"Törichter, alter Mann. Hast du erwartet, dass sie dir freiheraus erzählt, dass sie Blut geschluckt hat? Sie hat nicht weniger Angst als alle anderen an diesem Ort. Riechst du es nicht? Dieser Ort riecht nach Angst, nach Tod, nach schleichendem Wahnsinn." Ein unheimliches, inneres, lautloses Lachen rüttelte an den Gedanken des Leichtfußes und ließ ihn sich von Ina für einen Moment abwenden, als sie ihn so krampfhaft und absichtlich falsch verstand. Wieder von sich auf ihre Trauer um ihren Gefallenen ablenkte und sich ihrer Trauer ergeben wollte. Er konnte es ihr nicht nachsehen. Er las aufmerksam Areos Worte. Wie wünschenswert es doch wäre, wenn es einfach nur irgendeine, einfache Form von Krankheit wäre. Warum musste nur das Schlimmste so viel wahrscheinlicher erscheinen? Wie gerne würde Rhamedes die Leberprobleme auf eine Mangelernährung zurückführen, doch Gelirion und sein Anhang waren sicher vieles, aber nicht aufgrund von Armut litten sie an Mangelernährung. Rhamedes kratzte sich am noch immer etwas schweißnassen Haar unter dem Fes und nahm die Feder auf.
'In den Schränken sind sicher genügend Mittelchen. Schau dort bitte nach. Wir werden sie, da sie definitiv krank ist, in ein Einzelzimmer sperren. Lediglich Gelirion werde ich den Zutritt nicht verwehren. Bei der Behandlung beruhigen wir auf deine Art die Leber, aber wir vermeiden alle Maßnahmen, die Fasten oder dieses sogenannte Entschlacken beinhalten. Ihr Körper wird alle Kraft brauchen. Sie soll viel Wasser trinken. Um Gift auszubrechen ist es wohl schon zu spät nach ihrem ungewollten Bluttrunk. Schau im Schränkchen bitte auch, ob du ein abführendes Mittel findest, um das Wasser damit zu versetzen. Vielleicht können wir die Giftstoffe dann eben so aus dem Körper bekommen, aber nimm nicht zu viel, ihr Körper braucht die Kraft.'
Der alte Mann drehte sich wieder um. Vorsichtig nahm er die Hand von Ina, vorgeblich um die Temperatur ihrer Hände zu überprüfen. "Wir werden euch zumindest für die nächsten Stunden in einen einzelnen Raum unterbringen, als Vorsichtsmaßnahme versteht sich. Areo hier wird euch etwas geben, um eure Organe etwas zu beruhigen. Ihr seid definitiv an etwas erkrankt. Es muss nichts schlimmes sein, aber wir können nicht sagen, ob es ansteckend ist." Rhamedes lächelte freundlich und gab ihre Hand wieder frei. "Euer Bruder kann euch natürlich jederzeit sehen. Wir werden schauen, ob die kleine Tinktur hilft und dann werdet ihr den Tag über vollständige Ruhe bekommen, ohne Störung, damit euer Körper sich erholen kann. Wir werden euch eine Karaffe voller Wasser hinstellen. Es ist wichtig, dass ihr viel sauberes Wasser trinkt."
Rhamedes verbat sich, Ina davon zu erzählen, dass er wusste, dass sie dieses Blut geschluckt hatte. Es würde nichts an der Behandlung ändern. Sie wussten nicht, wie die Krankheit funktionierte. Also blieb ihnen nur Ruhe und die Hoffnung, es irgendwie aus dem Körper zu bekommen. Wenn Ina bereit war, ihnen die Wahrheit zu erzählen, würde sie es tun. Manchmal brauchten Dinge aber nicht ausgesprochen werden. Es war dann besser, gemeinsam zu schweigen und zu tun, was notwendig war. "Ihr müsst heute viel durchmachen. Das tut mir leid. Aber wir sind für euch da." Er lächelte nochmal aufmunternd, nickte Areo zu und ging dann kurz aus dem Raum, um ein Einzelzimmer für Ina zu organisieren.