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Autor Thema: Casus Belli  (Gelesen 84206 mal)

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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #285 am: 22.05.2012, 15:21:15 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 05:41 Uhr - Gut Emkendorf

Major von Stiehle schüttelte den Kopf energisch. "Solange kein ausreichender Beweis erbracht ist, dass die Unterschrift gefälscht wurde, wird die diplomatische Notwendigkeit uns darauf festnageln. Das Problem ist, dass des Grafen von Usedom Aussage nicht reichen wird, um die Briten und die Franzosen von der Wahrheit dieser Fälschung zu überzeugen. Das ist diese verdammte Crux mit diesen Geheimverträgen. Ich sage Ihnen, diese ganze, diplomatische Geheimniskrämerei, sie wird noch ernsthafte Konsequenzen haben. Kaum einer der eigenen Männer weiß, was der Nächste tut, weil er und der andere jeweils ein Geheimnis für die beste Art des Handelns erachtet. Meinethalben sollte man dies im Rahmen eines - wie nennen die Briten es noch - Gentlemen's Agreement[1] verbieten. Wir Preußen predigen doch sonst immer, dass das Flagge zeigen das Größte ist." In des Majors Stimme war ein deutlicher Ärger zu vernehmen über die Ereignisse. "Das ist eine Schuld dieser übertriebenen Diplomatie, welche Ehrlichkeit und Worttreue schwört und doch nur aus Lüge besteht. Und genau deshalb wird Preußen nicht einfach sagen können, dass es eine Fälschung ist, ohne einen Beweis zu haben. Die Feinde Preußens werden das als Wortbrüchigkeit auslegen und versuchen, Preußen damit außenpolitisch zu isolieren. Und darauf bauen der Herzog und die Dänen doch, falls Sie mich fragen, Herr Leutnant. Sie fürchten Preußens Vorgehen und das Preußen die Position des Herzogs in Frage stellt. Und um ein Zeichen zu setzen, hat der Generalfeldmarschall und sein Stab mich damit beauftragt, dieses unmissverständliche Zeichen an den selbsternannten Herzog zu senden, dass wir uns nicht mit einer Fälschung zu einem bestimmten politischen Handeln erpressen lassen. Deswegen erwirkt Preußen, unter anderem, in der Bundesexekution, dass es Sache der Garantiemächte ist, die Ruhe in Schleswig und Holstein wieder herzustellen. Damit wird der Herzog von seinen Befürwortern im deutschen Bund getrennt. Aber dank Ihres Wissen um den Verbleib des Vertrages öffnen sich uns ganz neue Möglichkeit. Wir können diese Lügner und diesen Usurpator bloßstellen und entwaffnen."

Der Major kraulte sich nachdenklich den Bart und wollte scheinbar etwas nachsetzen, als sich die Tür öffnete und der Reiter wieder erschien. Die halbe Stunde hatte der Herzog nicht ganz ausgereizt. Stiehle blickte prüfend auf seine Taschenuhr, die er aus der rechten Tasche seiner Offiziersjacke zog. 22 Minuten waren vergangen. Augenscheinlich war der Major von Stiehle ein ziemlich genauer Beobachter jeglicher Ereignisse, was nicht verwunderte, da er eine Falle erwartete. Thoralf nickte dem Major zu. "Der Herzog ist bereit sie in seinem provisorischen Büro zu empfangen", was der Major nur mit einem Nicken bekräftigte. Er gab Carl das Zeichen, ihm zu folgen, was der blondhaarige, o-beinige Reiter mit einem Schlucken aufnahm. Damit hatte er augenscheinlich nicht gerechnet. "Erlauben Sie, dass ich Sie dem Herzog nochmal gesondert ankündige.", sagte der blondhaarige Reiter plötzlich, doch Major von Stiehle lächelte nur. "Das brauchen Sie nicht, Herr?" Gustav von Stiehle machte eine Pause, um den Namen des Reiters zu erfahren, der jedoch versteinert in der Tür stand und keine Antwort gab. "Der Herzog hat uns ja nun dreißig Minuten warten lassen, da wird er schon wissen, dass wir jetzt erscheinen." Der blondhaarige, junge Mann wollte etwas erwidern, doch da schob sich der Major bereits an ihm vorbei mit Carl im Schlepptau.

Wenige Schritte später standen sie schon im provisorischen Büro, in dem Carl noch vor einer halben Stunden mit der Herzog beim Frühstück saß. Es war noch duster draußen, die Sonne würde erst in einer Stunde wirklich sichtbar werden, wenn das Wetter dies überhaupt zuließ. Carl fiel auf, dass das Frühstück weggeräumt war und der Herzog entspannt im Sessel saß. Er hatte sich eine Pfeife angesteckt und trug eine Art kleine Lesebrille. Er trug jetzt hochwertigere und etwas weiter geschnittene Kleidung, einen ordentlichen Anzug auf dem ein Orden prangte.  Dieser Orden bestach durch seine Schlichtheit, ein Kreuz, auf dem das holsteinische Nesselblatt[2] und die beiden schreitenden, schleswigschen Löwen[3] abgebildet waren. Es hing an einem blau-weiß-roten Band herab. Neben den beiden Wappenteilen standen die Jahreszahlen 1848 und 1849. Ein Erinnerungskreuz an die erste schleswig-holsteinische Erhebung. Der Herzog hatte sich wirklich vorbereitet, trug er nun eine Aura des Trotzes, aber auch des Weltmännischen mit sich herum. Der im Kampf so aufgelöste und danach so nachdenkliche Herzog, er wirkte das erste Mal zum Kampfe gerüstet. Nur kurz ließ er durchblicken, dass er von Carls Auftauchen verwundert war, doch er schluckte seine Verwunderung schnell wieder herunter, aber an Stiehles Lächeln erkannte Carl, dass Stiehles kurzgefasstes Manöver erfolgreich gewesen war.
Der Herzog stand auf und begrüßte den Major förmlich. Der Herzog schien zu riechen, dass Preußen ihn nicht anerkannte und dementsprechend auch nicht die Förmlichkeit entgegenbrachte, die er als Herzog in dieser Situation gerne gesehen hätte.
"Seien Sie mir gegrüßt, Major von Stiehle. Was bringen Sie für Kunde aus Berlin?"
Major von Stiehle nahm die Hand des Herzogs entgegen und hielt dann die Offiziersmütze hinter dem Rücken.
"Aus Berlin? In erster Linie bringe ich Nachrichten aus Frankfurt. Der Bundestag beschließt in diesem Moment die Bundesexekution gegen Holstein. Meine Nachricht aus Berlin ist eine Konsequenz dieser Nachricht, Herr von Augustenburg-Sonderburg." Der Herzog verzog das Gesicht, als Major von Stiehle den Herzog wie einen Zivilisten ansprach. Zwar hätte von Stiehle ihn immer noch wie einen Adeligen ansprechen müssen, aber der Major erhob sich über diese Etikette, augenscheinlich um den Herzog zu provozieren, was ihm gelang. "Ihr selbsterklärter Regierungsanspruch endet hiermit. Sächsische und hannoveranische Truppen werden die Bundesexekution noch vor dem Weihnachtsfest durchführen. In Anbetracht dessen, wie viele holsteinische Truppen desertiert sind und dem dänischen König und ihnen die Gefolgschaft verweigert haben, wird es externen Bundesmitglieder brauchen, um sie alle zur Räson zu bringen. Der preußische Ministerpräsident bietet ihnen Folgendes an: Sie reisen noch heute mit mir nach Kiel und erklären dort ihre Proklamation für ungültig und verhindern, dass Sie sich zum Landesherrn ausrufen lassen. Im Gegensatz erhalten sie einen Altersruhesitz und eine Rente für Sie und Ihre Familie. Wir brauchen nicht darüber streiten, dass Ihre Thronbesteigung - wie Sie diese gern nennen - unrechtmäßig ist."
Der Herzog bekam einen wütenden Blick, aber atmete einmal tief durch, ehe er antwortete. "Mein lieber Herr Stiehle." Auch er nahm Stiehle den Adelsrang. "Sie nehmen sich in meinem Haus ganz schön viel raus. Sie vergessen, dass ich in Besitz des Vertrages bin!" Hilfesuchend blickte er zu Carl, als ob dieser es bestätigen könnte und ließ seine Worte zur Drohung werden. Stiehle verzog das Gesicht, aber Carl erkannte, dass er mitspielte. Dafür, dass er die Diplomatie so sehr verachtete, spielte Stiehle dieses Spiel ziemlich bravourös. Er antwortete verärgert. "Und warum bekommen unsere Botschafter dann nicht die versprochenen Abschriften?" Diese Aussage ließ des Herzogs Blick augenblicklich weicher werden, scheinbar wähnte er sich darin, dass Carl dem Preußen noch nichts über den Verlust des Vertrages gesagt hatte. "Sehen Sie, Major von Stiehle", gewann der Herzog nun seine Fassung zurück und zeigte auf den Orden. "Dieses Erinnerungskreuz ist aus den Kanonen der Christian VIII.[4] hergestellt, als Zeichen unseres Widerstandes. Ein solcher Widerstand braucht ein gewisses Fundament und als solches, eine sehr sorgfältige Arbeit. Gerade wenn es um die selbstbestimmte Freiheit eines Volkes geht!"
Major von Stiehle schaubte verächtlich und schaute dann lächelnd zu Carl. Die rechte Augenbraue des Herzogs zuckte kurz, als er dem Blick folgte. Stiehle wollte, dass Carl seine Meinung äußerte. Das war unmissverständlich.
Damit zwang Stiehle von Lütjenburg dazu, Flagge zu bekennen. Er lenkte Carls Preußentum mit voller Kraft gegen des Herzogs Ambitionen. Doch welche Konsequenzen würde es haben, wenn Carl sich jetzt entschied? Wenn er sich jetzt für von Stiehle aussprach, dann würde die Macht des Vertrages an diesem Ort schwinden. Die Preußen würde klar machen, dass sie dem Vertrag keine Bedeutung mehr beimessen würden und versuchen würden, ihn aufzuheben. Ja, Carl konnte gut abschätzen, was sein nächster Auftrag sein würde. Er würde den Vertrag besorgen müssen. Stiehle machte, obwohl er kein Wort darüber verlor, keinen Hehl daraus. Es war die unweigerliche Folge. Gleichzeitig sprach von Stiehle davon, dass Sachsen und Hannover die Bundesexekution in Holstein umsetzen würden, aber gleichzeitig mobilisierte sich die preußische Armee. Es konnte nur bedeuten, dass Preußen mit Widerstand rechnete und glaubte, dass die Bundesexekution alleine nicht reichte. Carl stand vor einer schweren Entscheidung: sich auf einen scheinbar gefälschten Vertrag verlassen und dafür Frieden wahren, so er brüchig er auch erst einmal sein mochte, oder sich für Preußen aussprechen, wie es seiner Gesinnung geschuldet schien und dafür seine Heimat mit Krieg überziehen...oder gab es einen Ausweg aus diesem Dilemma?
 1.  Gentlemen's Agreement
 2. Nesselblatt
 3. Schleswigsche Löwen
 4. Christian VIII. (Segelschiff)
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #286 am: 24.05.2012, 21:53:27 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 12:18 Uhr - Christian-Albrechts-Universität - Alter Hörsaal

