So war es also recht schnell und ohne viel zu diskutieren entschieden. Aether Shantys letzte Worte hatten die Gedanken der kleinen Gruppe gut zusammengefasst.
"So oder so, diese Geschichte muss ein Ende haben." Nach all den Strapazen der letzten Wochen, den neuen Erkenntnissen und dem Tode zweier ihrer Mitstreiter, waren sie nun endlich wieder Zuhause. Middlesteel war eine Stadt voller Armut, Kriminalität, dunklen Ecken und dreckigen Spelunken, voller Angst und Hass auf Irrnebler - wenn diese keinen Ring um den Hals trugen - und allen, die das große Spiel nicht mitspielen wollten und trotzdem hatte diese Stadt für alle Überlebenden eines gemeinsam: Sie war ihr Zuhause.
Vielleicht erkannte der ein oder andere sogar, dass egal wie schlecht ihr Leben bisher verlaufen war und egal wie wenig Gutes die Zukunft gebracht hätte, es ging immer noch schlimmer. Die Erfahrungen in Liongeli ließen erkennen, dass ein Leben in dieser Metropole vielleicht nicht wünschenswert aber trotzdem wertvoll war. Egal was die Zukunft bringen würde, hier in Middlesteel würde es beginnen.
Aber damit etwas beginnen kann, muss etwas Anderes aufhören und diese Geschichte endet hier.
Die Überlebenden der Expedition machten sich also geschlossen auf den Weg durch die stinkende Metropole Jackals, die im Großen im Ganzen selbst wie ein ineinander verschlungener Mechanismus wirkte. Statt Zahnräder waren es hier Menschen, Craynarbier, Greifer und selbst Männer des Metallvolks, die Hand in Hand zusammenarbeiteten, um alles am Laufen zu halten. Doch es würde noch genügend Zeit geben, diese Abläufe zu betrachten - im Moment mussten die Pläne Victor McKinkais verhindert werden und das duldete keinen Aufschub.
Von dem geschäftigen Hafenviertel, in dem überall Waren - legale und illegale - in Lagerhäuser oder direkt an den Mann gebracht wurden, ging es weiter durch das Handelsviertel der Stadt, bis sie schließlich Haggswood erreichten, in dem die Kaserne Sondergarde stand - direkt am Palace-Square. Zu jeder Zeit war der Blimber-Watts-Turm zu sehen, der mit seinen 50 Stockwerken das höchste Gebäude der Stadt war und so als Orientierungspunkt fungierte.
Es dauerte nicht lange, bis sie die Kaserne erreichten und dort bereits von Hauptmann Flare - dem Löwen von Jackals und Held des Volkes - empfangen wurden. Doch wo andere vielleicht herablassend wirkten, sich aufspielten oder mit ihrer Macht und ihrem Einfluss prahlten, war Flare ganz anders. Er bat seinen Nebelbruder und die drei anderen Teilnehmer der Expedition zu sich, in sein Zimmer, welches aber eher an einen Kraftraum, denn an ein Büro erinnerte.
Er war freundlich, hörte sich geduldig den Bericht Simons und die Kommentare der Anderen an und wirkte ehrlich bestürzt und traurig, als er vom Tod Wolfhards und Samuels hörte. Doch vor allem verstand er, dass nun Eile geboten war.
"Euer Bericht bestätigt leider, was ich mir schon gedacht hatte. Ein letztes Mal bitte ich Euch um eure Hilfe - danach sollt ihr für eure Mühen entlohnt werden, auch wenn das die Schmerzen, die ihr in den letzten Wochen habt erleiden müssen, nicht wieder heilen kann. Verzeiht mir, dass ich nicht früher gehandelt und euch alle da raus gelassen habe. Ich hätte sofort einige meiner Nebelbrüder schicken sollen." Auch wenn Flare aufgrund seiner möglichen Fehleinschätzung der Situation geknickt war, hinderte ihn das nicht daran, endlich zu handeln. Vielleicht war es der Tod der zwei Männer, vielleicht auch nur die Dringlichkeit der Angelegenheit aber er zog sich für einige Minuten zurück und kam dann in voller Uniform zurück.
