Juwyn nickt nachdenklich, als der Archivar ihr versichert, dass das Orakel in der Vergangenheit immer zuverlässig gewesen sein soll, doch dies war keine wirkliche Entkräftigung ihres Arguments. Zuverlässig können auch mehrdeutige Antworten sein, wenn man sich für die richtige Möglichkeit entscheidet. Ihr gefällt es allerdings überhaupt nicht, von angriffslustigen Elfen in einem zudem verfluchten Wald zu hören. Irre in gefährlichen Gegenden gibt es allein in Nebelfels schon genug, da kann sie auf diese spitzohrigen Baumliebhaber mit ihren geschärften Sinnen gut und gerne verzichten.
Die rothaarige Diebin erwidert Braxamigs Grinsen mit einem Lächeln, als er ihr von seinem Interesse an schönen, tödlichen und allwissenden Orakeln bekundet.
Wer weiß, was uns erwarten, wenn wir dort ankommen, antwortet sie dem Gnom in Gedanken, denn der hat sich bereits dem alten Mann zugewandt. Wenn seit Jahrhunderten niemand dort war und es immer noch das gleiche Orakel ist, kann es gut sein, dass es inzwischen nichts von dem mehr ist.
Dann gleitet das Wesen, das Braxamig begleitet, in die Bibliothek. Juwyn durchfährt ein leichtes Schaudern, als es anfängt zu sprechen.
Ja, es spricht tatsächlich, wird sie sich nun vollkommen bewusst.
Irgendwie findet sie dieses schlangenförmige, pelzige Etwas gruselig. Braxamig hatte Shirish in der Taverne erklärt, dass es aus einer anderen Ebene stammt.
Wie ein Geist... Doch es scheint nicht geisterhaft. Ist es ein Dämon?, fragt sie sich still.
Angst hat Juwyn nicht, aber gesunden Respekt, wie vor allem magischen Hokuspokus, obwohl das Wesen freundlich zu sein scheint.
Aber viel wichtiger ist, was Braxamigs Begleiter berichtet. Die Geräusche von Kanonenschüssen kommen nicht von Ungefähr, sie sind keine unwichtige Begleiterscheinung des Geisterangriffs. Die Geister haben mit ihren Säbeln Passanten angegriffen, das hat Juwyn hautnah miterlebt. Das unheilvolle Schiff in der Bucht hat auch nicht gerade substanzlos ausgesehen. Sind das nun Rasar Tulors Kanonen, die die Stadt attackieren?
So fröhlich wie Braxamig ist Juwyn bei diesem Gedanken nicht zumute, aber immerhin scheinen der Archivar, Wiliam, Shirish und Lord Thackery ihr Unbehagen zu teilen.
Ja, Lord Thackery. Juwyn sieht zu ihm herüber, als er bitter lacht und Shirish richtig stellt. Sie vernimmt eine tiefe Traurigkeit in der Stimme des Adeligen, als er sich zu der Beziehung eines Skycaptains zu seinem Schiff äußert. Sie erinnert sich an all die kleinen Andeutungen und Gerüchte, die sie in ihrer langjährigen, aber nicht allzu engen Bekanntschaft zu Lord Thackery aufgenommen hat. Vieles weist darauf hin, dass er sich wohl selbst zu den Skycaptains zählt und einst Besitzer eines Luftschiffes gewesen ist. Juwyn kennt sich nicht sonderlich mit der Zunft aus, doch nun spricht er wie ein Seemann, als würde ein Luftschiff nicht fliegen, sondern über blaue Wellen gleiten und auch in ihnen untergehen können. Er spricht so darüber wie alle aus Juwyns Bekanntenkreis es tun, die in Verbindung mit der Luftschifffahrt stehen.
Ein weiterer Hinweis.
Sie vermerkt ihn auf ihrer gedanklichen Liste. Den Lord einfach zu fragen, was an den Gerüchten dran sei, will sie nicht. Ihr Prinzip ist es, sich aus den Angelegenheiten anderer Leute herauszuhalten, denn so ein Verhalten erwartet sie auch sich gegenüber. In ihren Kreisen ist Misstrauen das oberste Credo, denn wer sich jemandem anvertraut, macht sich verwundbar. Und andererseits spielt in ihre Zurückhaltung, was das Thema betrifft, noch mit hinein, dass sie Lord Thackery mag. Er ist ein ehrenwerter, überaus großzügiger Mann. Sie wollte nie alte Wunden aufreißen, sollte es denn welche geben. Und wenn sie seine Tonlage in diesem Moment richtig deutet, sind das Thema und die damit verbundenen Erinnerungen, welcher Art diese auch sein mögen, wohl wirklich schmerzlich für ihn.
Juwyn sieht zu Shirish herüber.
"Nur um ein Orakel aufzusuchen, von dem wir noch nicht einmal wissen, ob es überhaupt noch existiert, sollten wir kein Luftschiff nehmen", gibt sie zu bedenken. "Am Boden zu reisen dauert zwar länger und ist beschwerlicher, aber ein Weg durch die Berge hindurch ist nicht unmöglich. Wir würden nicht nur das Schiff, sondern auch unsere Leben und das der kompletten Mannschaft in Gefahr bringen. Das wirkt für mich nicht gerade verlockend."