Szenario 3 - Das Sechskaiserjahr
«Es war zweifelsohne mehr als irgendeine Art von Ehrerbietung. Eigentlich gab es keine Worte in auch nur irgendeiner bekannten Sprache, welche das Gefühl ausdrücken konnte, welches sich in einem ausbreiten sollte, wenn man zum Caesar ernannt wurde. Es gab aber Worte für die Art und Weise wie Maximus Caesar, oder mit altem Namen Gaius Iulius Verus Maximus, im Jahr 236 n. Chr. gefühlt hatte, als der Senat ihn zum Caesar und damit zum Thronerben seines Vaters - Maximinus Thrax - und zum Mitregenten bestimmt hatte. All diese Gefühle ließen sich sogar auf ein einziges Wort zusammenstauchen, der Wirksamkeit halber. Scham.
Er war an diesem besonderen und außergewöhnlichen Tag gerade einmal zwanzig Jahre alt gewesen, als der Senat ihm diese unaussprechliche Ehre gewährte. Eine Aussicht darauf der mächtigste Mann der bekannten Welt zu sein und eben jetzt schon der zweitmächtigste Mann des Imperiums zu sein. Der Gedanke daran alleine ließ ihn Schwindel fühlen. Er blickte immer wieder auf seine jungen, faltenlose, sanften Hände. Sie waren nicht die Hände eines erfahrenen Mannes oder eines alten Soldaten. Waren dies Hände der Tatkraft? Er sprach vor sich hin, mal überlegt, mal nach der Art eines Senatoren, mal nach Art eines Philosophen, dann brüllte und bellte er Befehle in den leeren Saal, in dem er saß. War es die Stimme eines Caesaren? Er stand auf und blickte in den gläsernen Spiegel, der an der Wand ging und ihn sein Aussehen verriet. Er sah seine schmale Schultern, seine gebrechliche Gestalt – zumindest im Gegensatz zu seinem Vater – und den mangelnden Bartwuchs, das fast schon etwas fliehende Kinn. War dies das Antlitz eines Kaisers?
Die Selbstzweifel, sie fingen am Tag der Verkündung an. Wie in aller Welt sollte er ein Caesar sein, auch wenn sein Name es so verraten mochte? Was bedeutete es ein Caesar zu sein? Es war noch keine zwei Jahre her, das Jahr 238 hatte gerade erst begonnen. Er hatte gehofft, dass die Leute ihm mit wirklichen Respekt begegnen würden, doch stattdessen spürte er ihre Ablehnung. Sein Vater war eine Hirte gewesen, ehe er respektierter Soldat wurde. Sie haben ihn immer an seinem Vater gemessen, und obwohl er weder der Soldat, noch der Hirte war, hielten sie ihn dann zu roh wegen seines Vaters, aber wenn sie ihn als Caesar sehen sollten, war er dann zu weich. Hatte schier und allein das Glück der Sohn Maximinus Thrax zu sein. Er konnte es ihnen nicht recht machen. Und auch nicht den Soldaten. Er war nicht wie sein Vater, konnte nicht denselben Weg gehen, deswegen hielt man ihn für den falschen Mann. Und dann warf man ihm noch Prunksucht vor.
Seine Faust war die letzten Wochen beinahe dauernd geballt. Jetzt würde sich zeigen, ob seine Kritiker recht behalten sollten. War er nicht zum Caesar geboren? Hatte er keine tatkräftigen Hände? Hatte er nicht die Stimme eines Caesaren und keinen unbeugsamen Willen? War er ein verschwendungssüchtiger, weicher Hirtensohn?
Sein Vater traute ihm nicht das Kommando über Soldaten zu und deswegen wurde Maximus Caesar nach Rom geschickt. Mit dem Senat verhandeln, mehr über die Feinde seines Vaters erfahren, den Senat auf Thrax Seite bringen, Gordian und seine vermaledeiten Sohn das Wasser vergiften und sie den Muränen zum Fraß vorwerfen. Es würde seine Feuertaufe sein. Er würde beweisen können, aus welchem Holz der Sohn des Thrax geschnitzt war und wenn er schon nicht zum Soldaten taugte, wollte er ein guter Diplomat sein. Und doch auch irgendwie daran zweifelte er. Er zweifelte viel. Die Last des Caesarentums lastete schwer auf seinen Schultern, obwohl er nicht viel Macht besaß. Er war noch so jung, so beeinflussbar und keiner mochte zu diesem Zeitpunkt vorausgeahnt haben, was diesem jungen Mann zustoßen mochte und was für ein schweres Jahr dieses 238. nach Christi Geburt für das römische Reich werden würde.