"Aber natürlich steht Ihre Familie nicht zurück.", wandte Seelig sich dazwischen, und jetzt haftete ihm wieder das Kollegiale, das Gemeinschaftliche an. "Darum sollen wir uns unverzüglich kümmern, denn ich erachte Ihren Vorschlag des Publizierens für achtbar und richtig! Ich rede schon die ganze Zeit davon, dass ein Volk nicht nur eine Stimme braucht, sondern auch einen Grund sie zu erheben. Und die Machenschaften sich selbst gegenseitig als groß bezeichnender Männer aufzudecken, das deucht mir wirklich, könnte das vor den Kopf gestoßene Holstein aufwecken und auch jene jenseits der Eider, welche das Herz am rechten Flecke sitzen haben!" "So ein Kladderadatsch[1], mein guter Seelig!", wand Theodor Mommsen mit scharfer Stimme ein und mühte seine Haare wieder in einen Scheitel mit einer Hand. "Mit solchen Aussagen landen Sie nicht nur in dieser Zeitschrift[2], sondern Sie zeigen sich selbst wieder sich selbst höchst satirisch! Dass Demokratie eine Volksstimme will, heißt noch lange nicht, dass jeder ein Interesse daran hat. Demokratie muss sein, aber wir dürfen nicht darauf hoffen, dass sich jeder erhebt, nur weil wir zur Fahne rufen. Es muss drastischer sein! Wir müssen jeden Schleswiger und jeden Holsteiner an den Hörnern packen und ihm sagen, dass es ihm wehtun wird, wenn er nicht seine Stimme erhebt. Ihm wehtun wird, weil sie allerlei Mäuler von Nichtholsteinern und Nichtschleswigern füttern müssen. Der Vertrag alleine kann nur eine Grundlage sein. Eine simple Grundlage, auf der wir ein Bedrohungsszenario aufbauen müssen." Mommsen schlug zur Verdeutlichung nun auf den Tisch. "Ein Mensch ist kein Zoon politikon[3], zumindest nicht, wenn er keinen guten Grund hat, einer zu sein. In Mensch in Zufriedenheit denkt nicht so sehr über gemeinschaftliche Notwendigkeiten nach wie einer, der in der Krise lebt und leidet." Mommsen zeigte nun auf die beiden Nobelbrüder. "Sein Sie mir nicht böse, Herr Nobel, aber ich nehme Sie als Beispiel. Sicher haben Sie ein Interesse an einem konfliktfreien Aufbau ihrer Fabrik, aber sein wir doch ehrlich, ohne Ihre Furcht um Familie und durch diesen schicksalshaften Fall, dass Sie den Vertrag besitzen, würden Sie nicht in diesem Umfang partizipieren. Das will Ihnen nicht verübelt sein, zumal Sie auch nicht von hier stammen. Was ich damit verdeutlichen will, ist, dass es immer einen besonderen Auslöser dafür braucht, dass ein Mensch sich betätigt. Oder hat irgendeiner der Anwesenden davon gehört, dass März 1848 eine Veranstaltung aus Jux und Dollerei war? Haben die Amerikaner einen Unabhängigkeitskongress[4] gegründet, weil sie ohne Grund Autarkie und Autonomie anstrebten? Hatte die französische Revolution[5] nicht einen trifftigen Grund? Oder die Bauernkriege[6] des frühen 16. Jahrhunderts? Unsere Aufgabe ist es, die Menschen hier an die Gründe zu erinnern und ihnen lebhaft vor Augen zuhalten, wofür und warum sie streiten müssen. Demokratie ist nichts, was man einfach nennt, wie ein Zauberwort, und schon ändert sich die politische Lebenswirklichkeit. Zu Demokratie muss man hart erziehen und hart erzogen werden! Also sage ich ja, wir machen das publik, aber wir kommentieren das. Wir verfassen einen Aufruf an das schleswigsche und an das holsteinische Volk, aber wir sprechen auch gesondert die Friesen und die Dithmarscher an. Es muss groß angelegt sein, wenn wir so einen Vorstoß wagen, denn wir werden Preußen damit vor das Schienbein treten. Und da sollte man sich zurecht fragen - wollen wir das? Und wenn wir zurecht ja sagen, müssen wir mit dem Echo klarkommen! Denn klar ist, dass Preußen den selbsterklärten Herzog einfach übergehen, da er nicht mal uns als Stütze hat, aber ein entschlossenes Volk kann Preußen nicht einfach bekämpfen im Rahmen des deutschen Bundes!"

