Einundzwanzigster Tag des Uktar, TZ 1372 im Jahr der wilden Magie:Vaêl taucht die Feder ein letztes Mal in das Tintenfäßchen und unterschreibt das vor ihm liegenden Pegamentbogen mit seinem Namen. Geduldig wartet er bis die Tinte getrocknet ist, bevor er den Brief zusammenrollt und versiegelt.
Der Kleriker lehnt sich auf dem harten Holzstuhl zurück und spreizt die vom Schreiben verkrampften Finger. Sein Blick fällt auf den alten Folianten, den er vor über einem Zehntag aus den Tempelruinen in Alt-Phlan geborgen hat und der ihm seitdem keine Ruhe mehr lässt.
Mithilfe Kalokins magischer Künste war es ihm möglich gewesen das verzauberte Schloss zu entfernen, doch das aufgeschlagene Buch hatte mehr Rätsel aufgegeben als gelöst. Mit großer Mühe gelang es Vaêl in den letzten Tagen einen Teil der antiken Schrift zu entziffern und er ist sich fast sicher, dass es sich um die uralte Sprache der Einwohner Nesserils handeln muss. Den wenigen Sätze die Vaêl verstanden hat, ist zu entnehmen, dass es sich bei dem Inhalt des Folianten um eine Art Heldenerzählung handelt. Was Vaêl allerdings in Aufregung versetzt hatte, war die Tatsache, dass er beim Lesen des Textes mehrmals auf ein eine Abfolge von Runen gestoßen war, die in alter Zeit den nesserischen Sonnengott Amaunator bezeichnet hatten. Offenbar handelt das Buch von einem Champion Amaunators oder - eine Möglichkeit die Vaêl fast um den Verstand bringt - von Amaunator selbst.
In jedem Fall musste der Orden der Sonnenseele von diesem Fund in Kenntniss versetzt werden!
Nachdenklich schweift der Blick des Klerikers zum Fenster.
Trübe Regenwolken bedecken den Himmel, doch für die Bewohner der Mondsee war dies ein alltäglicher Anblick und niemand schert sich um die paar Tropfen die gelegentlich vom Himmel fallen. Bolmurs Blick streift die am Himmel vorbeiziehenden Wolkenfetzen kurz, dann richten sich seine Augen wieder auf den Horizont. Obwohl der Nordmann sich ein wenig an das städtische Treiben gewöhnt hat, bevorzugt er doch nach wie vor die rauen Ebenen und so trifft man ihn häufig draußen vor der Stadt an, wo er ausgedehnte Streifzüge durch die Felder und Hügel unternimmt. Innerhalb einer Woche hatten sich die Bauern an die riesenhafte Gestalt Bolmurs gewöhnt und nun nickt man ihm gelegentlich zu, wenn sein Weg zufällig an einem Hof vorbeiführt.
Heute wirkt der Nordmann unruhiger als sonst, so als suche er etwas. In der Tat kommt es Bolmur schon seit den frühen Morgenstunden so vor, als hätte er etwas Wichtiges vergessen. Irgendeine Sache, eine Angelenheit von Ehre, und je mehr er darüber nachdenkt, desto unwohler wird ihm. Ein Donnergrollen rollt aus der Ferne über die Ebene und plötzlich fällt es Bolmur wie Schuppen von den Augen. Hastig reißt er sich seinen Rucksack vom Rücken und wühlt fieberhaft darin herum, bis er einen zerknickten und fleckigen Umschlag hervorzieht. Wieder donnert es in der Ferne, so als würde ein zorniger Gott seinen Unwillen über Bolmurs Verfehlen kundtun wollen.
Kâdir zuckt zusammen, genau in dem Moment, indem das zweite Donnern zu hören ist. Doch ist es nicht das Wetter, was den Unwillen des Waldläufers erregt, sondern die kleine hastig gekrakelte Nachricht in seiner Hand. Der Südländer hatte gerade nach einer kleinen Jagdpartie und mit zwei fetten Kaninchen am Gürtel wieder Nat Wylers Glocke betreten wollen, als ein strohblonder Junge ihn angehalten hatte. Der Knabe sagte er hätte eine Botschaft für Kâdir und er würde eine Silbermünze für die Überstellung bekommen. Ärgerlich knurrend warf der Waldläufer dem Kind eine Münze hin und ehe er sich versah, war der Junge schon wieder davongerannt.
Mit missbilligendem Blick betrachtet Kâdir nun den schlampig gefalteten Zettel auf dem geschrieben steht:
Es gibt da jemanden der euch sprechen möchte.
Trefft mich heute Abend bei Kutos Brunnen
Fellian
Kalokin blickt neugierig auf, als die Tür der Glocke aufgestoßen wird und ein missmutig dreinblickender Kâdir den Raum betritt. Vor dem Halbling auf dem Tisch befinden sich die Reste eines zweiten Frühstücks und eines späten Mittagessens. Zwischen Geschirr und Bratenresten steht der unscheinbare Tonkrug, den Kalokin in Oraks Badehaus mitgehen hat lassen und der ihm im Kampf gegen Drakthar so gute Dienste geleistet hat. Der Halbling ist sich nicht so sicher was er mit dem Gegenstand weiterhin anfangen soll. Zum Einen ist er sich der Macht des Karaffe bewusst und er würde sie nur zu gerne verkaufen, doch erst gestern hat Vaêl einen kritischen Blick in Kalokins Richtung geworfen, als dieser sich zum Abendessen etwas Wasser in den Wein gegossen hat. Der Kleriker scheint nicht vergessen zu haben woher die Karaffe stammt und auch wenn er im Moment durch das Buch etwas abgelenkt erscheint, überkommt Kalokin ständig das Gefühl das Vaêl das Diebesgut nicht einfach so akzeptieren wird.
Als Kâdir zwei tote Kaninchen auf den Tisch wirft, schrickt Kalokin aus seinen Gedanken hoch.