Dana erwiderte Ichabods Abschiedskuss zärtlich, auch wenn sie es begrüßte, dass er einigermaßen kurz und, im Vergleich zu den vorherigen, die sie ausgetauscht hatten, keusch ausfiel, da sie so viel Publikum hatten. Sie blendete es für einen Moment jedoch vollkommen aus, um den Augenblick genießen zu können. Ihr Herz pochte und sie schenkte ihm ein warmes Lächeln, als sie sich voneinander lösten.
„Gib auch du auf dich Acht“, erwiderte Dana auf den Wunsch ihres Mannes, dass sie auf sich aufpassen solle, und ließ ihn dann ziehen. Eigentlich behagte es ihr nach dem gestrigen Vorfall mit den Untoten nicht, Ichabod aus ihrer Reichweite zu wissen, doch wenn sie sich aufteilten, würden sie effizienter vorgehen können.
Scheinbar hing Dana kurz Gedanken nach, bevor sie sich der Gegenwart besann und Kendra lauschte. Sie merkte sich den Namen des Sheriffs, Benjan Caeller, und auch den von Edis Enkel Riff, der dem Sheriff wahrscheinlich assistierte – zumindest entnahm Dana das dem Kontext. Interessant fand sie jedoch zu erfahren, dass sowohl Vater Grimburrow als auch Jominda Fallenbridge das Vertrauen des Professors genossen hatten – so wie Kendras derzeitigen Gäste auch. Sie entsann sich, dass der alte Gelehrte gute Menschenkenntnis besessen hatte, manchmal aber auch etwas naiv auf die Güte anderer vertraut hatte. Vielleicht war ihm seine Vertrauensseligkeit zum Verhängnis geworden, vielleicht waren Jominda und Grimburrow aber auch wertvolle Verbündete, auf die sie sich würden verlassen können. Das Verhältnis zum alten Priester war nach dem Vorfall mit den Untoten sicher schwierig und würde sich auch nicht bessern, wenn man sie in oder in der Nähe der Krypta erwischen würde.
Jadars Mixturen waren eigentlich eine höchstinteressante Idee und Vorgehensweise, wie Dana fand. Da sie tagtäglich nicht vor Betrug zurückschreckte, schließlich war sie eigentlich keine Ärztin, hatte eine Gestaltänderung durchaus einen Reiz – und vielleicht bessere Verwendungszwecke. Wenn man sie auf dem Friedhof erwischen würde, würden sie Ärger bekommen. Und sollte sich ein falscher Vater Grimburrow bei ihnen befinden, würde dies gewiss auffliegen und sie würden noch größeren Ärger bekommen. Dana beschloss, noch einmal auf Jadar zurückzukommen, sollte sich eine sinnvollere Möglichkeit ergeben, die Tränke zu nutzen.
Nachdem Kendra geendet hatte und sich an Brann wandte, sprach Dana Samuel Pierce an:
„Mir soll es gleich sein, ob ihr uns oder Kendra und Viktor begleiten wollt. Wenn Ihr weiterhin wünscht, mit zum Stadtrat zu kommen, könnt ihr das gerne tun“, bot sie mit einem freundlichen Lächeln an. Für sie war es schön zu sehen, dass wieder Lebensgeister und Eifer in Ichabod gefahren waren, aber Samuel konnte sicher selbst entscheiden, wen er nun begleiten wollte. Dana stand dem dunkelhaarigen, großgewachsenen Mann mit Dreitagebart da nicht im Weg.
„Ich sollte Euch aber vorwarnen – Euch auch, Brann“, bezog sie auch den Söldner mit ein.
„Stadtrat Hearthmount hat uns gestern in einem Wutanfall brüllend vor die Tür gesetzt.“
Sie runzelte leicht die Stirn.
