen, und Jacqui folgte ihr sofort nach. Der giftige Rauch hatte sich verzogen, doch er hatte seine Wirkung getan. Hinter der Tür fanden die Gefährten Karaks Gefangene, zum größten Teil schon auf den ersten Blick im miserablen Zustand - doch es machte ihnen nichts mehr, denn das Gift hatte sie getötet. Sie atmeten nicht mehr, schaumiger Speichel lief an ihren Mundwinkeln herunter.
Doch dann sah Eretria ihn. Begraben von den Überresten der Tür, die durch die Explosion aus ihren Angeln gerissen worden war. Offenbar hatte Milan die Tür gerade im Griff gehalten, als sie herausgeschleudert worden war, und die Wucht hatte ihn mitgerissen - fort von dem Rauch, zumindest ein wenig. In seinem Arm hielt er beschützend ein Mädchen, das ebenfalls noch lebte. Jacqui lief zu ihr, kniete sich weinend neben sie und nahm sie in den Arm.
Milan und Jacquis Tochter hatten überlebt. Als einzige. Doch die Explosion und auch das Gift hatten ihnen dennoch schwer zugesetzt. Beide waren bewusstlos, und schwere Verbrennungen und klaffende Wunden zeigten deutlich, wie knapp sie dem Tod entkommen waren. Wenn sie nicht bald Hilfe bekamen, würde die Zeit nachholen, was Karak nicht geschafft hatte.
Eretria hielt Milan im Arm, so wie Jacqui ihre Tochter, und streichelte sanft sein Gesicht.
"Oh mein Geliebter..." flüsterte sie nur.
Doch dann ertönte ein Geräusch, das sie schon einmal gehört hatten. Ein fernes Dröhnen, und weißer Nebel stieg vom Boden auf. Jacquis Geister waren zurückgekehrt.
Die fremdartige Stimme donnerte in dem Gang.
"Tochter des Alten Paktes, und Geweihte von Mutter Sonne und den zwei Monden. Wir haben euren Teil erfüllt, nun seid ihr an der Reihe."Eretria sah sich um, suchend.
"Milan, er stirbt... seht ihr es nicht? Er braucht Hilfe! Ich erfülle, was ich euch versprochen habe, aber erst...""Erzürne uns nicht, Geweihte!" drohte die Stimme.
"Du hast einen Pakt mit uns geschlossen, und du wirst dich daran halten."Nun mischte sich Jacqui ein.
"Verzeiht, Altehrwürdige. Sie ist mit den Riten und Regeln nicht vertraut. Ich bitte euch, erhört mich. Dieser Mann, und dieses Mädchen, meine Tochter, sie brauchen eure Hilfe. Im Namen des Alten Paktes bitte ich euch, rettet das Leben der beiden. Wir werden euch dafür geben, was immer ihr verlangt."Sie sah zu Eretria, die ihren Blick fest erwiderte und nickte.
"So sei es. Ihr werdet euren ersten Pakt erfüllen, und danach werdet ihr in unseren Hallen bleiben, und die verruchten Sterblichen vertreiben. Ist das erfüllt, dürft ihr gehen. Dafür retten wir die Tochter und den Geliebten."Jacqui schloss die Augen.
"Der Pakt ist besiegelt."Eretria sah zu ihr. Dann tat sie es ihr gleich.
"Der Pakt ist besiegelt."Der Nebel, der bereits kniehoch aufgestiegen war, verflüchtigte sich. Doch während er sich zurückzog, und dabei sanft über die Körper der beiden schwer Verletzten glitt, schlossen sich ihre Wunden, und ihr Atem wurde kräftiger.
"Zwei Dinge noch. Der Schild, den der Geliebte der Geweihten trägt... er gehört hier nicht her. Eure Freunde sollen ihn mit sich nehmen, wenn sie diese Hallen verlassen. Und das Zweite..."Die Stimme verstummte. Eretria jedenfalls hörte sie nicht mehr, auch Mika nicht, und keiner der anderen. Keiner, bis auf Djarissa.
"Du wirst dies brauchen, zu gegebener Zeit."Und dann wurde Djarissa schwarz vor Augen. Gedanken, Erinnerungen, Gefühle strömten auf sie ein, Erlebnisse von Wochen, Erlebnisse von vielen Personen, selbst manchen, die bereits gestorben waren, das spürte sie. All das geschah in Sekunden, wenige Augenblicke, in denen ihr Geist vollkommen überflutet wurde...
Als sie wieder aufwachte, lag sie in einem Zelt. Weiße Zeltplane flatterte leicht im Wind, und draußen waren Stimmen zu hören. Carnazzo, der Gnomenzauberer, saß neben ihr. Er strich gerade seinen weißen Bart glatt, als er ihre geöffneten Augen bemerkte.
"Oh, ihr seid wach! Das ist gut, das ist gut. Ihr habt drei Tage geschlafen, seid einfach umgefallen unten im Gang. Wie geht es euch?"Kopfschmerzen. Das war das erste Gefühl, das Djarissa spürte. Und dann erinnerte sie sich. Gedankenfetzen, Geschichten aus fremden Leben, die ihr von den Geistern geschenkt worden waren. Wenn man es denn ein Geschenk nennen wollte...
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