Thaulow hob die Hand und mischte sich ein. "Dieses Schienbeinbild gefällt mir." Er fuhr sich ebenfalls durch die wilden Haare. Seine Stirn war schweißnass, wie bei fast allen Anwesenden. Ein Zeichen, dass sie mit Inbrunst dachten, atmeten, diskutieren. "Ein Freund schickt mir immer den Münchener Bilderbogen[7] hierher, weil er sich dort über die religiösen Themen immer so aufregen kann. Dort bei dem Verlag gibt es einen Zeichner namens Wilhelm Busch[8], der die Geschichte von Max und Moritz[9] schreibt. Zwei Lausbuben, die allerlei Schnabernack treiben. Auf jeden Fall gibt es dort als Gepiesackten den Onkel Fritz. Ich kenne nicht die ganzen Geschichten und Inhalte, aber in diesem Fall soll Preußen - nicht zu letzten dank des Alten Fritz[10]  - Onkel Fritz sein und wir Schleswiger und Holsteiner sind dann wohl Max und Moritz. Wir sollten vorsichtig sein mit dem Streiche treiben!", ermahnte Thaulow in seiner ungemein komplizierten Art, viel zu reden und doch weniger zu sagen, als er eigentlich wollte. Aber es war sogar Himly, der ebenfalls kritische Gedanken teilte. "Die preußische Geheimpolizei[11] ist hier häufig gesehen wurden, einer ihrer Männer war sogar während der Vorlesung hier, trotz Gustavs Vorsicht versteht sich. Wer weiß, was die Preußen mit dem Vertrag selber bezwecken. Ich glaube jedoch nicht, dass sie wirklich mit Friedrich rechnen, eher gegen Friedrich. Vielleicht wollten die Preußen sich selbst Zeit erkaufen, bei der dort laufenden Verfassungskrise[12]? Wie dem auch sei, ich halte eine gewisse Geheimhaltung für notwendig, um unser Vorhaben nicht zu früh zu riskieren. Ich sage deshalb, dass wir zusammen zu Oberstwachtmeister van Widdendorp gehen und, dass wir ein paar Holsteiner zusammenstellen, die Ihre Familie, Alfred, in Sicherheit bringt. Dann haben wir das schonmal geschafft! Während Ihre Familie in Sicherheit gebracht wird, reisen wir zum Herzog und überzeugen ihn davon, dass er zu Gunsten eines Parlamentes seine Regentschaft abgibt. Mit seiner Zustimmung, dass er seinen Erbanspruch zurückstellt, machen wir den Vertrag publik und erhalten in diesem Augenblick automatisch den Zuspruch aller deutschen Länder bis auf Preußen und Österreichs. Das ist an sich nichts wert, da Preußen und Österreich zusammen zu viel Stimmengewicht haben. Allerdings ist Preußens Unterschrift unter diesem Vertrag, weshalb Preußen die Garantiemächte aufklären muss und somit auch England und Frankreich überzeugen muss, dass dieser Konflikt um die Grenzen nur durch den eigenen Willen Schleswig-Holsteins zu beenden ist. Österreich sind derweil auch die Hände gebunden, weil es keine Ressourcen hat, um einzugreifen. Ein falsches Verhalten, wie Albert festgestellt hat, und dieses Pulverfass des Panslawismus[13] explodiert. Ich denke, so sollten wir vorgehen. - Wohlbemerkt ist das in Sicherheit bringen nur eine Vorsichtsmaßnahme! Denn wenn wir den Herzog innerhalb der nächsten 72 Stunden überzeugen, besteht sowieso keinen Grund mehr für die Nobels, um ihr Leben zu fürchten. Die Sache wäre erledigt!"
Karsten verkündete für seine Verhältnisse mit stürmischen Beifall seine Zustimmung und auch Seelig zeigte sich doch davon überzeugt, doch alle anderen verfielen in Diskussionen und Getuschel, von dem sich nur Hänel etwas trennte.

"Ich kann es versuchen, aber es wird schwer sein und einen oder zwei Tage in Anspruch nehmen.", antwortete Hänel schließlich auf die Frage Alfreds, während die anderen Professoren weiterstritten und sich darin überboten, wer mehr Ahnung von Demokratie hatte. Gelehrte Männer hatten ihren Stolz und das zeigten sie hier deutlich, wobei Himly und Seelig vor allem auf die Nobels und deren Not verwiesen, während gerade Mommsen und Thaulow der Meinung waren, dass die Sache der Nobels zwar wichtig war, sich aber den holsteinischen Willen unterzuordnen habe. Ribbeck brachte sogar den Utilitarismus[14] hervor, um Mommsens Sicht zu unterstreichen, auch wenn er als einziger nicht klar machte, auf welcher Seite er stand. "Und es könnte gefährlich sein, wenn wir jemanden eine Fälschung unterjubeln. Urkundenfälschung ist ein ziemlich großer Straffall. Woran denken Sie dabei, Herr Nobel?"
Die letzten Worte nahmen die Disputierenden wahr und interessiert blickten sie wieder zu Alfred Nobel, während Emil verkniffen reinschaute. Dieses Politische war scheinbar nichts für ihn, aber Alfred sah, dass er sich ärgerte, dass man - wenn auch nur andeutungsweise - so leichtfertig über die Leben der Familie Nobel sprach.
 1. Kladderadatsch
 2. Hier ein Link zur Ruprecht-Karls-Universität, die alle Ausgaben des Kladderadatsch digitalisiert vorhält. - Ich verlinke auch gleich auf ein interessantes Gedicht aus dem Dezember 1863. :)
 3. Zoon politikon
 4. Kontinentalkongress
 5. Französische Revolution
 6. Deutscher Bauernkrieg
 7. Münchener Bilderbogen
 8. Wilhelm Busch
 9. Max und Moritz - Wer dieses Originalbuch kennt, weiß ja, wie die Geschichte endet... :wink:
 10. Friedrich der Große von Preußen
 11. Preußische Geheimpolizei
 12. Preußischer Verfassungskonflikt - An dieser Stelle sei auch an Bismarcks berühmte Blut und Eisen-Rede erinnert.
 13. Panslawismus
 14. Utilitarismus
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #287 am: 28.05.2012, 21:17:15 »
Carl hatte das Wortgefecht zwischen von Stiehle und dem Herzog schweigend verfolgt, während er ein wachsames Auge auf ihre Umgebung hielt. Er hatte gerade zur anderen Seite geblickt als von Stiehle ihn stumm dazu aufforderte Farbe zu bekennen, weshalb er erst verspätet darauf reagieren konnte. Vorbereitet war er auf dieses Bekenntnis rein gar nicht, weshalb quäland langsame Sekunden verstrichen bevor Carl etwas sagte.

Fieberhaft ging er alle sich ihm ergebenden Lösungsmöglichkeiten im Geiste durch, denn er war sich sehr wohl bewusst, das ee in diesem Augenblick über einen möglichen Krieg in Schleswig-Holstein entscheiden würde. Er hatte als Junge dieses Land verlassen und es war damals sein Wunsch gewesen wiederzukehren und es dem dänischen Einfluss zu entreißen. Dennoch wusste er nun als ausgebildeter Soldat in etwa was ein Krieg für Schleswig-Holstein und seine Bevölkerung bedeuten könnte. Wenn es eine zufriedenstellende Möglichkeit gäbe, Preußens Interessen, und für Carl war dies gleichbedeutend auch deutsche Interessen, zu wahren und denn noch einen Krieg zu umgehen... Carl hätte sie mindestens in Erwägung gezogen. Doch er sah sie nicht. Die Tatsache dass der Vertrag gefälscht war und der Herzog auch noch so stolz auf diesen schien, ärgerte Carl maßlos. Wie konnte man die Freiheit eines Volkes mit solchen Methoden zu erlangen versuchen?

Carl registrierte, dass er schon eine gewisse Zeit lang stumm geblieben war, wo man von ihm erwartete zu reden und das Erinnerungskreuz des Herzogs ansah. Für ihn symbolisierte es keinen Widerstandsgeist, sondern lediglich den flickenteppichhaften Lokalpatriotismus der klein machte, was eigentlich groß und großartig sein sollte.

"Die Christian VIII.", sagte er ruhig und blickt dem Herzog nun ins Gesicht "Ich habe davon gelesen, als ich gerade ein paar Monate in Berlin war. Wieviele wurden davon angefertigt? Für wieviele hätten die Kanonen ausgereicht? Die Dänen hätten sicherlich ein Vielfaches an Erinnerunsgstücken aus den Geschützen fertigen können, die sie damals erbeutet hatten. Erinnerungen in Stahl gehauen, die noch heute die Fortschrittlichkeit einer Nation gegenüber einem Herzogtum anpreisen würde. Dieser Orden bedeutet im Augenblick nur ihren eigenen Widerstand, ihre Weigerung die Realität als solche anzuerkennen. Dieses Volk, um dessen selbstbestimmte Freiheit es ihnen geht gibt es nicht mehr. Es spricht die gleiche Sprache wie das Volk in der Mark oder unsererseits des Rheins. Und ja, es ist eine Schande, dass es teils immer noch von Dänen beherrscht wird, aber wie kann es sein, dass sie es davon befreien wollen aber man hier kaum einen Holsteiner sieht? Und wie können sie es verantworten Freiheit durch gefälschte Verträge zu erlangen?"

Carl Stimme war schneidend und dringlich, aber dennoch hatte er nicht geschrien, wenngleich man ihm seine Empörung auch durchaus anmerken konnte. Tief atmete er einige male durch, um sich wieder zu beruhigen und setzte noch einmal an.

"Ich habe Herrn von Stiehle über den Verbleib des Vertrages unterrichtet und auch um die ganze Situation um diesen herum. Mit ihrem Verhalten tun sie weder sich selbst noch unserer Heimat keinen Gefallen, also erbitte ich sie im Interesse aller den Wünschen des Herrn Ministerpräsidenten zu entsprechen."

Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #288 am: 30.05.2012, 00:39:50 »
"Zunächst einmal", erklärte sich Samuel, "hatte ich nicht die Absicht, jemanden zu beleidigen. Aber ich bin weder ein Politiker, noch in allen Details mit den Kämpfen vertraut, die Sie, meine Herren, früher ausgefochten haben. Noch dazu bin ich erst sehr kurz in der Stadt und möchte nicht behaupten, auch nur einen in der Runde wirklich zu kennen. Meine Fragen mögen naiv erscheinen, doch ich stelle lieber eine naive Frage zu viel, als eine entscheidende zu wenig. Meine Absicht ist lediglich, ein sehr komplexes Gebilde in sehr kurzer Zeit zu verstehen, und nicht, irgendwen zu beleidigen. Oder, um es anders auszudrücken, Herr Seelig - ich versuche nicht, Ihnen das Alphabet beizubringen, sondern mir die mir noch fehlenden Buchstaben aufzudecken."

