Lange Zeit fiel Alvanon in eine scheinbar reglose Starre. Für einen Unwissenden musste es wirken, als wäre er in seinem eigenen Geist gefangen, da er auf nichts reagierte. Weder auf die Antwort des Alben, noch auf die Musik, die Mauron von sich gab. Er wirkte wie tot, zumal er nicht einmal mehr atmete. Eine Plastik des Elben, der er einst war, ewig gefangen in einem Moment der Gedankenlosigkeit und dazu bestimmt, für immer ein Mahnmal der Damnatio Memoriae zu sein.
In ihm jedoch war ein wahrer Sturm entbrannt. Natürlich stimmte es, die Alben beherrschten keine Heilmagie, deswegen fragte Alvanon. Und so war es eine logische Folge, dass dieses Volk entweder andere Wege der Heilung finden musste, oder sich Verbündete suchte, um körperliche Gebrechen auf magischem Wege zu bereinigen. Dass nun ausgerechnet die Zwerge diese Verbündeten waren, löste in Alvanon eine Mischung aus Empörung und Belustigung aus. Empörung darüber, dass sich die Zwerge mit Alben abgaben, welche nach Meinung des Elben nicht in das Weltbild der Bergbewohner passten, und Belustigung, weil die Zwerge in natürlicher Konkurrenz zu den Elben lebten und sich dennoch mit den Alben abgaben. Welche Hintergründe diese Zusammenarbeit wohl haben mochte? Ob beträchtliche Mengen an Gold geflossen waren, dass es zu dazu gekommen war? Oder war die Verbundenheit tiefer, als man vermuten mochte? Schließlich hatte sich immerhin einer dieser Zwerge in diesem Wald niedergelassen. Für die Alben war dies sicherlich kein Nachteil – immerhin war die Kunst der Heilung so stets in der Nähe, wenn etwas anlag. Er dachte an die Wunden des Alben, die mittlerweile geschlossen waren.
Wer weiß, ob der Zwerg nicht sogar näher an uns dran ist, als wir glauben. Dieser Wald steckt voller Überraschungen.Überrascht war Alvanon davon, dass der Alb so offen über den Zwergen sprach. Dieser sank immer mehr in Alvanons ansehen, auch wenn er es nach dieser Antwort nicht mehr für ein Wunder erachtete, dass dieser Zwerg sich den Alben angeschlossen hatte, wenn es denn stimmte, dass er zuvor für die Vecorianer gearbeitet hatte. Scheinbar waren die Alben eine Art Abfalleimer, welches alles aufnahm, was bereits im Vorwege in Gedanken korrumpiert gewesen ist. So wie die Elbin, deren Körper gefangen war, deren Geist jedoch noch nicht gefesselt schien. So deutete Alvanon zumindest ihre Worte, welche ihm groß erschienen. Doch ihr Selbstvertrauen, selbst im sprichwörtlichen Angesicht des Todes, begründete sie zugleich mit den fünfzig Jägern, die derweil noch den Wald durchquerten, auf der Suche nach den Untoten. Ob sie wohl Erfolg gehabt hätten, wenn die Untoten nicht auf den albischen Gefangenen getroffen wären? Wer wusste das schon. Dennoch, es war eine interessante Nachricht, dass sie von fünfzig Mann gejagt wurden. Man schien ein großes Interesse daran zu haben, dass die untoten Könige diesen Wald nicht verließen. Das erklärte zugleich auch, warum Dhurek mit Söldnern unterwegs war. Nicht nur wegen der Alben, sondern auch aus Furcht vor Vergeltung aus eigenen Reihen. Alvanon fragte sich lediglich, warum die Alben die Begleiter von Dhurek erschossen hatten. Auf der einen Seite schienen auch sie verhindern zu wollen, dass sie zum Leben erwachten, auf der anderen Seite waren sie nun allerdings ein fester Bestandteil ihrer Pläne.
Er erwachte erneut zum Leben. Sie hatte Angst vor dem Untod, vielleicht konnte er damit etwas anfangen. Sie redete zwar, doch vielleicht waren da noch mehr Dinge, die sie vielleicht zum Besten geben konnte? Sie war noch zu selbstbewusst für den Elben, das wollte er ihr nicht lassen, denn sie verdiente es für ihren Frevel des Volksverrats nicht, dass sie sich so sicher fühlen durfte. Andererseits war er sich auch sicher, dass sie Angst verspürte, denn sie war in diesem Moment alleine und wehrlos im Angesicht ihrer größten Feinde. Sie verbarg es gut, aber er wusste, dass dort Angst war. Wären seine Sinne noch die eines lebenden Alben, würde er diese Angst auch riechen können, dessen war er sich sicher. Und tatsächlich bildete er sich ein, dass ihre Angst in seine Nase stieg. Vielleicht war dies aber auch nur seine Hoffnung. Seine Fassade bröckelte und unter dem knirschenden Protest seiner Knochen bewegte er sich, um die Elbin anzulächeln und ihre Gesichtszüge genau zu studieren. Schließlich drehte er sich weg, um sein Kunstwerk zu vollbringen. Er holte seine Schminkpalette heraus und begann, seine Maske zu modellieren. Er versuchte, die Gesichtszüge der Elbin darauf darzustellen, gab sich dabei besondere Mühe, um sie realistisch zu halten. Die Elbin fürchtete den Untod, also wollte er ihr zeigen, was der Untod aus ihrem Gesicht machen konnte. Fäulnis sollte ihre Wangen zieren und der Unterkiefer zu sehen sein. Vergänglichkeit sollte ihr Gesicht zieren, welches fortan auf seiner Maske zu sehen war.
[1]Schließlich drehte sich Alvanon zurück und sah der Elbin in die Augen.
“Du fürchtest den Untod, Elyana. Und dennoch, sieh dir an, was er mit dir anstellen wird. Wie er deinen ach so perfekten Körper zersetzen wird. Bald wird der Untod dich holen kommen.“ Alvanon stellte sich ein düsteres Orchester vor, dessen Klänge aus dem Graben ertönten und den Zuschauern die passende schaurige Untermalung des Geschehens boten. Er sah sich als den Spiegel, den er ihrer Seele vorhalten konnte. Es wurde Zeit, das Trugbild komplett zu machen. Er hatte genug von ihr gehört, um ihre Stimme kopieren zu können, er hoffte nur, dass er das mit seiner neuen Sprechfähigkeit ähnlich gut hinbekam, wie mit seiner ursprünglichen Stimme.
[2] Mit verstellter Stimme sprach er weiter.
“Deine Freunde werden vielleicht kommen, aber sie werden keine Untoten finden. Nur dich. Und du wirst ihnen in den Rücken fallen, ehe sie merken, wer du wirklich bist. Ich frage mich sowieso, warum sie dir nicht helfen. Sind sie am Ende zu schwach, um dich aus dieser illustren Runde zu befreien? Oder kümmert es sie nicht, dass eine von ihnen weg ist, weil es noch immer 49 von ihnen gibt? In diesem Fall scheint der Zusammenhalt der Gruppe nicht besonders groß zu sein. Keine Herausforderung für uns.“ Er machte eine kurze Pause.
“Dieser Sir Rushford scheint ja ein mächtiger Mann zu sein. Aber Ritter neigen dazu, bequem zu sein, das heißt, dass sie ein Lager haben. Eine Art Operationsbasis. Sag mir alles dazu, sag mir, wo diese zu finden ist, oder du wirst bald dieses Gesicht tragen und zu dem werden, was du verabscheust!“[3] Gespannt wartete er ihre Reaktionen ab, versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, was sie bei diesem Schauspiel empfinden mochte.
[4]