Die Gattin des Regenten! Wie hätte Miguel das ahnen sollen! Er hat sie eher für eine Priesterin gehalten. Da ist freilich jeder Versuch, die für beide Seiten unangenehme Situation auch nur ein wenig freundlicher zu gestalten, zum Scheitern verurteilt. Wo man doch ihren Gatten vor seinem Volk gedemütigt, abgesetzt und dann auch noch in den Kerker geworfen hat.
Und falsch angeredet hat Miguel sie auch noch. Egal, wie offensichtlich weiblich sie ist, es scheint zu ihrem Titel dazu zu gehören, dies noch einmal ausdrücklich zu betonen.
"Es mir tut leid", stammelt er. "Das mit Eurem Gatten und auch dass ich habe gesagt falsch Eure Titel, ehrwürdige
weibliche Schlange. Nicht Euch wollte kränken." Ihre Miene zeigt keinerlei Regung, keinerlei Hinweis darauf, ob sie wenigstens den zweiten Teil von Miguels Entschuldigung annimmt.
"In meiner Muttersprache, jedes Wort ist entweder männlich oder weiblich. La serpiente, die Schlange, ist weiblich. Immer. Nicht man es braucht hinzufügen." Auch dies scheint die Frau nicht im geringsten zu interessieren, also schweigt Miguel für den Rest des Weges.
Fast ist er erleichtert, als man endlich die Schatzkammer erreicht. Auch der erste Blick hinein erleichtert ihn: ja, das sollte doch eigentlich für den Anfang genug sein, oder? Da wird der Capitán sich nicht beklagen können!
Als Miguels Blick jedoch so über die Schätze gleitet und über die Mienen seiner beiden Kameraden—zumindest die von Fellíped trägt genau jenen Ausdruck, den Miguel befürchtet hat
[1]—da überkommt ihn ein Schauder. Plötzlich friert er, dass ihm die Zähne klappern. Die Grabeskühle der Kellergewölbe—vor wenigen Augenblicken noch so willkommen!—lässt ihm nun die schweißnasse Kleidung eiskalt am Körper kleben.
Er schleudert die zierliche Statuette, die er wegen ihrer Kunstfertigkeit gerade bewundernd in die Hand genommen hat, angewidert von sich. Blut klebt an allem hier, an jeder einzelnen Münze. Und Fellíped steht da mit glänzenden Augen!
Alle drei sehen ihn an. Was nun? Jemand muss den Hauptmann holen, doch wer? Soll Miguel Fellíped schicken, damit er selbst ungestört mit Álvaro reden kann und mal so vorfühlen, was dieser von ihrer Situation hält? Aber Fellíped wird sich nicht trauen, allein durch den halben Palast zu marschieren, und wenn er Álvaro schickt, der es sich trauen würde, dann ist nichts gewonnen. Fellíped scheint ihm sowohl zu ängstlich als auch zu empfänglich für den Lockruf des Goldes, um zu einer wie auch immer gearteten Verschwörung oder als Mitanstifter einer Meuterei zu taugen. Andersherum ist es sicherlich auch keine gute Idee, wenn Miguel sich mit Álvaro auf den Weg macht und dabei Fellíped mit der schönen Dame allein lässt. Nein, das passt alles nichts.
Miguel kann natürlich auch einfach selbst gehen, aber traut er Fellíped und Álvaro allein mit dem Gold und der schönen Regentengattin? Eher nein. Ganz abgesehen davon, dass er sich nicht sicher ist, ob die Dame mit den beiden nicht allzu leicht fertig würde. Recht gehabt hat Miguel mit seiner Einschätzung, dass sie magisch begabt sei. Da hat er allein womöglich bessere Chancen, sich ihrer zu erwehren, wenn sie etwas Verzweifeltes versucht.
In Ermangelung einer optimalen Lösung kann er genausogut beide schicken und so wenigstens einige Augenblicke der Stille genießen, wenn auch unter dem eisigen Blick der Regentengattin. Gedacht, getan.