Mit einem respektvollen, aber keinesfalls unterwürfigen Nicken wandte er sich an Seelig. "Aber Ihre Worten überzeugen mich und beantworten auch gleich einige der weiteren Fragen, die ich ansonsten gestellt hätte. Auch verstehe ich den Mangel an Zeit. So müssen wir also mit Wissenslücken leben. Wie bei einem guten Schachspiel allerdings würde ich nicht aufs Risiko gehen, sondern versuchen, jede andere Figur, die ein Schach erzwingen will, zunächst ihrerseits in eine bedrohte Stellung zu positionieren. Hierfür brauchen wir weniger Zeit, als Intelligenz. Und ich denke, davon ist genug in diesem Raum vorhanden."

Damit wandte er sich an Mommsen, und nickte auch ihm respektvoll zu. "Und auch Ihre Worte passen auf das Schachbrett, denn ja, wir müssen alle Figuren mobilisieren, die auf unserer Seite stehen - selbst die, die lieber dort stehen bleiben würden, wo sie gerade sind. Sie müssen begreifen, dass sie vielleicht geschlagen und vom Feld genommen werden, wenn sie nicht selber handeln."

Samuel wusste nicht genau, ob seine Stimme in dem allgemeinen Getuschel und Gerede überhaupt wahrgenommen wurde, doch setzte er schlicht auf die Stärke seines Organs. "Aber um in mehr als nur Metaphern zu sprechen. Sie, meine Herren, sprechen davon, die besten Figuren an vorderster Front kämpfen zu lassen. Der Gedanke, Friedrich zu einer Machtübergabe an ein Parlament zu motivieren, geht schon eher in die richtige Richtung. Bringen wir auch die übrigen gegnerischen Figuren dazu, sich dorthin zu bewegen, wo wir sie haben wollen! "

Er wandte sich an die beiden Nobel-Brüder. "Würden Sie es vorziehen, in Sicherheit gebracht zu werden, bis alles vorbei ist? Oder lieber die Attentäter aus ihrem Loch locken, und sie zu Fall bringen?" Er drehte sich zurück zu den übrigen Professoren. "Und was ist, wenn Preußen oder Österreich noch etwas in der Hinterhand hat, von dem wir nichts ahnen? Bringen wir sie vorab zu einer Zusage. Sind irgendwelche bedeutenden preußischen oder österreichischen Männer in der Stadt?"

Ein überraschender Eifer hatte Samuel gepackt, während er Pläne schmiedete. Er sah bereits das Ergebnis vor sich, nur war ihm die dazu gehörige Formel noch nicht ganz bekannt. Doch sie offenbarte sich, Stück für Stück.

"Meine Herren, wir müssen Mittel einsetzen, die man uns nie zutrauen würde. Unser Erfolg kann nur in der Überraschung liegen."
« Letzte Änderung: 30.05.2012, 00:41:09 von Samuel Weissdorn »

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #289 am: 03.06.2012, 23:52:31 »
"Aber eben die heimlichen Mittel zu einer riskanten Überraschung halte ich für viel zu gefährlich,", antwortete Alfred mit zusammen gekniffenen Augenbrauen dem neu ernannten Dozenten der Universität. "Herr Himly sagte schon, dass die PGP in Ihrer Vorlesung vertreten war. Ich kann nicht daran zweifeln, dass man meinen Bruder und mich gesehen hat. Nehmen Sie an, dass der Geheimdienst über den Verbleib des Vertrages weiß, dann sind diesem Dokument mittlerweile der Herzog, Dänemark, Preußen und für wen auch immer Lavalle arbeitet auf den Fersen! Verwechseln Sie meine Bedenken bitte auch nicht einzig als die Sorge um unser Wohl," bat Alfred mit einer Geste auf Emil, kam jedoch umher, den vorwurfsvollen Blick seines Bruder zu bemerken, "denn wenn der Vertrag verloren gehen würde, so hätten Sie kein Mittel mehr in den Händen."

Mit einem unzufriedenen Blick senkte Alfred den Kopf und kratzte sich an seinem langsam kahlenden Hinterkopf. Als wäre ihm gerade wieder eingefallen, dass er sie noch besaß, zog er seine goldene Uhr aus der Westentasche und prüfte die Zeit. Er wusste genau, dass wenn sie wollten, sie noch lange hier sitzen bleiben konnten, doch jede Minute, die ohne einen Entschluss verstrich und ohne Tätigkeit blieb, war Gift für die Sache Schleswig-Holsteins.

"Ich denke, ich stimme Ihnen schlussendlich zu, Herr Himly", antwortete Alfred also, verstaute seine Uhr und sah den Professor mit einem herausfordernden Blick an. "Die Überzeugung Herzog Friedrichs, die Publikation des Vertrages. Doch unter dem Zeitdruck und der Gefahr, welchen der Besitz der Urkunde ausgesetzt ist, muss ich darauf bestehen, die Reihenfolge umzukehren. Wenn es gelingt, den Vertrag schnell abzustoßen und öffentlich wirken zu lassen, dann sitzt derSache nicht mehr die lauernde Gefahr Preußens oder Dänemarks im Nacken. Friedrich zu überzeugen wird sich als Schwierigkeit darstellen, gleich, wie die außenpolitischen Mächte wirken."

Mit gespreizten Fingern tippte Alfred auf das Pult, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. "Ich sehe durchaus ein, dass die Versuchung nahe liegt, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Zum einen geht es um die Unabhängigkeit, zum zweiten um eine Demokratie in Schleswig-Holstein. Doch ich kann mir nicht denken, wie der Vertrag Ihnen bei der zweiten Sache zu helfen vermag, als dass es das Risiko lohnt, Zeit zu vergeuden. Die Zeit wird einer Ihrer ärgsten Feinde sein, meine Herren."

Mit einem bitteren Gesichtsausdruck rieb sich Alfred die Stirn, während er den Männern in die Gesichter blickte. Am Ende hatte der Schwede es also doch geschafft, in die politischen Machenschaften eines fremden Landes einzugreifen. Tief holte Alfred Luft und zog ungläubig über sich selbst die Augenbrauen in die Höhe über das, was er als nächstes sagen würde.

"Sehen Sie, ich bin bereit meinen Teil zu leisten. Es geht noch immer um die Sicherheit meiner Familie, die Sache muss beendet werden. Wenn Sie sich davon überzeugen lassen, den Vertrag alsbald wie möglich zu publizieren, will ich ihn persönlich zur notwendigen Stelle überbringen. Ursprünglich dachte ich daran," sprach Alfred weiter und warf einen beantwortenden Blick auf Professor Hänel, "eine Kopie des Dokumentes an Lavalle oder gar de Meza zu liefern, mich quasi von der unfreiwilligen Schuld der Erpresser zu entbinden. In der Absicht, den Vertrag ohnehin zu veröffentlichen, wäre Ihrer Sache damit auch nicht geschadet. Aber ich fürchte, dazu wird die Zeit nicht mehr genügen. Nun, vielleicht lässt sich ja Herr Rosenstock dazu überreden, zu meinem und meines Bruders Schutz uns zu begleiten? Es würde jedenfalls sehr unserem Gewissen dienen."

Lächelnd nickte Alfred Conrad zu, der noch immer in voller Montur vor ihnen Stand. Der Schwede war sich bewusst, dass die Angelegenheit sehr gefährlich werden konnte. Doch ebenso konnte er sich nur vorstellen, dass je mehr Zeit verging, die Gefahr schlussendlich ihn finden würde.