"Ich werde mich selbst um diese Angelegenheit kümmern und ihr werdet mich begleiten. Überlasst den Kampf mir." Mit diesen Worten übergab er das Kommando einem seiner Untergebenen und zusammen verließ er mit Aether, Simon, Shiver, Marguerite, Carl und zwei weiteren Nebelbrüdern die Kaserne.
Ein weiteres Mal lief die Gruppe durch die Stadt - allerdings mit dem Unterschied, dass ihnen jetzt weit mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Flare war eines der bekanntesten Gesichter des Landes und es gab nur wenige, die ihn nicht mochten. Frauen erröteten in der Anwesenheit des muskulösen und durchtrainierten Mannes aber auch andere, gestandene Männer, konnten sich seinem Charme nicht entziehen. Doch im Gegensatz zur schwärmenden Frauenwelt, waren ihre Reaktion eher auf Respekt und Dank zurückzuführen. Der Weg zu McKinkais Laden war kurz, da er in der Spencer Street und damit im gleichen Viertel lag aber das verhinderte nicht, dass ihnen eine kleine Gruppe Neugieriger gefolgt war, die von den beiden anderen Sondergardisten allerdings zurückgehalten wurden.
So war also die Zeit der Konfrontation gekommen.
In den nächsten Minuten würde dieses Kapitel beendet werden können. Aether schloss die Tür des Geschäfts auf - was verlassen war und in den letzten Tagen nicht geöffnet gehabt hatte - und zusammen betraten sie den Verkaufsraum. Eine leichte Staubschicht hatte sich auf den Ausstellungsstücken gebildet, was für ein Geschäft in dieser Straße sehr selten war. Die Bewohner Haggswoods, legten viel Wert auf Sauberkeit und Ordnung. Beides suchte man hier vergeblich, was vielleicht auf den ungesunden Geisteszustand des Besitzers schließen ließ. Ungeachtet dieser Tatsache, bewegten sie sich weiter, da sie den Weg zur Werkstatt des Mannes kannten. Tatsächlich konnten sie die Werkstatt durch den kahlen, grauen Gang problemlos erreichen.
Und da saß der alte Mann. Am Ende des Raumes, über einen längeren Tisch gebeugt und offensichtlich bei der Arbeit. Er schaute nicht auf, als die kleine Gruppe samt Flare den Raum betrat aber bevor jemand etwas sagen konnte, hob er leicht den Kopf und sah auf irgendetwas, dass neben ihm auf dem Tisch stand. Seine emotionslose, kalte Stimme, war leise aber dennoch deutlich in dem Kellerraum zu hören.
"Was sagst du da? Ja... ja ich habe sie gehört. Sie sind gekommen, um dich mir wegzunehmen... Nein... Nein, das werde ich nicht zulassen. Ja... aber Natürlich..." flüsterte der Mann gedehnt und werkelte einige Sekunden an dem Ding vor sich weiter.
Als er fertig war, stand er schließlich auf und drehte sich zur Gruppe. Seine Brille summte leise, als sich die damit verbundenen Zahnräder drehten und die Sichtgläser ausgetauscht wurden. Victor McKinkai sah noch schlimmer aus, als bei dem letzten Treffen. Sein Gesicht war eingefallen und die Knochen traten deutlich hervor. Seine Haare waren jetzt fast komplett ausgefallen und die restlichen, dünnen grauen Härchen, würden bald folgen. Der Mechomaniker zitterte leicht, als er einen Schritt auf die Gruppe zulief, einen langen, knochigen Finger ausstreckte und mit vor Wut und Trauer verzerrten Gesicht auf die Gruppe zeigte.
"Ihr werdet sie mir nicht wegnehmen! Nicht noch einmal! Ich lasse das nicht wieder zu, denn dieses Mal habe ich vorgesorgt!" eine einzelne Träne lief dem alten Mann das Gesicht herunter.
