Nuwairah + Mahlaka
Der Händler zog ein weiteres Mal an seiner Wasserpfeife. Lang muss die Zeit der Entbehrungen gewesen sein, dass er sich mal um mal an dem Luxusgut bediente und kaum davon ablassen konnte. Wer weiß, wohin seine langen Wege ihn führten, und welche Leute er in den Winkeln dieser Wüste bediente. Gewiss war es ein weitgereister Mann, so konnte man annehmen. “Hunger und Durst als Ehrerbietung, so gefällt es dem großen gelben Ungetüm dort oben bestimmt. Entschuldigt, wenn ich so offen spreche, doch mittlerweile glaube ich nicht mehr daran, dass die Götter sich so sehr für den Einzelnen interessieren, wie die Verehrer dieser Gottheiten es tun. Ich habe – mit Verlaub – noch keinen Sünder getroffen, der von einem Blitz der Götter erschlagen wurde, allerdings schon viele, die mit der Legitimation ihres Gottes diesen Sünder beseitigt haben, weil ihnen seine Nase nicht passte. Ist es nicht seltsam, was manchen Göttern gefällt? Der eine mag es, wenn man ihm Gold anbietet. Der anderen nimmt gerne Menschenopfer, wiederum andere sehen uns Sterbliche gerne leiden. Und welchen Sinn hat all das? Was bringt es den Göttern, außer vielleicht ein wenig Freude? Ich glaube kaum, dass Götter Geldprobleme haben!“ Er schmunzelte und trank aus seinem Becher. Wie weit war es wirklich her mit seiner Überzeugung zu seinem Gott? “Versteht mich nicht falsch, solltet ihr wider Erwarten Vecor angehören. Es ist gewiss eine große Leistung, die Wüste zu durchqueren, noch dazu in kleiner Gruppe. Ihr habt dazu meine Anerkennung.“ Er wurde unterbrochen von Tiatha, welche das Gasthaus betrat und dort die Eindrücke in sich aufsog.
Interessiert wandte er seinen Blick wieder Nuwairah zu. “Ihr seid eine Geschichtenerzählerin? Das finde ich bemerkenswert. Die meisten Geschichten, die man hier hört, dienen kaum der Unterhaltung, sondern der mehr oder weniger moralischen Erziehung. Sie formen ein idealtypisches Bild des perfekten Wesens. Diese hängen mir zum Hals heraus und haben in meiner Kindheit in mir den Entschluss reifen lassen, sprichwörtlich in die Wüste zu gehen und dort Dinge feilzubieten. Man lernt die Ruhe dort zu schätzen, wenn man sonst nur geistigen Abfall zu hören bekommt. Und fragt mich jetzt bitte nicht, wie ich es geschafft habe zu überleben mit meiner Einstellung. Deses Wunder finde ich selbst bemerkenswert!“ Er zwinkerte. “Aber was für Geschichten erzählt ihr?“
Auf einen klugen Rat angesprochen, beugte sich der Händler, der sich noch immer nicht vorgestellt hatte, leicht vor. “Wenn ihr einen klugen Rat hören wollt, dann nehmt euch diesen hier zu Herzen. Vecor steht für die Sonne, er ist die Sonne, so heißt es. Doch wo Licht ist, fällt auch eine Menge Schatten, und auf Vecors Stolz fällt eine Menge Licht. Je größer der Wahnwitz, je größer der Prunk, der in der Sonne errichtet wurde, desto größer ist auch der Schatten, den dieser hervorruft, und nicht immer ist dieser Schatten dazu, etwas zu verdecken. Vielmehr passiert es, dass dieser Schatten ein Eigenleben entwickelt, und die Vecorianer sind ganz fuchsig, dass sie in diese Schatten keinen Einblick haben. Fangt mit diesem Rat an, was ihr wollt. Meidet den Schatten, wenn ihr Angst habt, oder sucht ihn auf, wenn ihr euch verstecken wollt. Aber seid euch gewiss, dass dieser Schatten von Vecor nicht geduldet wird. Was in den Schatten aus seinem Blickfeld verschwindet, erzürnt ihn, oder vielmehr seine Anhänger, weil sie gerne alles kontrollieren, und dort zu ihrem Ärger keinen Zugriff haben.“ Er endete seine Rede, als der Wirt Hamam die georderten Getränke servierte und darauf hinwies, dass das Essen noch einige Minuten brauchen würde. Mittlerweile waren drei weitere Gäste eingetreten, die sich an einen Tisch gesetzt hatten. Es schien eine einheimische Familie zu sein.
