Der Gestank der letzten Tage hing noch immer in der Luft. Rauch, Verwesung, Blut - keine besonders angenehme Mischung. Noch dazu war die Luft verbraucht. Die Kerzen, die Lukasch auf den Tischen verteilt hatte, um zumindest für etwas Licht zu sorgen, machten es nicht besser.
Jaenelle sah zu den Fenstern. Sie hatten die Platten einiger Tische davor genagelt, so dass kein Lichtschein mehr hindurch drang. Auch die Eingangstür hatten sie abgedichtet. Seitdem hatten sie Ruhe, zumindest insoweit, dass keine Toten mehr herein gekommen waren.
Der eine oder andere Streuner lief noch vorbei, aber sie hielten nicht mehr an. Dadurch war Ruhe eingekehrt.
"Wie viele Tage hocken wir hier eigentlich schon?"
Lonnie hatte niemand spezifischen angesprochen. Lukasch sah zu ihm, und zuckte mit den Schultern. "Schätze, drei, vier Tage. Seit wir das Sonnenlicht ausgesperrt haben, hab ich das Zeitgefühl verloren. Ich weiß nicht mal, ob Tag oder Nacht ist."
"Und wie lange wollen wir hier noch hocken?" Diesmal war es Tarik, der das Thema aufgriff. "Ich meine, wir können nicht bis in alle Ewigkeit hier bleiben. Was machen wir dann?" Der junge Mann klang nervös.
"Erst einmal reichen unsere Vorräte noch für eine gute Woche. Ich weiß, die Luft ist nicht sehr gut, aber über Lonnies Belüftungssystem kommen wir zumindest klar."
Lukasch stellte das Glas auf den Tresen, das er gerade poliert hatte, und legte das Tuch gleich daneben. "Hör mal, ich weiß ja, dass die Lage nicht gerade rosig ist. Aber solange wir kein Risiko eingehen müssen, sollten wir das auch nicht tun. Im Vergleich zur ersten Nacht sind es viel weniger geworden. Vielleicht schwindet ihre Zahl Tag für Tag. Je später wir hier rauskommen, desto besser unsere Chancen."
Derina, das Barmädchen, stellte sich an Lukaschs Seite und nickte ihm zu. "Er hat Recht. Wir haben so viel Scheiß überstanden, die Toten, das Feuer, verdammt, ein paar Tage rumsitzen und warten ist da wirklich nicht das Problem."
Tarik zögerte, nickte dann aber auch. Nervös wippte er mit den Füßen, aber er widersprach nicht weiter.
Tia, die junge, exotische Frau mit den Mandelaugen, sah in Richtung der Tür. "Ich frage, was passiert mit Toten. Die, die nicht mehr wandeln. Können sie nicht Krankheiten bringen?" Sie hatte offensichtliche Mühe, die richtigen Worte für ihre Fragen zu finden - schlicht, weil sie die Sprache zu schlecht beherrschte.
Lukasch schüttelte den Kopf. "Es war gut, dass wir die Toten rausgebracht haben. Das Feuer wird sie... gereinigt haben. Keine Krankheiten mehr."
Jaenelle sah unwillkürlich wieder die Bilder der ersten Nacht vor Augen. Sie war gerade mitten in ihrem Auftritt, als plötzlich einige scheinbar Verrückte die Türen aufstießen und über die Gäste herfielen. Sie töteten zwei oder drei Leute, bevor sie unschädlich gemacht wurden. Einige der Gäste gingen nach dem Vorfall verstört nach Hause, versprachen aber, die Wache zu rufen.
Und dann geschah es. Einige der Überlebenden wurden selbst zu solchen Monstern. Philia, Lukaschs zweite Bedienung, wurde angefallen, und Sekunden später biss sie auch um sich wie ein tollwütiger Hund. Am Ende blieb nur eine kleine Gruppe Überlebender: Lukasch und Derina, Lonnie, der Krieger Arven und sein Kampfgefährte Oron, Tarik, Marishelle, Tia und sie, Jaenelle.
Sie wollten nicht mehr auf die Wache warten, und gingen ihrerseits nach draußen. Und dann erst sahen sie, das die Tore der Hölle sich in Aradan geöffnet hatten - so jedenfalls hatte es Lukasch genannt.
Sie brachten die Leichen nach draußen, eine nach der anderen, und sperrten die Türen zu. Zu dem Zeitpunkt dachten sie noch, das würde reichen. Bis eine so große Horde der untoten Kreaturen gegen die Türen drückte, dass sie aufbrachen.
Da verloren sie noch Arven und Oron. Ohne das Opfer der beiden hätten sie die Zombies nicht zurückdrängen können, dann wären sie jetzt alle tot. Sie kämpften wie die Berserker, töteten einen nach dem anderen, drängten die Kreaturen weiter zurück - und wurden am Ende doch überrannt. Lukasch reagierte sofort, und entschied, die Türen und Fenster dicht zu machen.
Keiner von ihnen wusste, was eigentlich geschehen war. Wie es in der Stadt jetzt aussah. Und dann kam auch noch das Feuer.
Sie wären wahrscheinlich alle darin verbrannt. Wäre Jaenelle in irgendeiner anderen Gaststätte aufgetreten, wäre sie jetzt tot, spätestens durch die Flammen umgekommen, davon war sie überzeugt. Aber vor gut zwanzig Jahren hatte Lukasch schon einmal eine Gaststätte gehört. Und einige Leute, mit denen er sich angelegt hatte, hatten sie in Brand gesetzt. Er schwor sich, dass ihm das nie wieder passieren würde. Und so baute er mit Lonnie, einem "Bastelgenie", wie er ihn nannte, eine neue Gaststätte, abgesichert gegen so ziemlich jede Art von Vandalismus. Ein eigenes Bewässerungs- und Abluft-System hatte die Gaststätte vor dem Abbrennen und sie vor dem Ersticken bewahrt.
Und nun saßen sie hier, im Zwielicht der Kerzen, und warteten auf... worauf auch immer sie warteten.
"Hallo? Ist da drin jemand? Hilfe, bitte... ihr müsst uns helfen! Ich habe meine Tochter bei mir, bitte, helft uns! Ist da drin jemand?"
Die Stimme war männlich. Er zog und rüttelte an der Tür. Eine weitere Stimme war zu hören, ein leises Schluchzen.