01.01.1042 - Tag des Skorpions - Früher MorgenWie schnell Zeit doch verrinnen konnte. Wie unsagbar exakt und erbarmungslos der Chronist, Marnarn
[1], der hellere der beiden Monde, jedes Körnchen des Sandes der Zeit durch sein Stundenglas rieseln ließ, war von jedem Insassen zu spüren, als man nach dieser viel zu kurz scheinenden Phase der Stärkung durch Speis und Trank bereits wieder laute, gerüstete Schritte vor der immer noch unverschlossenen Tür, welche keinen in Versuchung bringen konnte, hörte.
Die Stiefel, es war nur ein Paar, hielten inne vor der Tür, vielleicht nicht mehr als fünf Schritt entfernt und schienen zu warten. Kurz darauf wurden leisere Schritte hörbar, deutlich schwerer wahrzunehmen, weshalb der Abstand zur Tür auch nicht auszumachen war. Die Person stand auch irgendwo vor der Tür, leise wurden Worte ausgetauscht, welche durch die Tür fast vollends gedämpft wurden
[2].
Es mochte nicht mehr als eine Minute gewesen sein, da öffnete sich die Tür langsam und die beiden Dienerinnen, deren Gesichter euch noch vage vor Augen waren, traten ein, um die restliche Nahrung und die restliche Flüssigkeit, welche immer noch warm war, wieder an sich zu nehmen, samt des Geschirrs.
"Ich bitte euch darum, nichts an euch zu nehmen und eure Tassen und Schalen zurückzustellen. Es ist unfreundlich hohen Herren mit vollem Mund und einem Schmatzen zu begegnen." Das junge Mädchen erntete wütende Blicke der anderen, ihr wohl verwandten, Frau. Durch die offene Tür ließ sich kein Blick auf die gerüsteten Männer oder Frauen erhaschen, welche vor dem Raum stehen mochten. Da der Vorraum relativ eng war, mussten sie wohl vor der anderen Tür stehen. Die Worte, die sie immer noch austauschten, waren nun deutlich schwerer zu vernehmen durch das klimpernde Geschirr und die Bewegungen der beiden Frauen
[3].
Wieder eine Bitte, bereits die zweite, man erkannte einfach, dass diese beiden Frauen nicht aus Chuang kommen konnten. Ein Zivilisierter würde niemals eine Bitte offen vortragen, denn dies bedeutete, sich gesellschaftliche Blöße zu geben. Es war, als würde man jemanden um einen Gefallen bitten. Es war die alte Leier, einen Gefallen zu erflehen, bedeutete sich in die Hände eines anderen zu begeben, was wiederum ehrlos war, während es ehrenvoll war, anderen einen Gefallen zu gewähren. Fremde fanden immer schwer in das Reich Chuang, es war so vieles anderes in diesem Teil der Welt. Aber wer konnte es dann diesen beiden verdenken, schließlich waren sie nur einfache Dienerinnen.
Nachdem sie alle Sachen eingesammelt hatten, verschwanden sie wieder aus dem Raum, die Blicke auf den Boden gerichtet und nicht zu weiteren Worten bereit.
Mit dem Schließen der linken Tür, denn diese war die offene Tür, endete auch das Gespräch der beiden Personen vor der Tür. Die schwere Stiefel setzen sich kurz darauf in Bewegung und die rechte Tür öffnete sich. Nacheinander traten die beiden angekündigten Männer an. Kun Chi ging voran, während der deutlich jüngere Chuang An folgte und die Tür hinter sich schloß, welche sehr leise in Schloss fiel. Chuang An, das wurde sofort ersichtlich, bewegte sich äußerst sanft, rollte den Fuß stets ganz ab und jede Bewegung war fließend. So war sein ganzes Auftreten. Lange, glatte, schwarze Haare waren zu einem Zopf gebunden. Sein Gesicht war schmal und wirkte beinahe ein wenig androgyn, er hatte bis auf die Augenbrauen keinerlei Haar im Gesicht und trug einen sauerkirschroten Hanfu, welcher mit goldenen Stickereien verziert waren, welche zwar kunstvoll, jedoch formlos war. Er trug keine Waffe bei sich, seine graugrünen Augen wirkten jedoch sehr wachsam.