Und keiner mochte ahnen, dass der Senat um seine Autorität ringen würde, dass Legionen noch mehr Soldaten zu Kaisern machen würden oder sie wieder entmachten würden und keiner konnte ahnen, vielleicht nicht einmal die Moiren, welche Männer und Frauen in dieser Zeit der Soldaten, der Kriege und der Unruhe ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen würden. Denn das Reich brodelte, es drohte zu bersten. Eigenwillige Prätorianer, einfallende Sassaniden, Expansionsdrang des Maximinus, ein an Macht verlierender und sich in die Ecke gedrängt sehender Senat und wechselnde Loyalitäten, die sich schneller als Wetterfronten verschoben, Querelen mit der erwachenden Christentum. Rom erzitterte, Rom litt. Doch des einen Leid...»Die Forschung streitet bis heute, ob die Zeit der Soldatenkaiser bereits mit Maximinus Thrax begonnen hat. Spätestens das Sechskaiserjahr 238 wird dies aber eindrucksvoll darstellen. Ich habe Thrax und seinen Sohn ausgewählt, weil sie sehr interessante, aber eben auch wenig mit Fakten gesegnete Personen der römischen Geschichte sind. Das lässt uns viel Spielraum und bietet uns ein sehr variables Szenario.
Ich selbst sehe hier ein Szenario, in dem ihr den Ton trotz meiner Ideen entscheidend noch mitprägen könnt. Definitiv würden aber hier Soldaten und gar Teile der Prätorianer am ehesten eine klassisch zugedachte Rolle bekommen können, aber auch ein verzweifelter Senator, der die Felle davon schwimmen sieht, wäre hier sehr passend. Allerdings dürften hier auch verfolgte Christen einen Platz finden und ihre Ideen einbinden können. Dies könnte zumindest alles so sein, ich habe jedoch eine etwas andere Lesart dieses Szenarios im Kopf.
Aber hier bietet sich vor allem ein Manipulationsszenario an. Nicht eine klassisches Intrigenszenario, sondern wirklich ein Puppet-Szenario. Es würde mich sehr interessieren, wenn unterschiedliche Charaktere, die aus unterschiedlichen Lagern kommen, zusammenkommen und versuchen den kleinen Caesar in ihre (jeweilige?) Richtung zu schubsen.
Das würde ein spielerisches Experiment werden, welches auf zwei Ebenen funktioniert. Ein Ingamethread würde den Dialog mit dem Caesar umfassen und das fortlaufende Manipulationsgespräch mit ihm (welches ja nicht nur ein Manipulationsgespräch mit ihm, sondern ggf. sogar untereinander sein könnte). In einem zweiten Thread würde man sich mit seinen Dienern oder Freunden austauschen, und außerhalb des Gespräches Infos etc. sammeln. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir ggf. sogar mehr Zeitebenen zutraue, das wird man dann sehen müssen.
Wenn jemand die Sendung Die Borgias (die italienisch-spanische Produktion, nicht die englische) gesehen hat und sich an das Konklave zu Beginn der Sendung erinnert, wird zumindest das Prinzip wiedererkennen. Die Kardinäle schmuggeln quasi Nachrichten raus, um von außen das Gespräch/die Wahl im Inneren manipulieren zu können.
Das Spiel würde also nur an einem Ort stattfinden und mehr oder weniger ein Gespräch wiedergeben, welches über eine längere Zeit läuft (oder in mehreren Etappen über ein paar Tage). Ein ähnliches Konzept habe ich bereits in meiner Runde
Des Kaisers schwarzes Vermächtnis genutzt. Die Welt wird also von einem einzigen Ort aus verändert und diese Veränderungen geben wiederum unterschiedliche Wege innerhalb des Gespräches frei.
Gegebenenfalls würde das Spiel sogar zweiteilen, wobei Teil 1 das Gespräch darstellt und Teil 2 dann in den schicksalshaften April des Jahres 238 und die berühmten Ereignisse der Belagerung von Aquileia springen könnte. Dort könnten sich soldatische Charaktere entweder noch etwas austoben, wenn sie wollten oder ihr eure Pläne zur Frucht bringen (Geschichte verändern oder dafür sorgen, dass sie so bleibt? Vielleicht.). Das würde ich dann aber von euch und euren Charakteren abhängig machen.
Bei dieser Runde wären
social skills unverzichtbar (auch wenn sie nicht von den Spieler gegeneinander angewendet werden).