Badawi + Kaveh
Der Vorschlag, einen Wein zu dieser Geschichte zu trinken, entlockte auch Adhmar ein Lächeln, wenn auch ein schwaches. “Kaveh, ich würde sehr gerne etwas mit euch trinken, und auch mit eurem Begleiter, doch ich fürchte, dass wir Adeodaten dem Wein abgeschworen haben. Wein lockert nur unnötig die Zunge und senkt die Hemmschwelle. Das war in früheren Tagen für viele von uns der Tod, deswegen meiden wir dieses Getränk nun. Allerdings…“ Er zog eine Schulter hoch, eine Geste der Gleichgültigkeit. “Ich bin dem Tod von der Schippe gesprungen, so denke ich also, dass ich heute eine Ausnahme machen kann. Ich bin ja nicht mehr im Einsatz und denke, dass ich euch wohl vertrauen kann. Ihr scheint mir in Ordnung zu sein!“
Angesprochen auf den Tod des Priesters, blickte er sich noch einmal um, denn es schien ihn in Erinnerung zu rufen, wo er sich befand. Es sprach wieder leiser, flüsterte beinahe. “Ich weiß nicht, wie ihr das seht. Ich sehe einen Menschen, der sich vor sein Volk steht und sich selbst dafür preist, dass Vecor ihn akzeptiert und Gnade über diesen Mann kommen lässt. Er rühmt sich mit seinen Errungenschaften in der Sonne, und wie er der Wüste unendliche Tage abgetrotzt hat. Ich denke, dass es für diesen Mann nichts Schlimmeres gibt, als einen undurchblickbaren Tod zu sterben. Einen Tod, den er nicht versteht. Einen Tod, der dann eintritt, sobald er in das Licht tritt. Im Licht zu sterben mag vielleicht ein höheres Ziel von ihm sein, allerdings nicht, wenn es so aussehen könnte, dass er durch das Licht stirbt, weil er in Ungnade gefallen ist. Ich wäre erfreut, wenn er so sterben würde. Vielleicht ist das zu viel Symbolik, und man sollte ihn lieber tagelang an einem der Kreuze verrotten lassen – ihm ab und an einen Becher Wasser zu trinken geben, um seinen Tod hinauszuzögern, doch ich finde, dass das ein guter Tod wäre.“Erschrocken wich er einen Schritt zurück. Hatte er das gerade etwa wirklich gesagt? Es war erstaunlich, was Hass aus einem Menschen machen konnte.
Er rang einen Moment mit sich, ehe er weitersprach. Offenbar gab er Informationen weiter, die nicht unbedingt für Außenstehende bestimmt waren. Hatte er wirklich so schnell Vertrauen gefasst? “Außerdem… Die Adeodaten haben ein bestimmtes Ziel mit ihren Aktionen. Die Hauptstadt Vecors Stolz wurde in letzter Zeit zu oft von uns unter Druck gesetzt. Deswegen versuchen wir nun, das Hauptaugenmerk scheinbar auf die Versorgung zu legen, um den Fokus der Vecorianer von der Hauptstadt wegzulocken. Wenn es uns gelingt ist alles gut, dann haben wir freie Bahn, um kurzzeitig wieder in dem Moloch frei nach unserer Überzeugung zu wüten. Wenn es uns nicht gelingt, haben wir dennoch einen Trumpf auf unserer Seite, denn dann können wir die Versorgung der Stadt schwächen, und das Volk muss Mängel erdulden, die es nicht kennt. Und wer wäre nicht verwundert und würde nachdenken, wenn der ach so mächtige Vecor plötzlich nicht mehr alle Bedürfnisse erfüllen kann? Es würde zu Krawallen kommen. Das Volk würde nicht mehr geschlossen hinter den Herrschern stehen, da die Sünder nicht mehr bloß von den Feuern im Nachleben erwartet werden, sondern bereits in diesem Leben Hunger oder andere Mängel erleiden müssen. Wein für das Volk.“Er lächelte bei diesen Worten. “Und ich werde euch gerne zu meinen Leuten in der Hauptstadt bringen. Dort werdet ihr mehr von uns kennenlernen, als nur meine bescheidenen Worte.“ Er verneigte sich und schwieg einen Augenblick. “Ich danke dem Rächer, dass er uns aufeinandertreffen ließ, um weitere Befürworter unserer Sache zu finden!“