Das Dorf Colonia Aggripinensis im äußersten Westen Gabrielslands hat mit dem vorsintflutlichen Köln nur noch den Namen gemeinsam. Als bei der großen Flut der bis dahin gemächlich dahinfließende Rhein zu einem gewaltigen Meer anschwoll und die gesamte Stadt in seinen Fluten versank, fassten die wenigen verbliebenen Bewohner Kölns den Entschluss, ihre Stadt neu zu gründen - schließlich waren von der alten Stadt nur noch die beiden Türme des Doms zu sehen, die aus dem Rheinmeer wie schwarze, mahnende Finger in den Himmel ragen. Und so zog Colonia Aggripinensis ein gutes Stück gen Westen in die grünen Hänge der Eifel, wo es heute nicht mehr als ein kleines, verschlafenes Nest ist, kein Vergleich mehr zu der vorsintflutlichen Millionenstadt. Vielleicht dreißig, vierzig Hütten reihen sich inmitten ausgedehnter Reisfelder um die kleine, steinerne Kirche und das große Gemeinschaftshaus. Doch der eigentliche Mittelpunkt des Dorfes sind weder die Kirche noch das Gemeinschaftshaus, sondern das Raphaeliten-Stift am Rande des Dorfes, Heimat einer kleinen Gruppe Beginen und Templer - und zweier Engel. Die Präsenz der Abgesandten Gottes in diesem kleinen Stift verwundert etwas, doch hat die Mater Ecclesia gute Gründe dafür, hier zwei Engel zu stationieren, liegt Colonia Aggripinensis doch in der Nähe gleich zweier Diadochenstände, nämlich Aachen und - auf der anderen Seite der Rheinschlundbucht - Essen. Dass hier keine größere Gruppe von Templern oder eine komplette Schar stationiert ist, liegt wohl vor allem daran, dass der der Orden des Erzengels Gabriel einen mehr oder weniger brüchigen Frieden mit Walter von Essen, dem dortigen Schrottbaron, pflegt und diesen nicht durch übermäßige Präsenz gefähren möchte - auch wenn natürlich jedem Mitglied der Angelitischen Kirche klar ist, dass auch Essen früher oder später wieder in die Obhut Nürnbergs und des Gabrielis-Ordens zurückkehren muss.
Für die beiden Engel, Rachel die Raphaelitin und Miroel der Gabrielit, war es zunächst ein Tag wie jeder andere. Wie immer kümmerte sich Rachel um die kleinen und großen Gebrechen der Menschen von Colonia Aggripinensis. Die Menschen kamen sogar aus der weiteren Umgebung in den Stift, um von den außergewöhnlichen medizinischen Fähigkeiten der Raphaelitin zu profitieren. Und wie fast jeden Tag begleitet sie Miroel, denn der Diener Gabriels hat sonst nicht viel zu tun in dieser recht friedlichen Gegend, in der die Gefahr eines Angriffs durch das Gezücht des Herrn der Fliegen fast schon vernachlässigbar gering ist. Rachel war gerade damit fertig, den gebrochenen Arm eines kleinen Mädchens zu richten und zu schienen, als eine der im Stift ansässigen Beginen mit einer leichten Verbeugung zu ihr tritt.
"Verzeiht, Rachel, aber Em Aurelia bittet euch zu sich. Auch euch, Miroel."