Kun Shi war im Gegensatz dazu von einer Aura der Strenge und der Authorität umgeben, es war gar nicht die Aura des Intellektuellen und Weisen, welche man bei den Worten, welche über ihn verloren wurden, erwarten würde. Zwar trug er keine Rüstung, doch trotz seines hohen Alters war sein Rücken durchgedrückt, sein Gang war leicht obeinig, was für ein Leben im Pferdesattel sprach. Er war bestimmt einen halben Kopf größer als Chuang An und war gut sechs Fuß groß. Sein Haar war bereits schlohweiß, er trug es offen und ohne Kopfbedeckung, was außerordentlich ungewöhnlich war. Kaum ein Beamter setzte jemals seine Kopfbedeckung ab. Sie war sogar ein Teil der Amtskluft. Auch Kun trug einen Hanfu, jedoch komplett in schwarz, nur an den Ränder deutete etwas hellere Stickereien auf eine gewisse Kunstfertigkeit der Tracht. Doch auch er bewegte sich leise und fast vorsichtig. Wie auch Chuag An, trug er leichte Stoffschuhe.
Er blickte auf die Gestalten unter sich und hob den Kopf ein wenig, als würde er warten, warten was passiert.
Auch er trug keine Waffe bei sich, er schien im Gegensatz zu Chuang An angespannt und seine zitternden Augenbrauen verrieten etwas Wut, die er im Bauch hatte. Doch erst einmal wartete er.
Chuang An stand nicht so stocksteif im Raum, wie es der viel ältere Religionslehrer tat, sondern lehnte sich entspannt an eine der kalten Steinwände und blickte etwas spöttisch drein, darauf wartend, dass die Insassen sich der Notwendigkeit des Kotau hingaben, um dann zu sprechen.
"Mörder, Unschuldige, alle in einem Raum, kaum zu trennen, wie es auch für graue Farbe gilt." Die Stimme mochte gar nicht so recht zu der Person passen, während jede Bewegung sachte und weich war, klang die Stimme wie grobkörniger Sand, welcher beim leichten Tritt knirschte.
"Erfreut euch kennenzulernen. Ich bin Chuang An, Siebtgeborener des Chuang Di. Und ich schenke einem von euch meinen Respekt. Viele Verblendete haben in den letzten Jahrzehnten versucht des Lebens meines Vaters habhaft zu werden. Einer von euch hat es geschafft, das verdient einen gewissen Respekt."Er nickte in die Richtung der Denunzianten und stieß sich mit den Schulterblättern von der Wand ab und machte zwei Schritte auf die Teppiche zu und verharrte dort.
"Sie sind alles Barbaren, keiner von ihnen verdient noch Respekt. Es ist nur eine Frage, wieviel der Ehrlosigkeit sie auf sich geladen haben und wie weit sie mit ihren Gedanken sind." Kun Shis Stimme war alt, sie war nicht mehr sehr kräftig und gab im Gegensatz zu seiner Haltung einen wahren Eindruck seines Alters. Sie wirkte fast ein wenig gebrochen und man musste sich anstrengen, um ihm zuzuhören. Er sprach weiter.
"Manche von ihnen sind noch jung und vielleicht zu retten." Er blickte zu Xū Dǎnshí für einen kurzen Augenblick und blickte dann wieder über die Verbrecher hinweg.
"Ich will etwas wissen." Er zeigte auf Sūn Ai.
"Sage mir, was du über ihn," der Finger zeigte auf Lu Chieng,
"weißt und denkst." Auf diese Art und Weise zeigte er auf einen jeden von euch und bestimmte, wer ihm etwas über den Nächsten sagen sollte, während Chuang die Lippen kräuselte und nun urplötzlich gespannt erwartete, was Kuns Befehl für Auswirkungen haben würde. So ergab sich, dass Sūn Ai etwas über Lu Chieng sagen sollte, während dieser etwas über Xū Dǎnshí sagen sollte. Der nun inhaftierte Beamte sollte wiederum etwas über Zhào Làn, die junge Halbelbin etwas über Mako Jinsei, der sich ein Urteil über Hong Gil-Dong bilden sollte. Der Dauergast hatte als Aufgabe, seine Meinung über Oda Zektau preiszugeben, während der Spielzeugmacher selbst diesen Kreis schloss, in dem er etwas über Sūn Ai verraten sollte.
Chuang An entwich ein leises Lachen.
"Das wird spannend." Er schien vom Vorgehen Kuns überrascht, dieser stand jedoch nur herrisch vor den Denunzianten und wartete auf die Ausführung seiner Worte, die er durchaus als Befehl verstanden hatte.
Und weiter ließ der Wissende das Sand der Zeit rinnen...