„Ich hoffe, er hat sich inzwischen ein wenig beruhigt und lässt uns mit sich reden. Versucht, ihn nicht zu reizen, wenn es sich vermeiden lässt. Seinem Verhalten nach zu urteilen, war er schon von Anfang an nicht begeistert von unserer Anwesenheit hier. Da wir länger in Ravengro bleiben wollen, sollten wir uns wirklich mit den Einheimischen arrangieren, anstatt sie gegen uns aufzustacheln. Gerade wichtige Männer wie Vater Grimburrow und der Stadtrat könnten im Zweifelsfall nützliche Verbündete sein… Doch sollten wir gut überlegen, wem wir trauen. Vater Grimburrow wusste, dass wir beim Stadtrat waren. Vielleicht bedeutet das im Gegenzug, dass der Stadtrat von der Krypta wusste. Vielleicht. Aber im Grunde könnte bereits vor dem Angriff durch die Untoten jeder im Ort davon gewusst haben, dass wir uns dafür interessiert haben. Ich nehme an, im Pharasmatempel hat sich das schnell herumgesprochen. Was Miss Fallenbridge betrifft… Ich weiß es nicht. Ich würde nicht davon ausgehen, dass sie oder auch der Vater diese Information absichtlich in falsche Hände gegeben haben, wenn sie es denn weitererzählt haben. Bis wir das Gegenteil bewiesen haben, sollten wir versuchen, die Freunde des Professors auch als unsere Freunde ansehen. Schließlich sind auch wir hier, weil er uns vertraut hat. Wir sollten misstrauisch sein, doch niemanden zu schnell verurteilen.“
Sie überlegte kurz. Irgendetwas hatte sie noch loswerden wollen.
„Achja“, fügte sie hinzu, als es ihr wieder einfiel, „was die Krypta betrifft: Sagt Viktor lieber nichts von dem Vorhaben, dort einzudringen. Er ist ein guter Mensch, doch an sein Priesteramt gebunden, das sollten wir nicht vergessen.“
Dana befürchtete, dass Viktor langsam aber sicher seine Vorwarnungen in die Tat umsetzen würde, wenn die Gruppe weiterhin Pharasmas Gesetze und seine Gebundenheit an diese missachtete. Sie selbst sah es, obwohl sie bereits im Tempel gearbeitet hatte, ein wenig lockerer mit der Störung der Totenruhe – zumindest in diesem Fall. Wenn sie den Flüsternden Pfad nicht aufhielten, würden schlimme Dinge passieren. Dessen war sich der Professor gewiss gewesen und Dana traute dem Urteil des Gelehrten, der auch für sie so etwas wie eine Vaterfigur gewesen war.
Dana seufzte.
„Meinetwegen können sofort aufbrechen. Ich muss nur meinen Mantel holen. Bis heute Mittag“, verabschiedete Dana sich von Kendra und mit einem fragenden Blick auch von Samuel, sollte dieser sich dazu entscheiden, Vater Grimburrow aufzusuchen, und machte sich auf in Richtung Erdgeschoss und Haustür. Auf dem Weg dorthin hielt sie jedoch an Viktors Tür an, um es zu übernehmen, dem jungen Priester über die Pläne in Kenntnis zu setzen.
Dana entging nicht, dass Viktor niedergeschlagen wirkte. Sie kündigte ihre Anwesenheit mit einem Klopfen an den Türrahmen an.
„Ichabod und Jadar sind gegangen, um sich die blutbeschmierte Schreckenfels-Gedenkstatue anzusehen, die Kendra und Brann gestern entdeckt haben“, begann sie zu berichten. „Wir sind nun unterwegs zum Stadtrat, um zu versuchen, die Wogen zu glätten und ein paar Informationen zu sammeln. Es wäre schön, wenn Ihr das gleiche bei Vater Grimburrow versuchen könntet, Viktor. Ihr dürftet als Pharasmit den besten Draht zu ihm haben. Kendra hat sich bereit erklärt, Euch zu begleiten. Wir wollen uns am Mittag im ‚Lachenden Dämon‘ zusammenfinden. Jadar hat uns übrigens einen Vorschlag unterbreitet, von dem er uns sagte, dass Ihr ihn bereits abgelehnt habt. Auch bei uns ist er auf Ablehnung gestoßen. Dies wollte ich Euch nur sagen. Passt auf Euch auf.“
An der Haustür angekommen, nahm Dana ihren Mantel vom Kleiderhaken, schlüpfte hinein und dachte auch an ihren Regenschirm. Sie war bereit für den Aufbruch.