"Wohl kaum, wenn er unsterblich ist", spottete Harry. Ihm passte diese kopflose Aktion gar nicht. Dabei machte er sich keine Sorgen um sich selbst. Lasciel würde sich schon um ihn und ihre eigene Wenigkeit kümmern, sollte einer der Wölfe ihn niederstrecken. Ebensowenig schien ihm einer seiner heimgesuchten Weggefährten ernstlich in Gefahr—nein, eine wirkliche Gefahr sah er nur für Meliana. Und Jurij wollte sie auf diese haarsträubende Aktion mitnehmen. Verrückt! Wie leicht ging ein Schuss daneben! Und wer weiß, vielleicht besaßen ihre Gegner ebenfalls einen Zauberer in ihren Reihen. Sobald aber Magie im Spiel war, wurden Kollateralschäden quasi schon zur Gewissheit. Außerdem kam ihm plötzlich ein Gedanke. Nein, sogar zwei. Drei! Aber immer der Reihe nach:
"Sagt mal, woher wissen wir eigentlich, dass wir es hier tatsächlich mit Jurij zu tun haben? Habt ihr euch das einmal gefragt? Vielleicht will der gute O. uns hier nur für seine eigenen Pläne benutzen: um hier bei den Wölfen die Macht an sich zu reißen. Ein netter kleiner Coup. Ja, was guckt ihr mich so an? Es ist doch gut möglich, dass die Schwestern ihm dabei nicht helfen wollen"—sein vielsagender Blick glitt zu Henry—"er aber auch nicht allzu auffällig seine Kräfte vorführen will, von wegen low profile, und so kam er auf uns! Wir haben nichts außer seinem Wort, dass dort gerade eine Frau misshandelt wird, damit will er uns vielleicht bloß locken, weil dies ein gar so wunderbares Lockmittel ist, bei dem wir uns gleich immer einig sind."
'Du bist ja paranoid', hatte Alice ihm des öfteren vorgeworfen. Nun, sie hatte gut reden! Sie war nicht in einer Großfamilie roter Drachen aufgewachsen und wusste daher nicht, wie es ist, ständig über die eigene Schulter gucken zu müssen. Trotzdem hätte sie, als Reporterin eines Klatschblattes, eigentlich etwas phantasievoller beim Ausmalen von Horrorszenarien und Verschwörungtheorien sein müssen... Genauso verständnis- und phantasielos wie die seiner ehemaligen Lebensabschnittsgefährtin kamen Harry die momentan auf ihn gerichtete Blicke vor.
Unbeeindruckt fuhr er fort: "Zweitens haben wir Meliana gar nicht gefragt, ob sie überhaupt von uns 'gerettet' werden will. Wir können ihr doch nicht einfach befehlen, uns zu folgen—wie arrogant ist denn das! Sie weiß doch gar nicht, was hier wirklich los ist. Genausowenig kennen wir die Hintergründe: vielleicht hat sie ja eine Abmachung mit Oba! Sie 'kümmert' sich um ihn, dafür lässt er ihre Familie in Ruhe und foltert nicht all ihre Lieben zu Tode! Eine solche Entscheidung können wir doch nicht einfach über ihren Kopf hinweg treffen."
Er wandte sich an Meliana. "Bitte sag uns ganz ehrlich, was du willst: dableiben oder mit uns kommen. Letzteres, wenn wir es überhaupt lebend hinausschaffen, wird für dich und deine Familie ein Leben auf der Flucht bedeuten. So aufrichtig leid es mir tut, dich vor diese Wahl zu stellen: Es ist deine Entscheidung."
Dann wandte er sich noch einmal kurz an die anderen: "Ihr seid euch schon darüber im klaren, dass bei einem Kampf nur einer von uns KO gehen muss, dann haben wir keine Chance mehr, weil der entsprechende Gast uns mit links auf die Bretter donnert?"