Verdattert schaut Miguel der Katzenfrau nach, die, kaum dass sie ihm einen Hieb mit der Pranke versetzt hat, auf den Dächern verschwindet. Eine Tabaxi! Davon leben in Ulatos auch einige. Ihm ist es aber nie gelungen, mit einer davon ins Gespräch zu kommen: Ja, mein Herr. Nein, mein Herr. Vergebt mir, mein Herr, das weiß ich nicht. Stets in höflichem Tonfall, aber ohne den angstvollen Eifer der Menschen. Und so scheint auch diese, anders als die Wildling, nicht die geringste Angst vor Miguel zu haben.
Während des kurzen Weges über den Marktplatz kommt ihm durchaus der Gedanke an Flucht. Der Beilmann und die Frau mit der Maske sind in Richtung Tempel verschwunden, die Katze auf den Dächern, sodass nur die kleine Wildling und ein ebenso wild bemalter—besser gesagt tätowierter—Mann noch auf ihn aufpassen. Diesen bekommt Miguel nur kurz zu Gesicht, bevor die beiden ihn grob vorwärts stoßen. Der Mann ist kleiner als er und dabei so schmächtig, dass Miguel sich durchaus zutrauen würde, ein Handgemenge mit ihm zu überstehen. Bewaffnet ist er mit einer schwarzen Keule und einem schwarzen Dolch, die er nicht einmal gezogen hat. Miguel, obwohl unbewaffnet, könnte immerhin noch zaubern. Aber damit würde er sich jede weitere Chance vertun, den Eingeborenen zu zeigen, dass es ihm Ernst ist. Wenn er jetzt zwei von ihnen verletzte oder gar die Priesterin! Dann wäre alles aus. Nein, er muss ihr vertrauen und Meztli und überhaupt, er hat sich doch längst entschieden: lieber als Mensch sterben denn als Teufel leben!
[1]Und wenn das Dummheit ist, dann sterb ich halt als Dummkopf. Aber wenigstens nicht als Feigling. Nicht als Mörder.Und dann ist das Ziel auch schon erreicht. Die Priesterin betritt ihnen voran ein großes Haus, das sich am Rand des Marktplatzes und noch ein kurzes Stück die Gasse hinunter befindet, und führt sie dort in einen nicht sonderlich raffiniert versteckten Keller. Miguels Augen werden immer größer, als er erkennt, wo er ist.
Nein, nein, nein, denkt Miguel, als er Meztli inmitten der Goldschätze erblickt.
So war das nicht gedacht! Ihr könnt mich doch nicht mitten in euer Versteck führen! Der Hauptmann braucht mir das Foltereisen bloß zu zeigen, da würd ich ihm schon alles ausplaudern. Grundgütige Götter, wollt ihr mich in Versuchung führen?Den zweiten Schock erfährt Miguel durch Meztlis Begrüßung.
[2]Wie naiv der mich als Freund begrüßt! Gestern noch warf er sich mir zu Füßen. Glaubt der Mann ernsthaft, nach einer einzigen freundlichen Geste meinerseits, mir vertrauen zu dürfen? Kann ein Mensch so vertrauensselig sein, so leicht den Feind beim Wort nehmen? Daheim wüsste ich, dass seine Worte nur Teil eines eleganten Tanzes wären, der damit enden würde, dass man mich, den 'Freund', zu meinem eigenen Wohl 'in Sicherheit' geleiten würde. Doch hier? Ich werde aus den Eingeborenen einfach nicht schlau. Sie nehmen alles viel zu wörtlich, drücken selbst alles viel zu direkt aus, und was immer sie im Herzen fühlen findet Ausdruck auf ihren Gesichtern oder in ihren Worten. Dagegen bin ich ja ein verschlossener Mensch!Und offenbar ist Meztli sehr zufrieden mit seinem Versteck. Miguel kann nicht glauben, dass die Legion länger als zwei, höchstens drei Tage brauchen wird, um es zu finden.
Mit jedem Schritt durch den Keller wird Miguel mulmeliger zumute.
Deine Entscheidung ist getroffen! Deine Entscheidung ist getroffen! sagt er sich wieder und wieder. Meztlis Blick mag freundlich sein, aber die der anderen Anwesenden waren vorsichtig bis feindselig. Und dann schimpft auch schon die Wildling los. Jede ihrer Anklagen ist wie ein Fausthieb in Miguels Magen.
Alles wahr! Es ist ja alles wahr, was sie sagt, aber ich... aber ich... ich wusste nichts davon... vorher... als... und jetzt...Er macht einen Schritt auf Meztli zu und sinkt auf ein Knie.
"Ehrwürdiger Pipiltin", sagt er.
[3] "Ihr seid gütig dass mich nennt Freund. Noch nicht habe getan viel, um zu verdienen diesen Titel. Doch wenn damit Ihr wollt sagen, dass gern ich wolle sein Euer Freund, dann Ihr hättet recht. Nicht habe gekommen um zu sehen, ob Ihr hattet Erfolg—bereits das sah oben im Tempel—aber habe gekommen um zu bitten Euch um Hilfe. Denn seht, Euer Erfolg ist mein Untergang. Der Capitán mich hat beauftragt, weil so gut ihm habe besorgt das Gold aus die Schatzkammer, dass auch ihm solle holen das Tempelgold. Wenn heute abend ich trete vor ihn mit den Händen leeren, er wird wollen wissen warum. Wenn nicht habe Antwort, er wird lassen foltern mich oder andere, die er verdächtigt zu wissen wo es sei.
Als ich Euch riet zu verstecken das Tempelgold, falls Ihr fürchtet Eure Götter mehr als dass uns, da mir nicht blieb mehr Zeit für eine Erklärung. Nicht konnte sagen Euch, was wird geschehen, wenn der Capitán nicht findet das Gold. Es ist dasselbe, was wird geschehen, wenn er findet das Gold—nur, dass es wird geschehen früher. Denn egal, wie viel Gold er wird bekommen, immer er wird wollen haben mehr. Niemals er wird sein zufrieden.
Diese Wilding hier Euch kann erzählen das, was die Männer der Legion werden tun mit euch. Sie es weiß besser als ich. Erst seit sechs Monaten ich bin in diesem Land. Noch neunmal so lange müsste dienen der Legion ich, bevor dürfte zurückkehren in die Heimat. Noch neunmal so lange müsste mitansehen das, was sie Euch antun. Müsste, um zu überleben, werden wie sie. Aber der Mann, der heimkehrt nach dieser Zeit, der nicht möchte sein. Lieber wäre tot. Lieber würde kämpfen für Euch. Wenn Ihr wollt kämpfen. Meztli, noch Ihr habt die Wahl. Wenn der Capitán nicht bekommt das Gold heute abend, dann für ihn das bedeutet Kampf. Seid Ihr bereit dafür? Dann mich lasst helfen."