"Louise wird leben und ihr werdet mich nicht aufhalten. STEVEN!""TÖTE SIE!"Mit diesen Worten kam Bewegung in das Ding, an dem McKinkai vorher gearbeitet hatte. Ein Teil der offensichtlichen Maschine hob sich und drehte sich zur Gruppe. Doch es war keine Maschine die sie anblickte - zumindest nicht ganz - sondern Steven Black, der ehemalige Freund und Geschäftspartner des alten Mannes.
Seine Augen hatten ihren Glanz und den Ausdruck von herausragender Intelligenz verloren - stattdessen wurde die Gruppe aus kalten, ausdruckslosen Augen betrachtet und gemustert. Der Mann, der sie alle angeheuert und überredet hatte, stand jetzt auf und lief auf die Gruppe zu. An seinem gesamten Körper - aber vor allem an den Gliedmaßen und am Rücken - waren gelbe, verdeckte Schläuche befestigt worden, die sich mithilfe kleiner Nadeln in die Muskeln bohrten und auf dem Rücken mit einem Glasbehälter verbunden waren.
Steven spannte seine Muskeln an, was einen Mechanismus in Gang setzte und diese wachsen ließ. Der ehemals schmächtige Geschäftsmann war zu einer hirnlosen Kampfmaschine geworden. McKinkai hatte seinen einzigen Freund geopfert, um seinen Zielen ein weiteres Stück näher zu kommen.
"Folgt McKinkai, ich halte ihn auf!" rief Flare der Gruppe zu, denn der alte Mechomaniker hatte die Zeit genutzt und einen verborgenen Hebel gezogen, der tiefer in das Gebäude führte. In den Händen hielt er ein Gefäß, in dem in einer gräulichen Flüssigkeit ein Gehirn schwamm.
Während neben den Fünf Abenteurern ein Kampf zwischen Flare und dem ehemals freundlichen Steven entbrannte, machten sich diese auf den Weg, McKinkai zu folgen. Der durch Irrnebelmagie mit übernatürlicher Schnelligkeit ausgestattete Flare stürzte sich auf den umgebauten Steven, der den ersten Faustschlag - denn der Körper des Hauptmannes war die einzige Waffe, die er brauchte - einfach ins Leere gehen ließ. Die chemischen Stoffe in den Muskeln des veränderten Mannes, machten ihn zu einem starken Gegner und so startete ein kämpferischer Tanz, den normale Augen nicht verfolgen konnten.
Während Simon, Marguerite, Aether, Shiver und sogar Carl einer weiteren Treppe in die Tiefe folgten, ertönte eine Explosion aus der oberen Werkstatt, die von dem heftigen Kampf zwischen den beiden Kontrahenten zeugte. Flare zückte jetzt wohl alle Register, um seinen Gegner besiegen zu können. Doch darum durften sie sich jetzt nicht kümmern. Ihr Gegner war McKinkai und dieser hatte einen beachtlichen Vorsprung - trotz seines Alters.
Unten angekommen, konnten sie noch sehen, wie McKinkai einen etwa zwei Meter langen und einen halben Meter hohen Glassarg geöffnet hatte, der auf einem Podest in der Mitte eines Raumes stand. Er nahm das Gehirn aus seinem Behälter und setzte es in eine Vorrichtung einer Maschine ein, die entfernt an einen Dampfmann erinnerte.
"Louise wird nicht die Macht haben, die sie mit der Kugel gehabt hätte aber sie wird leben und euch auslöschen. Sie wird sich endlich an den ganzen Kakerlaken rächen können, die sie umgebracht haben. Ja... komm schon! Ihr könnt mich jetzt nicht mehr aufhalten! ES IST VOLLBRACHT! HA! HAHAHAHA!"Der alte Mann brach nun lachend und gleichzeitig weinend neben dem Glassarg zusammen. Doch es war noch nicht vorbei.
Der Mechomaniker hatte es mithilfe eines gefolterten und zerlegten Dampfritters und den Gebeinen seiner Frau tatsächlich geschafft, einen Kombo zu bauen. Eine groteske Mischung aus stinkendem, verwesten Fleisch, Knochen und Nervensträngen, die mit den Überresten und der Seelenplatine eines gestorbenen Dampfmannes verbunden waren. Es erinnerte stark an die Wesen, die sie in der Ruine in Liongeli bekämpft hatten.