"Álvaro, Fellíped. Geht zu Capitán Drakosa und berichtet, was wir gefunden haben. Bittet um Anweisung, was damit nun geschehen soll. Auf! Je schneller ihr das erledigt, desto schneller kann alles in Barren eingeschmolzen werden, damit es danach 'gerecht' verteilt wird: ein Fünftel an die Auftraggeber, ein Fünftel an Cordell, ein Fünftel an die Offiziere, ein Fünftel in den Topf, um die nächste Expedition auszustatten, und das letzte Fünftel an den Rest der Mannschaft. Das seid ihr." Was er selbst ist, weiß Miguel nicht so recht.
Álvaro lacht bei Miguels Worten spöttisch auf, während Fellíped schon wieder besorgt aussieht. Dann machen sich die beiden auf den Weg und Miguel bleibt mit der weiblichen Schlange allein in der Schatzkammer zurück.
Eine Weile lang herrscht Schweigen. Dann räuspert Miguel sich und sagt: "Helft mich. Nicht ich weiß, was tun. Denn seht: wenn Capitán Drakosa erfährt, wer Ihr seid, er Euch wird lassen sperren zu Euren Gatten sofort. Wollt Ihr das? Wenn nicht, jetzt schnell Ihr müsst gehen. Den Palast verlassen. Dann wenigstens Euer Volk hat eine Herrscher noch. Ist das besser? Nicht es weiß. Kann sein dass der Hauptmann wird furchtbar böse, wenn niemand findet die Frau des Sprechers. Aber Ihr entscheidet. Wenn Ihr wollt gehen zu Eure Volk, ich nicht Euch werde aufhalten."
Kaum hat er die Worte ausgesprochen, da schaut er besorgt die magische Tür an.
"Nur die Tür, sie muss aufbleiben, oder Ihr mir gebt die Schlüssel. Kann jeder sie benutzen oder nur Ihr? Rasch, sagt mir, und entscheidet Euch was tun, bevor kommt der Hauptmann!"
Seine ganze Verzweiflung bricht mit dem letzten Satz aus ihm heraus. Er weiß einfach nicht mehr aus noch ein. Auf fünf Jahre hat er sich der Legion verpflichtet! Das erschien ihm damals als angemessene Zeit, einen fremden Kontinent zu erforschen. Aber wie soll er das nun durchhalten? Sieben Monate sind erst geschafft und er dreht jetzt schon fast durch. Noch einmal viereinhalb Jahre lang sich ducken und tatenlos dem Morden und Malträtieren zusehen und dabei selbst zum Täter werden, das wird er niemals durchhalten. Und wenn doch, wenn er es durchsteht und überlebt, was für ein Mensch wird dann aus ihm geworden sein? Das wagt er sich nicht vorzustellen.
Und doch sieht er keinen Ausweg. Was kann ein Mann schon tun? Warum liegt es überhaupt an ihm, etwas zu tun? Er ist nur einer, die Eingeborenen sind viele. Warum tun sie nichts? Nicht, dass er es überleben würde, wenn sie sich doch endlich einmal dazu entschließen sollten, aber für einen kurzen Augenblick fragt er sich, ob das nicht besser wäre. Ganz abgesehen davon kann er sein Schicksal ja auch selbst in die Hand nehmen. Wenn er sich beim nächsten Kampf einfach nicht wehrt, dann wäre er auch endlich seiner misslichen Lage entkommen...
Doch den Gedanken verwirft er sogleich wieder. Zu sehr liebt er das Leben. Außerdem ist es der Ausweg eines Feiglings und als Feigling will er nicht sterben! Auch nicht, ohne seine Schuld gesühnt zu haben!
Die Regentengattin hat seine Frage noch immer nicht beantwortet. Stattdessen scheint sie sein Mienenspiel zu studieren.
"Bitte", sagt Miguel. "Nicht uns bleibt viele Zeit. Entscheidet."