Wie hypnotisiert erwidert Miguel den Blick der Frau, deren Dolch er nun an seiner Kehle spürt. Warmes Blut rinnt seinen Hals hinab. Ihre Worte aber jagen ihm einen sichtbaren Schauer über den Rücken.
Das hat sich das Schicksal also für mich ausgedacht. Fellípeds Alptraum soll ich am eigenen Leibe erfahren! Dabei habe ich doch genügend eigene.Drei Dinge fallen ihm am Rande auf. Es ist ein stählerner Dolch, der da auf ihn gerichtet ist, wahrscheinlich gar sein eigner; zweitens ist es eine Halblingsfrau, die ihn bedroht. Ihr Gesicht und offenbar ihr gesamter Körper ist rot und schwarz bemalt auf eine Art, die einem die Bezeichnung 'Kriegsbemalung' aufdrängt. Jetzt fällt ihm auch wieder ein: als 'Wildlinge' waren in Ulatos die wenigen Halblinge, die er dort gesehen hat, von der restlichen Bevölkerung verächtlich bezeichnet worden. Drittens scheint er nun vollends umstellt. Zwei weitere Stimmen mischen sich ein, wobei erstere seine Muttersprache gar akzentfrei spricht.
[1] Und sie stimmt der Halblingsfrau zumindest in einer Sache zu: das Wissen in seinem Kopf will man extrahieren; um seinen Kadaver mögen sich hinterher die Schakale streiten.
Tymora, was habe ich dir getan? Ist denn mein Glück zu fassen? Da laufe ich ausgerechnet den einzigen fünf Personen in ganz Tukan, die schon einmal mit der Legion zu tun hatten und entsprechend auf Rache sinnen, in die Arme, und das auch noch schnurstracks! Wieviel Schritt vom Palast mögen wir entfernt sein: vierhundert? Fünfhundert? Und dabei warst du, Miguel, so wild entschlossen, gar in der Wildnis zu überleben!Neben ihm steht die Priesterin noch immer starr vor Schreck. Sie versteht ja auch nur die Hälfte. Er übersetzt für sie, aber auch für die Frau mit der Maske, falls diese kein Chondathan versteht: "Man scheint zu haben gefunden eine Nutzen für mich: foltern, bis habe verraten alles das, was ich weiß, dann mir schneiden den Herz aus mein lebendig Leib. Lustig, dass ich war auf dem Weg zu Meztli um anzubieten alles Wissen in meine Kopf zu Preis von meine Leben. Nun mir bleibt nichts als zu geben Euch dies."
Langsam nimmt Miguel die linke Hand herunter—die Pistole steckt rechts, es kann also niemand denken, dass er danach greifen will—und löst sein Schreibbündel vom Gürtel. Dabei findet er auch seine Vermutung bestätigt, dass die Spitze seines eigenen Dolch auf seine Kehle zeigt, denn seine Finger ertasten auf ihrer Suche eine leere Dolchscheide.
Er hält das Bündel der Priesterin hin. Er kann es nicht werfen, sonst würde das Tintentöpfchen zerbersten. Jeder der Anwesenden kann sehen, dass es sich um die bereits erwähnte Schreibmappe handeln muss, denn auf einer Seite ragt die Schreibfeder heraus.
"Hier drin Ihr findet die Brief, die erwähnte. Und bitte, wenn Ihr solltet sehen die ehrwürdige weibliche Schlange, bitte, ihr gebt die letzte Seite, die ist beschrieben darinnen. Bitte. Ist für sie."
Dann sucht er wieder den Blick der Halblingsfrau. Ihre Drohung hallt noch immer in seinen Ohren; fast spürt er schon die Klinge, die sich von unten in den Brustraum gräbt... Er schluckt. "Mein Wissen oder Eure Rache. Nicht könnt haben beides." Ist es der Versuch eines Handels oder nur eine Feststellung? Miguel weiß es selbst nicht. "Denn auch wenn unter Folter Euch würde sagen alles, was weiß, bei jedem Ihr dächtet, dass vielleicht sei eine Lüge. Nützlicher Euch wäre als..." Verbündeter will er sagen, aber kennt das Wort nicht—"como aliado. Als Freund."
Oh, ihr guten Götter, ich will nicht sterben. Oghma! Gegen dein oberstes Gebot habe ich verstoßen, aber gerade deshalb flehe ich dich an: lass mich versuchen, es wiedergutzumachen! Tymora! Gab es je einen Menschen auf dieser Welt, der sich sorgloser auf dich verlassen hat als ich? Narr und Dummkopf schalten mich andere, aber nie hast du mich enttäuscht: lass mich auch jetzt nicht im Stich!Das Wechselspiel zwischen Todesfurcht und Hoffnung spiegelt sich deutlich auf Miguels Miene, während er ansonsten reglos darauf wartet, was man als nächstes mit ihm tun wird.