Die erste halbe Stunde ihres Rittes verbringt Basilio mit der Nase an den breiten Rücken des kahlrasierten Kargi gedrückt und außerdem in großer Sorge. Sobald man bei seinem Pferd ankäme, würde Zahur bemerken, dass Basilio ihn vorhin am Tor angelogen hat: dass nämlich überhaupt kein Sumpfloch in der Nähe des Pferdes sich befindet, welches Basilio dazu hätte zwingen können, das Tier zurückzulassen, statt in aller Seelenruhe am Waldrand Richtung Kezhdal weiterzureiten.
Während er noch darüber nachgrübelt, plappert sein Mundwerk schon frisch vor sich hin. Fast ein wenig staunend hört er sich plaudern in seinem leutseligsten Ton: dass er ja kein sonderlicher Naturbursche sei, dass er daher mächtig froh sei, einen ortskundigen Führer dabei zu haben. In Dorwida hätte man ihn ja sehr davor gewarnt, die Straße zu verlassen, weil es hier in der Gegend überall Sumpflöcher gebe, wo man sie nicht vermuten täte. Oh, die Leute hätten versucht ihm zu erklären, worauf er alles zu achten habe, falls er doch einmal vom Weg abkäme, waren sich aber keinesfalls einig, einer widersprach dem anderen, bis sie ihn völlig verwirrt hatten, zumal, wenn irgendwelche Pflanzen erwähnt wurden, nach denen er Ausschau halten solle, ihm das gar nicht half, da er diese überhaupt nicht kenne. Nicht, dass er völlig dumm in solchen Dingen sei, aber in Pekal gebe es nun einmal ganz andere Pflanzen als hier.
Zwischen solchen Bemerkungen, damit deren Absicht nicht allzu auffällig werde, erkundigt Basilio sich nach dem Leben und der Kultur der Kargi, ihrer Geschichte und ihren Beziehungen zu den Menschen hier.
[1] Dabei erwähnt er, wie sehr er es bewundere, dass man es hier geschafft habe, miteinander auszukommen, das sei in nur wenigen Gegenden der Fall. In Pekal sei man ja auch sehr offen für alle Fremden und käme gut mit Nichtmenschen aus, aber überall, wo es ihn bisher auf seinen Reisen hinverschlagen hätte, sei das anders gewesen. Etwas ganz besonderes sei das also, und schützenswert. Vielleicht würden sich irgendwann andere Völker ja doch ein Beispiel daran nehmen!
Tatsächlich lässt Zahur sich dazu verleiten, einiges von Interesse zu erzählen
[2], doch bei Basilios anschließenden Bemerkungen zu der Besonderheit des Vertrages zwischen Kezhdal und Dorwida schnaubt er bloß.
Das tut auch Basilios Pferd, als man es endlich findet, mit ähnlicher Empörung. "Ja, tut mir leid, so lange wollt ich dich nicht allein lassen", murmelt Basilio dem Tier zu, bevor er aufsteigt. "Ich konnt doch nicht ahnen, dass ich einen Verletzten finden würde!"
Den Rest des Weges verbringen Zahur und Basilio schweigend.
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Auch am Lagerfeuer mit den anderen Kargi und den vier Männern aus Dorwida schweigt Basilio zunächst einmal, hört dafür aber umso genauer zu. Erst als die Dariba ihrer bitteren Empörung Luft gemacht hat und niemand, so scheint es Basilio, darauf so direkt etwas zu erwidern hat, meldet er sich zu Wort. Dabei spricht er in der Händlerzunge und übersetzt satzweise in die Sprache der Kargi.
"Es liegt nicht in der Natur der Welt, einen in Ruhe zu lassen. Wie sehr wünschen wir uns in Pekal, Kalamar ließe uns endlich in Frieden, aber das wird niemals geschehen. Und so ist es überall, wo man eng beisammen lebt. Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten: man verbündet sich oder man bekriegt sich. Auf Dauer einander ignorieren, wenn man so nah beisammen hockt, das kann nicht funktionieren. Schon gar nicht, wenn man nicht einmal miteinander redet, geschweige denn Kontakte pflegt. Dann muss es früher oder später erst zu Missverständnissen, dann zum Krieg kommen. Deshalb nutzt es nichts, euren Kummer und eure Sorgen schweigend zu ertragen, bis sie unüberwindlich scheinen. Wenn ihr mit dem alten Vertrag nicht zufrieden seid—und zwar so sehr, dass ihr gar einen Krieg oder ein Verlassen des Landes in Erwägung zieht—warum versucht ihr dann nicht erst einmal, einen neuen auszuhandeln? Was wäre das schlimmste, was passieren könnte? Es kommt keiner zustande. Dann stehen euch noch immer die beiden anderen Aktionen zur Wahl.
Beim Ritt nach Kezhdal habe ich, ein völliger Fremder in dieser Gegend, das gute, aber brachliegende Land gesehen und die unglaubliche Vergeudung beklagt. Ich sage: wenn das hier erst geklärt ist, dann versucht, den Vertrag mit Dorwida neu zu verhandeln. Sagt ihr braucht das Land, um eure Leute zu ernähren; sagt, nach so vielen Friedensjahren bräuchte es keine neutrale Zone mehr, man habe sich doch inzwischen genug Vertrauen verdient; sagt, nein fordert das Land als Versöhnungsgeste dafür, dass die Menschen Dorwidas euch zu Unrecht des Vertragsbruch beschuldigt haben und einen der Euren ins Gefängnis gesperrt haben, gar verurteilen wollten. Lenkt dann aber wieder ein und lobt alle Beteiligten aus beiden Dörfern, wie gut man gemeinsam diese Feuerprobe bestanden habe, die den hart errungenden Frieden bedroht habe!
Kümmert euch darum, solange Jaresh und Gul Hulad noch leben. Und wenn ihr wirklich an Ruhe und Frieden interessiert seid, dann baut Beziehungen zu den Menschen auf. Handel, gegenseitige Unterstützung bei Gefahren, Unwettern, oder einfach nur ein Austausch von Geschichten oder Hilfe bei alltäglichen Geschäften, zum Kennenlernen. Wen man nicht kennt, vor dem hat man leicht Angst, den verdächtigt man schneller einer Schandtat als jemanden, den man gut kennt. Wie soll ein Frieden auf Dauer währen, wenn nur Jaresh und Gul Hulad Respekt voreinander empfinden, der Rest der Leute auf beiden Seiten einander aber misstrauen oder gar hassen?"
Nach dieser langen Rede, die sich zum Ende hin leider etwas verwirrte—
in meinem Kopf hat das alles so klar geklungen, aber irgendwas ist passiert auf dem Weg zu meinen Lippen!—räuspert Basilio sich verlegen.
[3]"Das ist nur meine bescheidene Meinung als Fremder", setzt er noch hinzu, mit errötendem Blick auf die Dariba.