„Arr. Arr.“ ertönt der Ruf einer Krähe. Sie sitzt hoch oben auf den abgestorbenen Ästen einer Tanne. Der Winter ist schon lange vorbei und ihr Blick wandert über das dunkelgrüne Meer aus Nadelbäumen. Aller Schnee ist jedoch noch nicht verschwunden. Ihre schwarzen scharfen Augen erkennen an den Berghängen noch so manchen Fleck weißen kalten Schnee.
Ein Beben lässt den Baum plötzlich erzittern.
„ARK! ARK! ARK!“ schimpft die Krähe und flattert mit den Flügeln. Wieder erzittert der Baum und noch eindringlicher wird das Geschrei des Vogels. Unten am Stamm lässt niemand sich vom Zetern und Schimpfen des Vogels stören. Der gut eingepackte Mensch schlägt weiter mit der Axt gegen den alten Baum. Auch an einigen anderen Bäumen in der nähe arbeiten Menschen. Einige von ihnen sind hoch konzentriert und andere singen im Takt ihrer Äxte munter ein Lied.
Für die Menschen beginnt jetzt wieder die Zeit der Arbeit. Über den Winter hinweg mussten ihre Äxte ruhen, doch nun sind die Pässe wieder frei und die Vorräte in den Holzlagern erschöpft. Auch hungern die großen Städte des Reiches nach Holz. Besonders der Norden braucht dieses Material, welches hier in Hülle und Fülle wächst.
Knarrend stürzt der erste Baum zu Boden gefolgt von vielen Anderen. Auch der Baum der Krähe liegt danieder. Sie selbst zetert weiter vom Himmel hinunter. Die Kreise die sie zieht werden jedoch größer. Es gibt genug Bäume hier und auch der Hunger der Menschen nach Holz kann den großen Wald des Westens nichts anhaben.
Aber nicht nur dieses Wissen treibt die Krähe an weiter zu fliegen. Sie hat es gespürt! Sie hat die dummen Menschen gewarnt! Aber sie hörten nicht und nun ist der Wald wieder still.
Das sanfte Spiel eines jungen Burschen auf einer Flöte erfüllt den Raum. Der alte Fürst Rocho hat sich auf seinen Lieblingsplatz zurückgezogen. Mit geschlossenen Augen sitzt er auf den großen alten Holzstuhl nahe des Kamins. Von der wunderbaren Schnitzarbeit des Stuhls kann nur wenig erahnt werden. Über die Lehnen sind einige immer noch prächtige braune Fälle gelegt, so dass die alten Knochen des Fürsten wohl ruhen können. Bedächtig lauscht er dem Spiel der Flöte. Dass das Feuer im Kamin im Klang der Flöte zu tanzen scheint so wie der Bursche auch, bekommt er nicht mit. Für ihn zählt das auch nicht wirklich etwas.
Zeit seines Lebens hatte er gelernt, dass jeder fähig, ist Unfähigkeit und andere negative Eigenschaften zu verschleiern. Sei es im Kampf oder wie hier im Spiel eines Instrumentes. Von daher hatte er sich angewöhnt, Musik nur zu lauschen. Die Darbietung interessierte ihn erst wenn der Künstler es geschafft hatte sein Gehör zu überzeugen.
Ein paar kalte Schweißperlen rannen dem Burschen über das Gesicht, als er bemerkte, dass der Fürst die Augen geschlossen hatte. Für ihn war es das erste mal, dass er einem Fürsten vorspielen durfte. Gut bei Fürst Rocho war es recht einfach vorspielen zu dürfen, besonders jetzt im Frühling, aber für ihn, einem Köhlerburschen, war es schon eine Ehre. Außerdem, wenn der Fürst ihn fördern würde, könnt er mit dem Geld nicht nur weiter Flöte üben. Er könnte auch seine Familie unterstützen. Denn das Geld, welches seine Familie für Holzkohle bekam, wurde in den letzten Jahren immer weniger.
Die Eigenart des Fürsten kannte der Bursche ja nicht und so musste er denken, dass der Fürst gelangweilt war. Panik stieg in ihm auf und sein Spiel verlor an Kraft und Schwung. Dabei war es bis jetzt mehr als passabel. Aufgeben wollte er jedoch nicht. Wie gewohnt hüpfte er auf das andere barfüßige Bein und spielte wieder stärker. Er tanzte jedoch nicht weiter auf diesem Bein herum, sondern begann wie ein Faun von einem Bein auf das andere Bein zu hüpfen. Seine Töne blieben stark. Doch konnten nun die Wachen, die Diener und auch die kleine andere Zuhörerin die Nervosität des Burschen deutlich sehen.
Dann geschah was passieren musste. Der Bursche erwischte beim rumhüpfen eine Fuge zwischen den Steinen des Bodens unglücklich. Dieser kleine Stopp sorgte dafür, dass er nicht richtig landen konnte. Abrupt endete das Spiel der Flöte.
Hölzern klang die Flöte, als sie auf den Steinen landete. Der Bursche blickte versteinert auf den Kamin und den Fürsten. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Er war sehr unglücklich aufgekommen und hatte sich so den Fuß gezerrt. Schmerzhaft, doch mehr als das schmerzte ihm wohl die Schande vor den Fürsten versagt zu haben. Denn er bewegte sich nicht.
„Bedauerlich. Schon zu ende Daniel aus Waldau?“ fragte der Fürst immer noch mit geschlossenen Augen. Er hatte nicht mitbekommen was passiert war.
„Nun denn. Dann müssen wir mit dem wenig gespielten urteilen.“ Auf diesen Worte des Fürsten zuckte der Bursche innerlich. Nicht mehr viel und Tränen würden sich mit dem Schweiß mischen.
„Meine liebe Mystral, was ist deine Meinung zu dem Spiel des jungen Burschen? Vollkommen überzeugt hat es uns nicht.“ Das Schlucken des Burschen nach diesen nicht tadelnd gesprochenen Worten war fast zu hören. Mehr ruckelnd als normal wanderte sein Blick auf den kleinen Schemel auf der anderen Seite des Kamins. Hier saß ein kleines geflügeltes Wesen.
So schöne Kleider hatte der Junge noch nie gesehen und wohl auch noch kein solches Wesen. Doch wusste er wer sie war. Sie war die Prima Musika des Fürsten, die Frau welche dem Fürsten bei der Auswahl von jungen Musikern helfen durfte, die Frau von welcher viele der anderen Musiker ehrfürchtig sprachen.
Während der Fürst auf die Meinung seiner Prima wartete, begann der Bursche zu zittern. Er konnte wohl nicht mehr stehen. Doch die Diener hatten ihn zu sehr eingebläut vor dem Fürsten gerade zu stehen. Dumm in dieser Situation. Ein in dunkelrote Gewänder gehüllter junger Diener eilte zu dem Burschen. Seine Stoffschuhe waren kaum auf den Steinen zu hören und so erreichte er fast lautlos den Burschen. Dieser zuckte als der Diener ihn am Arm griff. Doch als er merkte, dass der Diener ihn nur stützte, entspannte er sich wieder und blickte zurück auf das geflügelte Wesen. Wenigstens sein körperlicher Schmerz war nun etwas gelindert.