Vielen Dank.
Kannst du die Rolle des SLs in dieser besonderen Spielweise etwas genauer beleuchten? Insbesondere wenn ihr volle Fahrt aufgenommen habt, kann ich mir vorstellen, dass der SL manchmal auch ziemlich überflüßig sein kann, weil die Spieler so sehr in ihre SCs vertieft sind. Es scheint eine Abkehr vom SL-zentrischen RPG zu sein
Ich kann es gerne versuchen. Die Grundidee war, dass es mir als Spieler und als Spielleiter schwerfiel, dass die Spieler oftmals in einer reaktiven Position sind. Das heißt selbst, wenn sie die Handlung vorantreiben sollen, können und dürfen, ist es oftmals so, dass sie auf eine Aktion oder Interaktion der Spielwelt warten, auf die sie reagieren können. Obwohl sie potentiell die Möglichkeit der eigenen Gestaltung haben, ist es auch mit einer gewissen Sorge belastet, gerade in Homebrew-Welten, wo der Spielleiter nicht nur Spielordner, sondern häufig auch Primarch über seine Spielwelt ist und somit häufig über so viel Wissen gebietet, welches die Spieler nicht haben, weil es bisher nur im Kopf des Spielleiters existiert. Deswegen bietet sich häufig offizielle Kampagnenbände mehr an, wenn es um die Freiheit des Handelns geht, aber der Spielleiter eine autokratische Hand darüber halten möchte. Das führt dazu, dass der Spielleiter die Spieler mit vielen Infos füttern muss und diese Infos auch alleine die wahrgenommene Spielwelt des Spielers diktieren können. Dadurch werden sie häufig in eine reaktive Position gedrängt. Das hat mich als Spieler gestört, aber noch mehr als Spielleiter, wenn ich merkte, dass die Spieler nicht immer unbedingt aus ihrer Charaktermotivation handeln, sondern darauf warten, dass sie auf die Vorgaben des Spielleiters reagieren können. Das war nicht das, was ich darunter verstand, wenn Charaktere ihre Geschichte schreiben sollen.
Dahingehend haben wir uns und versuchen wir uns zu ändern, sodass die Spieler die Geschichte eben auch aktiv mitschreiben können und eben auch Geschehnisse in die Welt einbetten, die der Spielleiter nur noch verwaltet, aber nicht unbedingt 100% kontrolliert. Natürlich bleibt der Spielleiter Spielordner und hat ein Vetorecht und seine Plots eine gewisse Immunität. Das heißt, der Spieler kann in einem Detektivabenteuer nicht außerhalb des Spiels den Mörder finden, nur weil es ihm in den Kram passt. Aber er hat das Recht NSCs einzuführen, die ihm beim zurechtfinden in der Spielwelt helfen. Er kann eigenständig Plotwünsche einbringen oder die Umwelt stärker beeinflussen, solange es im Rahmen des Vertretbaren bleibt, und er kann natürlich auch eigene Legenden, Mythen, Lieder und Hoffnungen in die Welt setzen. Und dadurch ist das so, dass der Spielleiter viel aktiver auch zum Improvisieren gezwungen wird und eben auch mal reagieren darf und auch mal auf dem falschen Fuß erwischt wird, statt alles nur autokratisch zu verfüttern. Dass die Spieler dadurch animiert werden, aktiveren Part in ihrer und meiner Geschichte zu übernehmen, hat meinen Spielspaß deutlich steigen lassen. Auch wenn die SCs dann mal ein, zwei Stunden mit sich und ihren Diskussionen, Auslegungen etc. beschäftigt sind, hat der Spielleiter durchaus mal weniger zu tun, aber es macht es nicht langweilig. Wenn Spieler für ihre SCs entflammen und das anhand der gemeinsamen Spielrunde machen, ist es immer spannend zu verfolgen und ein unglaublich großes Lob für den Spielleiter.
Unsere Spielleiter (wir wechseln des Öfteren, auch wenn jeder seine eigenen Stammrunden hat) haben also häufig das Glück, dass die Spieler die Geschichte eben mittragen und sich somit auch eine deutlich tiefere Geschichte entwickelt, wenn Spieler eben nicht nur darauf warten müssen, dass der SL ihnen eine Liebesgeschichte aufdrängt, sondern sie diese eben auch im Rahmen selbst entwickeln können und immer wieder mit dem Spiel verknüpfen können, wenn der SL dazu nicht in der Lage ist, es aber zumindest abnickt. So entwickeln sich zumindest bei uns ganz andere Ansätze. Der SL bleibt also noch Boss, aber er ist schon ein Stück weit eher Boss als Verwalter und der, welcher den roten Faden spannt und natürlich auch Feinde etc. betreut und die externe Story bereitet, doch er ist auch ein Stück weit Mitspieler geworden.
Gibt es ein Theaterkonzept, welches du besonders gerne spielst und wie sieht das aus?