"Nichtsdestotrotz brechen Sie, werte Herren, unverzüglich zu Friedrich auf und leisten dort die notwendige Überzeugungsarbeit. Ich kann Ihnen nur zustimmen, dass dieses Vorhaben nicht minder wichtig ist als die Publikation der Urkunde. Und Sie sehen, im Endeffekt wird es kürzer Dauern mit einem Herzog zu sprechen, als eine Kopie des Dokumentes nach Österreich oder London zu befördern. Schlussendlich bitte ich Sie nur darum, keine verzichtbaren Risiken einzugehen.[1]
 1. Diplomatie 18
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #290 am: 17.06.2012, 22:08:12 »
Während Alfred sprach, schüttelte Samuel mal den Kopf, mal nickte er zustimmend. Schließlich kommentierte er die Worte des Schweden, als dieser fertig gesprochen hatte. "Ich kann mich mit der grundlegenden Linie dieser Pläne durchaus anfreunden, halte sie aber in dieser Form immer noch für zu riskant. Wir haben es mit Regierungen und mit Attentätern zu tun. Eine falsche Begegnung zur falschen Zeit, ein treffsicherer Schuss, und der Traum kann zerplatzen, vom verlorenen Leben mal ganz abgesehen. Mindestens sollten wir Verwirrung stiften - eine falsche Fährte für den Vertrag, Gerüchte, dass man die Herren Nobel wo gesehen hat, wo sie sich nie aufgehalten haben... die größte Gefahr, der wir uns stellen müssen, ist, dass unsere Gegner irgendetwas zu früh erfahren. Also geben wir ihnen Informationen, aber falsche. Vielleicht können wir mit Gerüchten auch die Volksseele aufheizen und bereit machen für den Kampf gegen die Demokratie. Wir könnten die Veröffentlichung des Vertrags auf diese Weise sogar, sagen wir, emotional vorbereiten."

Dann wandte er sich wieder an seine Kollegen von der Universität. "Was ich mir noch nicht ganz vorstellen kann, wie Friedrich zur Aufgabe bewegt werden soll. Welchen Vorteil sollte er davon haben? Er muss entweder beim Beibehalten seines Kurses zu viel zu verlieren haben, oder bei einer Kursänderung genug zu gewinnen - oder beides. Was genau sollen sein Gewinn oder sein Verlust sein, mit der er zum Verzicht bewegt werden soll?"

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #291 am: 18.06.2012, 15:46:25 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 05:46 Uhr - Gut Emkendorf

Die Augen des Herzogs bekamen ein verärgertes Funkeln, wie ein Schatten legte es sich über die sonst eher hellen Augen des Mannes, der sich nach dem Erbrecht, welches formell tatsächlich bei ihm liegen dürfte, vielleicht sogar zurecht an der Spitze Schleswig und Holsteins wähnte. Und selbst wenn dies so wahr, zeugte doch Carl von Lütjenburgs Reaktion und die von Major von Stiehle doch davon, dass man dem Herzog - ob nun selbstproklamiert oder erblich legitimiert - gar keine Wahl lassen wollte. Aufgrund welcher Entscheidung sah Preußen und sah auch Dänemark seine Herrschaft für überholt? Die Antwort war in den Augen des Prätendenten[1] Friedrich deutlich zu lesen. Der Expansionswille Preußens und Dänemarks sprang ihn geradezu in dieser Dreistigkeit an, dass es das erste Mal Wut war, welche die Mimik des Mannes aus dem Hause Oldenburg[2] beherrschte. Er bewegte die Lippen und drohte loszupoltern und gerade noch sagte ihm eine Vernunft, dass ein Ausbruch fehl am Platz war. Stattdessen kniff er die Lippen zusammen, setzte sich hinter seinen Schreibtisch und schlug die Beine übereinander, wie er auch die Hände ineinander legte und blickte Stiehle und Lütjenburg für eine Weile still an.

Schließlich sprach der Mann, der sich deutlich angegriffen fühlte und er suchte sich einen ausweichenden Weg. "Dänemark ist keine Nation[3], Herr von Lütjenburg. Zwar gibt es dänische Nationalisten, aber Dänemark ist ein sogenannter Gesamtstaat[4], eine multikulturelle, völkerübergreifende Macht, welche mit der Flagge eines Möchtegernnationalstaates seine expansive Politik verteidigt. Dänemark ist eigentlich ein kleines, verhungertes Österreich, wenn Sie so wollen. Aber in Ihrem Missverständnis über die Worte eines Volkes, der Nation und dergleichen beweisen Sie Ihr Unverständnis über die Situation, Herr von Lütjenburg und Herr von Stiehle. Nicht nur ist Ihr Opportunismus ekelerregend," Er verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, "sondern Ihr Versuch, mir die preußischen Wünsche zur Realität diktieren zu wollen, sehr bedenklich. Sie beziehen Ihre Meinungen auf Gerüchte und eigene, unvollständige Beobachtungen. Es gibt in Schleswig genug Menschen, die dänisch aus Überzeugung sprechen, weil ihre Väter und ihre Urväter bereits dänisch sprachen und es gibt jene, die deutsch sprechen. Gehören die dänischen Menschen Schleswig-Holsteins nicht mehr dazu, weil Preußen es nicht will? Preußen und Dänemark sind wie ein Spiegelbild voneinander. Wo die Dänen alles Deutschtum aus Kirche und Schule drängen wollen, wollen es die Preußen genau andersherum, um irgendwelche stillen Hoffnungen auf dieses Kunstwort der Nation zu erhalten. Was hat das mit Realität zu tun? Die Realität ist," Der Herzog schlug mit der Faust auf die Holzplatte seines Schreibtisches, "dass Sie die Frechheit besitzen, mich in meinem Haus brüskieren zu wollen und mit so einer ungeheuren Forderung und Anschuldigungen auftauchen. Zwar haben Sie, Herr von Lütjenburg, deutlich gemacht, dass Ihre Loyalität Preußen gilt, aber ich habe nicht erwartet, dass Ihre Loyalität derartig stumpf und dümmlich ist, dass Sie ihr eigenes Volk in einen Krieg gegen Dänemark stürzen wollen. Was sind Sie nur für ein furchtbarer Mensch, der für ein eingebildetes Prinzip unnötige Menschenleben opfert?"

Der Herzog wirkte jetzt immer noch wütend und als hätte der Gram Besitz von ihm ergriffen. Er blickte sich wütend um. "Sagen Sie ihrem MP, dass er mich Götz von Berlichingen[5] kann. Und nun raus!" Der Herzog zeigte entschlossen zur Tür mit dem Zeigefinger. "Alle beide. Ich will Sie beide nicht wieder in diesem Haus sehen!"
 1. Prätendent
 2. Haus Oldenburg
 3. Nation
 4. Dänischer Gesamtstaat - Zu der Aufzählung im Artikel gehören nach dänischen Verständnis eigentlich auch die Kolonien in Indien bspw.
 5. Schwäbischer Gruß
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #292 am: 18.06.2012, 16:33:32 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 12:22 Uhr - Christian-Albrechts-Universität - Alter Hörsaal

Wilhelm Seelig atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen, als er Samuel Weissdorn beim Sprechen zuhörte. "Er tut es schon wieder...", murmelte er dazwischen. "Da kommentiert er, dass es schon «eher der richtige Weg wäre» und enthält uns des richtigen Weges. Wie kann er sowas beurteilen? Für wen hält er sich?" Wilhelm Seelig ballte eine Faust und bevor irgendjemand der anderen Dozenten reagieren konnte, erhob er schon seine Stimme. "Ich sehe, ich bin in diesem Gespräch nicht mehr vonnöten, also werde ich als Erstes dieses Haus verlassen und den Oberstwachtmeister aufsuchen und ihn darum bitten eine Kutsche bereitzustellen, welche noch heute nach Emkendorf aufbricht, mag die Witterung auch noch so bescheiden sein. Des Weiteren werde ich eine begleitende Einheit organisieren, welche die Kutsche bewacht! Jeder, der mit nach Emkendorf fährt, hat sich um 15:00 Uhr am Hafen einzufinden, damit wir aufbrechen können." Wilhelm hob die Hand zum Gruße. "Ich werde auch Proviant und dergleichen besorgen." Dann entschwand er durch die Dozententür, wo der immer noch Fiete Riensche wachte.

Alle anderen Dozenten warteten bis Seelig gegangen war und dann hob das Gemurmel nur langsam wieder an, während fast alle Uhren abgeglichen und mit Erschrecken feststellten, wie viel Zeit sie schon in diesem erhitzten Gespräch verbracht hatten. Die Zeit lief wirklich schnell und Alfreds Erkenntnis, dass Zeit auf einmal zum Herr der Peitsche wurde, bewahrheitete sich mit jedem unbarmherzigen Ticken der Uhren. Mommsen rümpfte die Nase beim Blick auf die Taschenuhr und zwang abermals den Scheitel zurück in Position. "Herr Weissdorn, ich befürworte den Vorschlag der Herren Nobel. Die Wahrheit soll uns als stichhaltigste Fehlinformation dienen. Ich denke, damit ist uns am ehesten geholfen." Mommsen richtete seine kleine Brille, welche seinen strengen Blick noch begünstigte. "Albert, ich weiß, dass die Zeiten lange zurückliegen, aber ich will, dass Sie den Vertrag fälschen lassen, und zwar dreimal. Einmal für die Erpresser der Nobels und einmal für die Preußen, damit wir beide Seiten für den Moment blenden können und sie vielleicht zu spät merken. Sie müssen den Herrn Ohlendorf umgehend damit beauftragen, dass er die Verträge zu drei Uhr fertig hat und diese am Hafen sind. Den Originalvertrag belassen wir beim Herrn Nobel. Es wird das größte Zeichen des Pfandes sein und soll uns daran erinnern, dass wir die Situation der Nobels - auch wenn sie meiner Ansicht nach ihr Wohl noch immer dem eines ganzen Landes unterzuordnen haben - nicht blindwütig ausnutzen wollen. Die dritte Kopie soll den Herzog verlocken, falls er uns ausspielen will." Das konnte durchaus als ungewohnte und einknickende Geste von Theodor Mommsens gewertet werden, der durchaus von Alfreds Willen zu helfen, gerührt schien.