Die Geschichte wiederholt sich. Immer und immer wieder.
Stöhnend richtete sich die Konstruktion auf und sah den alten Mann und die Gruppe an. McKinkai stand auf und streichelte weinend über das zerstörte und halb verweste Gesicht seiner Frau. Selbst der Glassarg, in dem er die Leiche aufgebwahrt hatte, hatte die Verwesung nicht gänzlich verhindern können und so waren einige dunkle Flecken und sogar Löcher in der Haut zu sehen, in denen sich etwas zu bewegen schien. Trotzdem war es wohl das Schönste, das der alte Mann jemals gesehen hatte. Immer wieder wiederholte er den Namen seiner Frau.
"Louise... Louise ich habe dir versprochen, dass ich dich zurückhole. Wir werden immer zusammen sein. Ich liebe dich."Louise blickte währenddessen an sich herab - die Anderen waren vollkommen vergessen. Jetzt legte auch der Kombo einen Arm um den Mechomaniker und während dieser im Paradies zu sein schien und jauchzte, griff Louise für einen Moment hart zu und drehte den Kopf des Mannes, sodass diesem das Genick brach. Ein gerasseltes und gequältes
"Es tut mir leid." war von dem Geschöpf zu hören. Dann beendete es mithilfe einer ausfahrbaren Klinge, sein eigenes Leben, indem es das Gehirn von dem Rest des Körpers trennte.
Es war vorbei. In all seinem Wahn und der Trauer um seine verlorene Liebe, hatte McKinkai nie darüber nachgedacht, wie seine Frau empfunden hatte.
Ob sie wieder zurückgebracht werden wollte - in einen Körper, der allen Naturgesetzen widersprach.
Ob sie nicht vielleicht verstanden hatte, etwas Falsches getan zu haben.
Womöglich hatte sie für ihre Taten büßen wollen und hatte den Tod als Strafe aktzeptiert und mit ihrem Leben abgeschlossen.
Vielleicht hatte sie aber auch nur sich selbst in den Augen McKinkais wiedererkannt und gemerkt, dass dies der falsche Weg war und es keinen anderen Ausweg mehr als den Tod gab.
Was auch immer der Grund für die letzte Handlung der wiederbelebten Frau gewesen war, es war endlich vorbei. Mit dem Tod McKinkais und seiner kranken Erfindungen, konnte man endlich einen Schlussstrich ziehen. Mithilfe der Sondergarde wurde das Gebäude gereinigt und leer geräumt. Die Aufzeichnungen und Pläne zur Herstellung der Kombos und zur Kugel wurden vernichtet. Jeder wurde fürstlich entlohnt. Hatte McKinkai der Gruppe 1500 Guinen versprochen, so bezahlte Flare selbst der Gruppe jeweils 2500 Guinen. Mit diesem Geld konnte man sich ein paar schöne Monate oder sogar Jahre machen - je nachdem wie luxuriös man lebte.
Marguerite traf es wohl am besten, denn ihr wurde das Angebot gemacht, der Sondergarde beizutreten und damit ein Leben im Luxus und ohne Angst der Verfolgung zu leben.
Simon wurde befördert und soweit er akzeptierte, bekam er das Kommando über einen eigenen kleinen Trupp der Garde, der für spezielle Missionen außerhalb Middlesteels verantwortlich war.
Aether Shanty und Shiver wurden nach Greenhall begleitet, wo sie mitansehen konnten, wie ihre Akten und Aufzeichnungen zerstört wurden - sollten sie dies wünschen und zulassen - womit sie einen neues Leben mit weißer Weste beginnen konnten und von all ihren früheren Taten und ihrer Vergangenheit befreit werden würden.
Selbst Carl konnte sich nun ein neues Labor kaufen, dass auf dem neusten Stand war und um das ihn jeder andere Alchemist beneiden würde.
So endet die Geschichte der Helden hier. Doch Jackals schläft nie und dies wird bestimmt nicht das letzte Abenteuer in dem Land der Luftschiffe und der Magie gewesen sein.