Ich leite meist nach klassischer Theaterlehre, also aristotelischer Lehre, und mit der ganz klassischen Aufteilung einer Kampagne in fünf große Akte. Natürlich ist das ganze viel größer als ein einzelnes Theaterstück, weshalb die Umsetzung im ORPG mit Szenarien deutlich leichter ist. Eine Kampagne kann man sich also eher als Abhandlung vieler fünfaktiger Szenarien vorstellen, welche sich in einen große, fünfaktige Gesamtgeschichte reiht. Dabei spielt häufig eine gewisse zeitliche Stringenz, eine geringe Auswahl an Orten und Personen eine Rolle (Ich bin der Überzeugung, dass wenige überzeugende Charaktere und Orte immer wichtiger sind als einfach eine Unendlichkeit der Beliebigkeit zur Verfügung zu stellen.). Ganz wichtig ist jedoch für mich immer, dass mein Spiel ein moralischer Resonanzboden ist (ob die Charaktere nun böse sind oder gut). Es gibt immer gewisse Themen, welche oftmals in einem diffusen, moralischen Licht stehen und als Begrifflichkeiten diese Runde begleiten. In der Runde Des Kaisers schwarzes Vermächtnis habe ich das einmal aufgeführt, wie ich Inspiration für eine solche Runde finde
[1]. Es gibt immer ein, zwei, drei philosophische Begriffe, welche das Spiel dominieren sollen. In einer über sechs Jahre laufenden Tischrunde ging es um den Begriff Loyalität vor allem, die Runde war eine Intrigenkampagne in Athkatla, Amn. In meiner längsten Runde, die fast zehn Jahre lief, und die bis heute größe Kampagne war, waren die beiden zentralen Begriffe: Freundschaft und Feindschaft. Da wurde viel ausgelotet, die Themen tauchen immer wieder auf und begleiten die Charaktere, mit vielen theoretischen Facetten und vielen Anspielungen innerhalb des Spiels.
Meine beiden laufenden Runden hier haben auch solche Inhalte:
Kampf für Glorie und Vaterland setzt sich durchaus kritisch mit der Frage auseinander, was es heißt, ein Stück Land zu lieben. Von Nationalismus bis zur Naturliebe eben, auch wenn es sehr politisch ist und diesen unheilvollen, übertriebenen Nationalismus als Kernthema hat.
De Miraculis Mortuorum dreht sich darum, was Untod und was Vergessen bedeutet, auch und vor allem in moralischer Hinsicht. Die Runden sind natürlich auch von typischen Rollenspielelementen wie Kämpfe, Zauber und Artefakten begleitet, aber sie haben eben immer Themen, mit denen man sich auch gerne moralisch und philosophisch auseinandersetzen darf, wenn man denn will. Und deswegen gestalte ich das klassische nach hellenistischer Dramenlehre, auch wenn es anderen zu trivial sein mag. Ich habe einen Rahmen, ich habe viel moralischen und philosophischen Grund, auf dem ich mich austauschen und austoben kann, aber auch typische Phänomene, wie die berühmte
Hybris, Heroentum und einen hoffentlich nachvollziehbaren Fokus auf die Rolle der Charaktere.
Am Spieltisch nutzen wir manchmal auch den
Verfremdungseffekt von Brecht, weil man so ganz spannende Effekte zusammen mit dem sonstigen OOC-Palaver erreichen kann und auch Runden hat, in dem der ästhetischen Anspruch oder jener Anspruch an Atmosphäre zerstört werden muss. Das gilt gerade für Szenen, die moralisch in realiter unerträglich wären für einen der Spieler oder für mich.
Haben sich deine Mitspieler auch mal im Gate versucht?
Natürlich teilen nicht alle Mitspieler meine Ansichten und haben ganz andere Ansprüche an das Spiel. Deswegen haben manche zum Beispiel kein Interesse an dem literarischen Charakterfokus und Interaktionsfokus in Forenrollenspielen. Alle Mitspieler haben sich dennoch im Laufe der Jahre im ORPG-Bereich probiert, wobei nur ich über Gebühr hängen geblieben bin. Hier im Gate haben zwei meiner Mitspieler gespielt, wovon einer noch aktiv ist und inzwischen auch Spielleiter ist (vielleicht und hoffentlich bleibt er genau darauf hängen.
). Der aktive Spielleiter und Spieler ist Hraun, er leitet die Runde
Die Feuer der Wüste und ist als untoter Elb Alvanon in meiner Untotenrunde unterwegs. Des Weiteren hat ein weiterer Mitspieler in meiner ersten Runde nach Wiederkehr ins Gate mitgespielt als Thargosz. Wir haben versucht eine alte ORPG-Runde wiederzubeleben, die wir in meinem ersten Forum über viele Jahre gespielt hatten, haben es aber nicht geschafft. Sie hieß
Das Zeitalter des Hasses und war eher eine klassische Fantasyrunde. Er hat danach dem ORPG aber wieder den Rücken gekehrt (Hraun hatte damals auch daran teilgenommen als Cephyron). Außerdem gibt es noch einen weiteren Spieler im Gate, der einst Teil meiner Tischrunde war, aber irgendwann haben sich die Wege getrennt und man sich etwas aus den Augen verloren, nämlich <Loki>. Der dürfte aber einen erkennbar anderen Ansatz als ich beim Spiel verfolgen.