Carl Himly zeigte sich deutlich beruhigt als Alfred seine Zusage zur Hilfe gab und klopfte ihm und Emil aufmunternd auf die Schulter. "Ich sehe das ähnlich, wie Sie es tun, Alfred. Conrad sollte sich ebenfalls und in erster Linie um Ihren Schutz kümmern. Des Weiteren würde ich vorschlagen, dass Sie uns nach Emkendorf begleiten und sich dem Herzog stellen. Sie können die Bedrohung Dänemarks, Preußens und durch die Söldner durch Ihr eigenes Schicksal am besten darstellen, es wäre dadurch eine Schnittstelle unserer Erklärungen und zudem sehr plastisch. Vielleicht kann es den Herzog überzeugen, der beinahe ja selbst ein Opfer eines Anschlags wurde. Außerdem würde ich - auch wenn der alte Seelig keinen Narren an Ihnen gefressen hat, Herr Weißdorn - Sie darum bitten, ebenfalls mit nach Emkendorf zu reisen. Sie sind zweifelsohne der beste Redner von uns. Zweifelsohne werden jene Elemente der Blendung, die wir zum Selbstschutz brauchen, Ihnen am besten von den Lippen gehen." Karsten ergänzte umgehend. "Zudem hat ihr Kollegaufbau und ihre Vorlesungsthematik bewiesen, dass Sie der situationsbedingten Improvisation mächtig sind und diesen Situationen einige Wirkmächtigkeit abgewinnen können. Dazu kommt der unschlagbare Vorteil, dass der Herzog unsere Viten in- und auswendig kennt, sich mit unseren Schriften und politischen Visionen beschäftigt. Sie sind nicht zuletzt aufgrund Ihres...Werdeganges ein unbeschriebenes Blatt für den Herzog und würden uns dementsprechend einen ungeheuren Vorteil bringen." Himly wollte wieder übernehmen, bekräftigte Karstens Worte auch mit einem Nicken, doch Hänel hob schließlich die Hand, ebenfalls im Gehen begriffen, und drängte sich dazwischen. "Ich werde mit dem Herrn Ohlendorf alles vorbereiten und er wird die Arbeit dann während der Fahrt erledigen müssen." Dann brach er auf und Thaulow und Ribbeck schlossen sich ihm direkt an. "Ich werde dann am Besten mit der Partei sprechen und sie auf die Straße schicken, damit sie die ersten Stimmen einfangen. Und Thaulow kann seine Freunde der Publizistik zusammentrommeln, um die Veröffentlichung vorzubereiten.", sagte Ribbeck. Und derartig leerte sich der Raum, dass am Ende noch Himly, Karsten, Mommsen, die beiden Nobels, Rosenstock und Weissdorn übrig blieben.

Himly setzte wieder an. "Wie genau der Herzog zu überzeugen ist, wird schwer zu sagen sein. Aber kaum etwas wird ein vis-a-vis-Gespräch ersetzen können. Werden müssen das Gespräch gebührend führen und die Problematik personalisieren. Wenn der Herzog es auf seine Person spiegeln kann, werden ihm die ganzen ansonsten genutzten Abstrakta vielleicht bewusst oder verständlich. Welche Vorteile er davon hätte, das müssen wir uns ausmalen. Wenn er jedoch ein solcher Held für die Holsteiner sein will, kann er sich als Demokrat stellen und das Volk wird es sicher zu würdigen wissen, wer ihnen die Freiheit gebracht hat. Auf diese Art würde ich argumentieren. Aber ich werde vor Abreise noch ein Dossier zusammenstellen lassen. Defintiv hat er jedoch viel zu verlieren, aber noch wenig zu gewinnen."

Karsten fasste es also zusammen und blickte dabei Weissdorn an. "Wir können also hier noch stehen bleiben und weiter Metaphern austauschen oder unsere Pläne noch ergänzen. Ansonsten werden nun eine Schutzeinheit für die Nobelfamilienteile organisiert, eine Kutsche und Proviant durch Seelig, Thaulow bereitet die Veröffentlichung vor, Ribbeck beginnt mit dem Aufrütteln der Bürger und Hänel bereitet die Kopien vor. Wir werden zum Herzog reisen und mit den Verhandlungen beginnen und gleichzeitig werden wir die Kopien unterjubeln. Dazu brauchen wir auch keine weiteren Zusagen, denke ich. Der Vertrag ist Zusage genug! Jemand dagegen etwas einzuwenden? Ansonsten verlassen wir nun das Gebäude und bereiten uns vor."
Karsten und Mommsen nickten Himly nur zu und zeigten an, dass sie bereit waren. Gespannt blickten die Dozenten zu den beiden Nobels, Rosenstock und Weissdorn. Emil blickte undurchsichtig, er schien den Dozenten nur schwer folgen zu können, auch wenn langsam ein Vorgehen manifest wurde.
« Letzte Änderung: 18.06.2012, 17:12:18 von Menthir »
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Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #293 am: 19.06.2012, 19:43:24 »
Perplex sah Samuel dem davon preschenden Seelig hinterher. "Aber in der Strategie geht das Abstrakte dem Konkreten immer voraus", erklärte er, offenbar verblüfft über den Ausbruch des Kollegen. Die weiteren Diskussionen verfolgte er mit einer ähnlichen Ungläubigkeit. Einige Vorschläge konnte er durchaus nachvollziehen, doch die Voreiligkeit der Professoren, ihr Unwille, strategisch hilfreiche Mittel einzusetzen, überrumpelte ihn. Bei Männern von solchem Intellekt hätte er eine solche Blindheit nicht erwartet. Es geschah selten, doch Samuel war tatsächlich zutiefst überrascht - nur leider nicht im Positiven.

"Himmel hilf", ging es ihm durch den Kopf, "das erklärt dann wohl auch, wieso man 1848 gescheitert ist. Sie legen sich mit gewieften Politikern und Attentätern an und glauben allen Ernstes, die Wahrheit als güldene Lanze würde sie zum heiligen Sieg führen."

Er konnte noch immer aussteigen. Sich absetzen, woanders neu anfangen - das wäre keine große Schwierigkeit für ihn. Doch etwas hinderte ihn. Er hatte hier die Gelegenheit, außergewöhnliche Erfahrungen zu machen... und das wollte er nicht an sich vorbeiziehen lassen. Wenn es zu brenzlig wurde, könnte er sich immer noch absetzen.

"Ich bin nach wie vor der Meinung, dass der Plan gelinde gesagt lückenhaft ist. Aber wenn Sie schon meine Fähigkeit zur Improvisation loben, dann biete ich an, zu improvisieren, um diese Lücken zu füllen. Ich würde nur ungern auf der Reise eine Kugel in den Kopf bekommen, nur weil man es jetzt zu eilig hatte. Wenn Sie mir diese Freiheit gewähren, dann bin ich dabei. Aber eines möchte ich noch anmerken. Ich bin nicht bereit, irgendjemandes Leben oder Freiheit unnötig zu riskieren, der sich nicht freiwillig entschlossen hat, hieran teilzunehmen."

Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #294 am: 20.06.2012, 22:56:56 »
Nachdem Professor Karsten ihm mit einem Nicken die Zustimmung gegeben hatte, informierte sich Samuel, wo sie sich wieder treffen würden, und machte sich dann auf den Weg. Zunächst packte er seine Sachen zusammen, doch zunächst ließ er einige Sachen draußen. Er würde nicht lange brauchen... die Kleidung hergerichtet, die Frisur ein wenig verändert, und das Übrige würde sein sonderbarer Hut erledigen, dessen Wirkmechanismus er bis heute nicht ganz hatte entschlüsseln können.

