Es dauert noch eine Zeitlang, bis Ratsherr Vaschian Feuerroß eintrifft. Nach einem kurzen und leicht abschätzigen Blick auf euch - wie auch der Rest der Ortschaft scheint er Fremden gegenüber nicht sonderlich aufgeschlossen zu sein - zieht er aus einer kleinen Tasche einen Schriftrollenbehälter hervor, auf dem noch das ungebrochene Siegel von Professor Lorrimor prangt.
Kendra setzt sich auf einen weiteren Stuhl und verschränkt ihre Hände nervös ineinander, während sie Vaschian mit einem Nicken zu verstehen gibt, er möge beginnen.
Der beleibte Mann mit dem für diese eher ländliche Gegend fast schon albern wirkenden weltmännischen Spitzbart räuspert sich kurz, bevor er das Siegel bricht, die Rolle herauszieht - wobei er den kleinen Metallschlüssel, der aus der Rolle herausfällt und auf dem Boden landet, kompülett ignoriert - und anfängt, zu lesen:
" Ich, Petros Lorrimor, im Vollbesitz meiner geistigen Kräft, schreibe auf dieses Pergament meinen letzten Willen und Testament. Von unten aufgeführten Ausnahmen abgesehen, soll meine Tochter Kendra mein Haus und meinen persönlichen Besitz erben. Verwende oder veräußere die Dinge, wie es dir angemessen scheint, mein Kind.
Doch neben der Weitergabe meiner persönlichen Dinge muss dieses Dokument noch anderen Aufgaben dienen. Ich habe verfügt, dass es erst verlesen wird, wenn alle Bedachten versamment sind, da ich nicht nur Dinge zu vererben habe. Ich muss vielmehr um zwei Gefallen bitten.
Meine alten Freunde, ich hasse es, euch all dies aufzubürden, doch kenne ich sonst niemanden, der die wahre Bedeutung meiner Bitte zu erfassen imstande ist. Wie einige von euch wissen, habe ich viele meiner Studien dem Bösen gewidmet, damit ich den Feind besser kennen und ich mich ihm gewappnet entgegen stellen konnte - denn das Wissen über deinen Feind ist der sicherste Weg zum Sieg über seine Pläne.
Im Laufe meines Lebens habe ich daher eine bedeutende Sammlung gefährlicher Bücher angehäuft, welche unter den falschen Umständen zu unangenehmen Fragen und Problemen hätten führen können. Die Mehrheit davon befindet sich unter Verschluss in der Universität von Lepidstadt, doch ich fürchte, dass ein paar, die ich ausgeliehen habe, noch immer in einer Truhe meines Hauses hier in Ravengro liegen könnten. Sie waren von großem Wert für mich zu Lebzeiten, doch möchte ich meine Tochter nicht mit der dunkleren Seite meines Berufes, oder - schlimmer noch - der Gefahr belasten, die vom Besitz dieser Bücher ausgeht. Daher vermache ich euch meine Bücherkiste und bitte euch, die Sammlung meinen Kollegen an der Universität von Lepidstadt zu übergeben, welche sie einem guten Nutzen zuführen werden.
Doch bevor ihr aufbrecht, muss ich um einen weiteren Gefallen bitten - bitte wartet einen Monat und sorgt dafür, dass meine Tochter in Ravengro sicher und wohlbehalten ist. Nun da ich tot bin, hat sie niemanden mehr, daher bitte ich euch, ihr bei der Regelung ihrer Angelegenheiten in diesem Monat zu helfen - ihr hättet meinen ewigen Dank.
Aus meinen Ersparnissen vermache ich jedem von euch die Summe von einhundert Platinmünzen. Das Geld wird von einer meiner verlässlichsten Freunde in Lepidstadt, Embreth Daramid, verwaher. Ich habe sie angewiesen, die Auszahlung bei der Übergabe der geliehenen Bücher, doch nicht früher als einen Monat nach Berlesung dieses Testamentes, vorzunehmen.
Ich, Petros Lorrimor, unterzeichne dieses Testament am ersten Tag des Calistril im Jahre 4708."
Mit diesen Worten rollt Feuerroß das Testament zusammen und blickt Kendra an, die zwar mit feuchtglänzenden Augen, jedoch gefasst nickt und sagt: " Habt Dank, Ratsherr. Ab hier werden wir allein zurechtkommen."
Feuerroß verbeugt sich und verabschiedet sich mit einem verständnisvollen Lächeln, bevor er das Haus verlässt. Ihr seid nun allein.