Pandion kam kurze Zeit später wieder zu den anderen Kundschaftern zurück. "Mein Bote wird die Nachricht in Windeseile überbringen. Meister Xersus wird dann sicher blitzschnell hier sein."
Tatsächlich, das letzte Sandkorn war noch nicht in das untere Glas gerieselt, da begann die Dunkelheit des Weinkellers hinter den Kundschaftern zu wabern. Die Schatten verzerrten sich und ein greller weißer Lichtpunkt erschien in der Schwärze zwischen den Weinregalen. Er begann zu pulsieren und wuchs, nahm eine purpurfarbene Färbung an und weitete sich schließlich zu einem kleinen Tor aus magischer Energie. Plötzlich schrumpfte das Scheibenförmige Loch in der Realität des Weinkellers und der Dämonologe Xersus stand da. Der Gnom war direkt vor einem Weinregal erschienen und der dunkle, verstaubte Hals einer der Flaschen zeigte wie die Spitze einer Lanze zwischen die Augen des Männchens.
"Ups, das war aber knapp.", begrüßte er die Runde. Doch sogleich wurde er ernst und besann sich auf seine Aufgabe: "Was ist genau vorgefallen?"
Aufmerksam hörte er sich den kurzen Bericht der versammelten Kundschafter an. Sein Gesicht verzog sich dabei zunehmend zu einer besorgten Miene. "Ich sehe schon.", meinte er dann nur und öffnete den schwarzen Lederkoffer in seiner Hand. Darin verbargen sich seltsame Messingapparaturen, Kristalle, Räucherwerk und andere Instrumente der Dämonologie. In Bujus Griff konnte der Gnom den Besessenen hervorragend inspizieren.
Eine geraume Zeit setzte er verschiedene Techniken und Instrumente ein, während er sich immer wieder erhob und um den Mann auf dem Boden zirkelte. Dabei murmelte er unverständlich in einem erregten Selbstgespräch vor sich hin und trug immer wieder in krakeliger Schnellschrift etwas in einem völlig zerfledderten Folianten ein.
Für mehr als zehn volle Sanduhren war er ganz und gar in sich gekehrt und reagierte auf keinen Versuch der Kundschafter mehr von dem Schicksal des Mannes auf dem Boden zu erfahren.
Pandion gab den Befehl endlich die Hohepriesterin aufzutreiben und in den Weinkeller zu holen.
"Ich muss eine Extraktion durchführen.", erklärte der Gnom plötzlich. "Extraktion bedient sich psychischer Projektion. Ich werde einen meditativen, tranceähnlichen Zustand einnehmen in dem ich mein Ich in das psychische Reich projiziere in dem dieser arme Kerl da leidet. Ich bin mir nicht völlig sicher was ihn da angreift, und bisher gab es nur Vermutungen über das Reich der Träume und dessen Verbindung zu den formlosen, ursprünglichen Dämonen. Ich hatte ihre Existenz bis zu diesem Moment ernsthaft angezweifelt. Ihr hattet also Recht, Malachias. Es ist keine einfache Besessenheit. Um erfolgreich zu sein, werde ich Eure Hilfe brauchen, Kundschafter. Das Reich der Träume und Alpträume treibt einen sowohl in den Wahnsinn, wie in den Tod und ich kann weder für Eure Gesundheit noch Euren Verstand garantieren, solltet Ihr Euch dazu entscheiden mir zu folgen. Ohne Eure Hilfe wird dieser Mann jedoch sterben"
Etliche Sandkörner rieselten durch die Enge zwischen den beiden Gläsern, bevor Pandion sich zu Wort meldete: "Ich bin dabei, Xersus."
Ahmad ad-Duri al-Bulani, der geheimnisvolle Krieger aus dem fernen Süden, schüttelte den Kopf und trat zurück. Wortlos verließ er den Weinkeller und die Heiligen Hallen Cayden Caileans.