So gerüstet, ging er auf den Markt, suchte sich einen freundlich und offen wirkenden dänischen Landsmann, und verwickelte ihn in ein belangloses Gespräch - auf Dänisch. Er sei froh, wieder in seiner Muttersprache reden zu können, erklärte er dem Gesprächspartner, und wechselte doch bald wieder ins Deutsche, da sich immer wieder andere Menschen zu ihnen gesellten. Er erzählte von seinen Geschäften, die er hier in Kiel abzuschließen hatte, und schließlich von den neuesten Gerüchten aus der Heimat: Dem Plan des dänischen Regenten, das Militär in Schleswig und Holstein deutlich zu verstärken, und die benötigten Gelder dafür durch höhere Steuern in eben diesen Ländern flüssig zu machen. Sehr sorgte sich der dänische Händler um seine Geschäfte hier im Ausland, und als genug Menschen auf dem Markt die Gerüchte mit angehört hatten, machte er sich wieder auf den Weg...

Keine halbe Stunde später, er hatte auf dem Weg zwei Mal sein Äußeres verändert, war er wieder in seinem Zimmer, für eine deutlich anspruchsvollere Verkleidung. Er bemühte seine Erinnerung, versuchte, jede Geste und jede Mimik in seine Erinnerung zurück zu rufen. Zunächst schloss er die Verkleidung nicht gänzlich ab, sondern strich unerkannt durch die Stadt, weniger auf der Suche nach einem Ort als einer Person... die er schließlich auch fand. Ein preußischer General, gerade auf dem Weg in eine Bäckerei. Eilig huschte Samuel in eine Seitenstraße, bemühte sich, unbemerkt die Verkleidung zu vollenden. Gerade rechtzeitig kam er wieder hervor.

Alfred Nobel, oder zumindest jemand, der genau wie er aussah, prallte mit dem General zusammen, der ob des Zusammenstoßes glatt seine Stofftüte mit frischem Brot und Brötchen verlor. Doch "Alfred", der sich nur knapp entschuldigte, schenkte dem General nicht einmal genug Aufmerksamkeit, um ihn genauer anzusehen. Er schien jemanden zu suchen, der wohl schon voraus geeilt war, und rief ihm - mit gedämpfter Stimme - hinterher: "Schnell, wir müssen die Kutsche erwischen, um den Vertrag nach London zu bringen!"

Nur einen Moment später war "Alfred" auch schon in einer Seitengasse verschwunden. Mit einer schnellen Handbewegung riss Samuel die extra für solche Zwecke gefertigte Kleidung von seinem Körper, und darunter kam die einfache Straßenkleidung eines Arbeiters zum Vorschein. Ebenso schnell veränderte sich sein Gesicht, seine Haare, und natürlich seine Mimik und Gestik. Als der General um die Ecke blickte, um "Alfred" zu suchen, sah er bloß einen verwirrt dreinblickenden jungen Mann, der sich umschaute und schimpfte, warum die Menschen es heutzutage nur immer so eilig hatten...

Es war kurz nach halb drei Nachmittags, als Samuel wieder in seinem Zimmer war, sich noch einmal frisch machte, und die letzten Sachen zusammen packte. Gern hätte er noch ein kleines "Geschenk" für die Attentäter hinterlassen, doch wusste er zu wenig und blieb ihm zu wenig Zeit, um dies noch anzugehen. Vielleicht hatte er Glück und die Fährte nach London würde sie ablenken - wenn diese Leute Zugriff auf preußische Informationen hatten...

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #295 am: 01.08.2012, 19:16:47 »
Alfred verfiel in ein stummes, bestätigendes und ernstes Nicken, als die Professoren zum Aufbruch ansteuerten. Mit strenger Miene blätterte er sein Laborbuch auf, in welches er den Vertrag vorsichtig gefaltete wieder verschwinden ließ. Als er kurz Aufblickte, trat sein Blick sich mit dem seines Bruders. Ein Lächeln huschte über das Gesicht Alfreds, doch seine Augen trübten sich in Ungewissheit und Sorge vor der allzu nahen Reise und der schwerwiegenden Begegnung. Dennoch blinzelte er Emil an, die Brüder teilten ihre unausgesprochenen Ängste stumm. Wieder eifrig nickend senkte Alfred seinen Kopf, als er die Scharniere seiner Tasche zuschnellen ließ. In ihm regte sich ein Gefühl, eine große Gefahr einzugehen, in der Absicht etwas solches zu bewegen, was manch einer als groß und richtig verstehen könnte. Ob seine Zukunft sich so entwickeln würde, stand jedoch in einer schwerwiegenden Frage.

"Herr Rosenstock", sprach Alfred schließlich den Studenten an, als er seine Habseligkeiten und nach einem kehligen Räuspern seine Stimme erst wiedergefunden hatte, "wenn ich Sie dazu überzeugen darf, als persönlichen Schutz meines Bruders und mir in unseren Dienst zu treten, so möchte ich gerne sehen, dass ich Sie auf unsere Reise vorbereiten kann. Eventuell finden Emil und ich vor Aufbruch einige Rezepte, die Ihrer Standhaftigkeit dienen. Bitte, folgen Sie mir, sofern Herr Himly uns ein Labor zur Verfügung stellt. Wir haben nicht mehr viel Zeit."
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #296 am: 03.08.2012, 14:00:30 »
Conrad hätte ja gerne noch etwas gesagt, hielt sich aber dann doch zurück. Die Argumente einiger Professoren waren schon sehr gut. Es wären ja außerdem höchstens ein paar Details gewesen, die Conrad zu kritisieren gehabt hätte. Conrad würde aber vor Ort durchaus aufpassen, dass sich das ganze nicht zu einer unschönen Erpressung entwickeln würde. Das durfte man nicht zulassen. Der Zweck würde nicht so eine schändliche Tat rechtfertigen. Eine Demokratie, die auf so einer Tat aufbauen würde, wäre keine Gute.

"Herr Nobel, ich werde alles dafür tun, um Sie und Ihren Bruder zu beschützen. Das versichere ich Ihnen! Ich habe schon einmal gegen diese Söldner gekämpft und werde es auch ein zweites Mal tun. Ich werde ab sofort immer an Ihrer Seite bleiben bis keine Gefahr mehr für Ihr Leben besteht. Ich habe im übrigen auch schon alles bei mir, was ich brauche."
« Letzte Änderung: 03.08.2012, 14:02:19 von Conrad Rosenstock »

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #297 am: 05.08.2012, 11:29:44 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 15:00 Uhr - Am Hafen

Keiner erlag der Verlockung des Alltags, sich hier und da von den Eindrücken des Tages oder der kurzfristigen Entrückung in Zeitung oder Gespräch derartig ablenken zu lassen, dass er zu spät am gemeinsamen Treffpunkt wäre. Jeder Beteiligte ging etwas geduckter als sonst, während die aufmerksamen Augen sorgsam Häuserfassaden, Dächer, verwaiste Stände und die Förde, die Schiffe darauf und ebenso die wenigen Boote darauf musterten. Wurden sie beobachtet? Näherte sich ungesehens Menschen und lauerten ihnen auf? Die Gefahr war so greifbar wie der eisigkalte Dezemberwind, der durch ehemalige Hansestadt wehte. Schnee legte sich wieder wie ein weißer Vorhang über die Stadt und über die zufrierende Förde. Ein Blick zum Horizont wurde unmöglich, eine gewisse Schwere legte sich über die Szenerie, welche auch in fast allen anwesenden Gesichtern zu sehen war. Gerade in dem strengen Gesicht von Theodor Mommsen, aber auch dem immer freundlichen Himly schien eine Laus über die Leber gelaufen zu sein, auch er spürte die Gefahr, welche diese Reise mit sich bringen mochte. Und nicht nur die Gefahr, da war auch noch die ungeheure Verantwortung, welche auf ihren Schultern lastete. Sie hatten eine Vision und sie waren nur an der letzten Biegung ihres Weges angekommen. So glaubten sie zumindest. Ein Wegekreuz, von dem zwei Pfade weiterführten. Einer hieß Erfolg, der andere Niederlage.

Sie standen vor einer Postkutsche, die - wie es dieser Tage üblich war - eine ganze Reihe von Passagieren aufnehmen konnte. Sie war dementsprechend mit vielen Paketen und Säcken voller Briefe beladen, wahrscheinlich auch, um einen Anschein von Alltag zu wecken. Gustav Karsten sprach mit dem Kutscher, während Himly und Mommsen halfen, die Sachen ihrer Passagiere Weißdorn, Rosenstock und der beiden Nobels zu verladen. Alfreds kleinen Mittelchen wurden dabei besonders vorsichtig im Innenraum verpackt. Noch Stunden hatte er nach dem Beschluss in Carl Himlys Labor verbracht, um sich auf die Reise vorzubereiten, da Himly sein Labor nicht brauchte, da er genug zu tun hatte. Im Innenraum der Kutsche war genügend Platz, um ihre Habseligkeiten und ihre Waffen griffbereit zu haben. Bis auf Mommsen, der nichts weiter als seinen schweren Anzug gegen die Kälte trug, waren die Dozenten vorbereitet. Gustav Karsten und Carl Himly hatten beide alte Offizierssäbel am Mann, wahrscheinlich noch aus ihrer Zeit bei der Armee. Bei Karsten war auch noch durch das verrutschte Revers seiner Jacke ein Innenhalfter zu erkennen, in dem er wahrscheinlich einen Revolver trug. Es war fast fünfzehn Uhr, wie immer läutete die Kirche von Gaarden wenige Minuten zu früh, ihr Klang war durch den Schneeteppich zu vernehmen, als sei sie eine Art Aufbruchszeichen oder läutete sie eine entscheidende Etappe ein.

