Zügig brechen die beiden Engel auf, um Marweiler möglichst noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Normalerweise wäre dies für Engel auch kein Problem, denn zu jeder Engelsschar gehört ein Urielit, und die Geschwister des Sehenden Erzengels finden selbst in der wüstesten Einöde zielsicher den Weg zum Ziel. Doch Miroel und Rachel sind alleine unterwegs und müssen sich so mit gut erkennbaren Landschaftsmerkmalen behelfen, um den Weg in das verseuchte Dorf zu finden.
Von Colonia Aggripinensis aus fliegen die beiden Engel geradewegs gen Osten, über den viele Kilometer breiten Rheinschlund hinweg, der das Mare Rhenum mit der Nordsee verbindet. Weit im Süden kann man die schwarzen Türme der untergegangenen Kathedrale des vorsintflutlichen Colonia ausmachen, die aus der stillen See mahnend in den Himmel ragen, ein Denkmal für die Verderbtheit der Menschheit, die der Herr mit der Zweiten Sintflut bestrafen musste. Wie gut, dass die Menschheit unter Führung der Heiligen Mutter Kirche und des Pontifex Maximus Petrus Secundus von diesen ketzerischen Pfaden abließ. Nach Überquerung des Rheinschlunds fliegen die Engel über die Gegenden Gabrielslands hinweg, in der sich die Terra Ventosa - die Windlande an der stürmischen Nordseeküste - und der Sinus Ignis, der vulkanreichen Gegend um den Feuerstuhl und den Mons Avis - treffen. Die Engel fliegen weit unter der dicken Wolkendecke, die jedoch erfreulicherweise ausnahmsweise einmal keinen Regen über die satt-grünen Lande schickt, über die dichten, tiefgrünen Wälder, die hellgrünen Wiesen und Felder und die schlammigen, terrassenartig angelegten Reisfelder. Nach einer Weile wenden sich die beiden Engel nach Süden, weg von der Terra Ventosa und tiefer in den Sinus Ignis hinein, in Richtung Wetzlar.
Und tatsächlich scheint der Herr es gut mit ihnen zu meinen, denn nach einiger Zeit taucht am vor ihnen ein kleines Dorf auf, das der Beschreibung des Boten entspricht. Das Dorf ist nicht mehr als eine kleine Ansammlung von einfachen Holzhütten und zwei größeren Gebäuden, von denen eins wohl als Lageraus und Gemeinschaftshaus dient, und das andere die steinerne Kirche des Dorfes ist, von dessen gedrungenem Turm die Banner der Angelitischen Kirche sowie des Gabrielis-Ordens im Wind flattern. Was den Engeln sofort auffällt, ist die ungewöhnlich ruhige Umgebung des Dorfes. Normalerweise sähe man die Dorfbewohner auf den Reisfelder schuften, doch hier sind die Felder verwaist, und das obwohl die Ernte kurz bevor steht...