"Steigen Sie ein meine Herren. Ich habe Decken und warmen Tee für die Fahrt mitgenommen, damit wir nicht in der Kutsche verfrieren. Wir haben auch Schaufeln mit, falls die Kutsche einschneit.", sprach Carl Himly die Männer freundlich an. Sein Gesicht zeigte Sorge, aber seine Manieren blieben tadellos. Und so bestiegen die Männer die Kutsche. Jetzt sahen sie, dass sich vor dem Garnisonsgebäude Reiter ausstatten, ihre Pferde mit Schabracken zumindest etwas gegen die Kälte zu schützen versuchten und sich schwere Rucksäcke auf den Rücken banden. Diese Männer waren allesamt sehr zäh und stark, viele von ihnen untersetzt, aber von beeindruckender Gestalt. Sie unterschieden sich von den meisten Soldaten, welche hier in Kiel eher zwei, drei Kilo zu viel auf den Rippen hatten und eher untauglich wirkten. Doch diese Männer waren gestählt, Samuel erkannte auch Fiete Riensche unter ihnen. Ihre missmutigen Blicke galten dem Wetter, der Witterung und dem beschwerlichen Weg, den sie auf sich nehmen würden. Auch bei ihnen sah Conrad Pionierzeug. Äxte für unter dem Schnee umgestürzte Bäume, Spitzhacken, Schaufeln, Spaten und sogar Baumaterial für kleine Zäune. Sie zählten zehn Männer, welche für die sichere Reise der Männer zuständig waren.

Seelig war in der Tat ein ausreichend guter Organisator und die Reisenden hatten wahrhaft Glück, dass sie sich so gut mit dem dicklichen, storchenbeinigen Oberstwachtmeister verstanden. Er hatte tüchtige Männer ausgesucht und ihnen eine geräumige Kutsche ausgesucht. Beim zweiten Hinsehen wirkte auf der Kutscher vom Schlage wie die Pioniere. Es waren sogar elf Soldaten, welche die Gruppen beschützten.

Das Läuten der Gaardener Kirche verstummte und mit einem Peitschenknall und einem lauten Kommando setzte sich die Kutsche langsam in Bewegung. Zwei stoische Kaltblüter zogen auf dem rutschigen Pflaster die Kutsche im zweiten Versuch an und knarrend nahm das Vehikel Fahrt auf. Die Männer auf den Pferden näherten sich, salutierten vor dem Kutscher und den Personen im Inneren und verteilten sich dann außerhalb der direkten Sichtweite der Kutsche, immer in kleinen Gruppen a zwei Reiter. Vor seinem Verwaltungsgebäude stand OWM van Widdendorp und salutierte ebenfalls energisch. Kein Zweifel, der Mann war auf der Seite der Bestrebungen Holsteins. Das hatte nicht zuletzts ein vorsichtiger, bürokratisch jedoch einwandfreier Widerstand gegen den Braunschweiger und damit gegen den Herzog gezeigt, aber Conrad wusste dies nur umso besser nach seinem letzten Gespräch mit dem Mann. Als die Kutsche an ihm vorbei war, kehrte er zurück in die warme Amtsstube.
Die Kutsche verließ das Hafengebiet und Mommsen erzählte ihnen nebenbei etwas zum Kutschenwesen, und wie es sich verändert habe. Und während er davon schwadronierte in Dorflehrermanier, dass um 1700 die Infrastruktur so schlecht war, dass eine Postkutsche nur durchschnittlich zwei Kilometer pro Stunde zurücklegen konnte, aber dank der heutigen Infrastruktur ihr Tempo verfünffacht hatte, blickte Emil aus dem Fenster der Postkutsche. Mit seinem Ärmel hatte er die zarten Eisblumen weggewischt und blickte durch das von der Kälte milchig-transparente Glas in den fallenden Schnee. Mommsen erwähnte gerade mit einem schweren Seufzer, dass der Schnee sie quasi auf den Stand von 1700 zurückkatapultieren würde, als Alfred anfing Emils Blick zu folgen. Am Ausgang zum Hafen sah er ihn dann. Einen Mann mit pechschwarzem Haar, in welchem sich der Schnee fing. Ein aalglattes Gesicht, fast ohne Auffälligkeiten außer der buschigen, fast durchgehenden Augenbrauen. Braune Augen blickten die Kutsche an. Seine Haut war zu gebräunt für den holsteinischen Winter. Und doch wäre dieser Mann mit seinen 1,70m und seiner drahtigen Gestalt in einer kaum aufgefallen, doch unter diesen bestimmten Zuständen fiel er auf. So locker die Person sich gab und mit einer gewissen Beiläufigkeit sein Tagwerk zu vollrichten gedachte, als er Schnee von einem leeren Holzstand kratzte und sich geschäftigt gab, fiel es Emil zuerst auf. Warum nimmt man den Schnee erst zu dieser späten Stunde von seinem Holzstand? Der Stand trug keine Zeichen von Werbung, sondern war nur eine Auslage, was dafür sprach, dass er für Informationen genutzt wurde. Der Stand war zudem schlecht gepflegt und die Witterung würde ihm diesen Winter den Rest geben, doch das auffälligste Merkmal, dass etwas an diesem Mann nicht stimmte, lag wie der Teufel im Detail. Warum trug solch ein Mann Sporen an seinen Stiefeln? Emil stellte die Frage laut und Alfred sah die Sporen auch. Es war gar ein Sporenrad. Alfred schaute sich den Mann genauer an, konnte aber nicht zu viel erkennen. Doch er erinnerte vom Aussehen doch sehr an einen Italiener, kurz trafen sich Alfreds und des Mannes Blicke. Der Mann tat gelangweilt und räumte den alten Stand weiter frei, doch Alfred konnte sich vorstellen, wer dies war. Carl Himly blickte inzwischen auch aus dem Fenster und sein Blick verhärtete sich. Mit einem ungewohnten Ärger in der Stimme, sagte er schließlich, was Alfred schon längst eingefallen war: "Nocerino..."
Doch als die Kutsche auf seiner Höhe war, blickte der Mann nochmal auf und lief los, er wollte zwischen die Häuser. Wahrscheinlich zu seinem Pferd und er würde wie der Wind fliegen wollen, Bericht erstatten. In diesem Moment begannen die Glocken der nahen Nikolaikirche[1] zu dröhnen. Fünfzehn gewaltige Schläge würden die Glocken von sich geben und unter ihrem Schall Gespräche verstummen lassen.
 1. Nikolaikirche - Damaliges Aussehen
« Letzte Änderung: 05.08.2012, 11:42:16 von Menthir »
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Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #298 am: 13.08.2012, 00:20:54 »
"Wer ist der Mann?" fragte Samuel, griff in seine Jackentasche, und holte einen silbern schimmernden Revolver heraus. Er sah von einem zum anderen, und es war offensichtlich, dass es nicht nur um die Frage nach der Identität des Mannes ging, sondern auch darum, welches Schicksal er erleiden sollte...

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #299 am: 29.08.2012, 11:35:44 »
Conrad wich Alfred nicht von der Seite bis sie aufbrachen. Der Student glaubte nicht an Gott, aber in Situation wäre vielleicht ein fester Glaube nicht schlecht gewesen. Immerhin rechnete Conrad damit, dass ein größerer Kampf ausgefochten werden müsste. Ob solchen Kampf jeder heil überstehen würde, war noch ungewiss. Conrad hoffte es zwar, aber genau wissen konnte man das ja im voraus nicht. Er würde auf jeden Fall alles tun um Alfred zu schützen und würde einen Kampf, wenn es denn dazu käme, nicht scheuen. Er hatte Alfred sein Wort gegeben, dass er ihn beschützen würde und das würde er auch halten.

Conrad holte schnell sein Gewehr hervor. Aber er war keine kaltblütige Person, die einfach so abdrücken würde ohne genauere Informationen über diesen für ihn Fremden. Er musste einfach zunächst einmal erfahren, wer dieser Nocerino war und ob von ihm überhaupt irgendeine Gefahr ausging. Fragend schaute Conrad Himly an. Immerhin war es er, der den Namen Nocerino erwähnte und dabei verärgert klang.

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