Als Basilio nach seiner langen Rede der Kommandantin auch noch Atmungsratschläge gibt und Manik salopp seine Zweifel vorträgt, hallt ein kehliges Lachen durch den Raum. Es kommt vom Sheriff von Dorwida, Pero Gelspad. Zum ersten mal sehen sich die Gefährten den Mann genauer an. Mit einer Höhe von fast sechs Fuß überragt er selbst Desto und Tarqetik, der Körperbau aber bildet einen klaren Kontrast zu den Muskelwülsten des Kargi und des Brandobiners. Die Gliedmaßen sind lang und sehnig, die Schultern zwar gesund und straff, doch bei weitem nicht so breit. Ledrige Haut spannt sich über Knochen und Fleisch. Das Gesicht ist langgezogen, die dunklen Augen liegen tief und zeugen von Schläue, die Wangen sind bedeckt von einem dichten Vollbart. Das schwarze Haupthaar ist fingerlang, bedeckt die Ohren und fällt leicht in die Stirn. Kein Grau zu erkennen, obwohl die Falten auf der Stirn und um die Augen von mindestens vierzig Wintern zeugen.
Er macht ein paar Schritte nach vorn und schiebt sich zwischen Tarqetik und Elrynor vorbei zur Kommandantin. "
Der Jüngling und der Witzbold hier haben Recht, Lihana", sagt er immer noch mit einem Grinsen. "
Nach allem, was du mir erzählt hast, ist Sildan zwar ein Monster, aber auch ein fähiger Kommandant. Du darfst dich bei dieser Sache nicht von deinen Gefühlen beherrschen lassen. Wir müssen zunächst so viele Einzelheiten, wie möglich klären."
"
Ich kenne den Mann, Pero", gibt die Kommandantin zwischen zusammengebissenen Zähnen zurück. "
Ich kenne Gulasado. Ich kenne alle Berichte über die Bande. Und ich kenne die Konsequenzen, wenn man sie weitermachen lässt. Ich brauche nichts mehr zu klären." Ihre Augen funkeln wieder vor Wut.
"
Deine Berichte sind mehr als ein Jahr alt, Lihana. Vielleicht hat er neue Leute angeworben. Vielleicht wird er von jemandem unterstützt. Und wann warst du das letzte mal in Gulasado? Vor drei Jahren, vor fünf? Man kann an so einer Festung vieles umbauen." Gelspad deutet mit dem Finger auf Bosol, der sich langsam auf der improvisierten Pritsche aufzurichten versucht. "
Wir haben einen Gefangenen hier, der das alles aufklären kann. Und dann können wir uns entsprechend vorbereiten. Wir wären dumm, das nicht zu nutzen."
"
Wenn wir zu lange zögern - ihm Zeit geben - riskieren wir, dass er uns wieder entwischt. Soll ich das etwa tun?", gibt die Kommandantin zurück. Die letzte Frage schreit sie fast hinaus.
"
Wenn die Alternative lautet, blind in einen Hinterhalt zu laufen und sinnlos deine Männer zu opfern, dann ja. Dann sollst du das tun", gibt Gelspad ebenfalls schreiend zurück. Stille kehrt ein. Die drei Soldaten im Raum schauen verunsichert zu den beiden hinüber, während diese für einen Augenblick wütende Blicke austauschen. Dann fährt Gelspad immer noch aufgeregt, aber mit leiserer Stimme fort und redet auf die Kommandantin ein. "
Wenn du das jetzt falsch anpackst, dann gibt es wieder ein Blutbad und du bekommst ihn nicht, verstehst du das etwa nicht?" Plötzlich packt er die Frau an beiden Schultern und schüttelt sie grob. "
Verdammt, Ejdarn!", schreit er, während diese ihn überrascht anstarrt. "
Du bist einer der besten Kommandanten des Heeres. Es ist lächerlich, dass ich dir sowas banales erklären muss. Bei den Göttern - ich weiß, was er dir angetan hat, aber reiß dich zusammen!"
Stille. Dann ist ein Scharren zu hören. Einer der Soldaten macht einen Schritt nach vorne. "
Kommandantin?", fragt er unsicher. Seine Befehlshaberin wird angegriffen, aber vom Sheriff der Stadt. Er ist zwar außerhalb der Hierarchie des Heeres, aber in Krisensituationen immer noch sein kommisarischer Vorgesetzter. Außerdem wertet die Kommandantin das vielleicht doch nicht als Angriff? Offentsichtlich weiß der Soldat nicht, wie er sich verhalten soll.
Ejdarn atmet schwer - fixiert mit ihrem Blick immer noch Gelspad. Schließlich hebt sie die Hände und macht sich sachte vom Sheriff los. Dann hebt sie die Rechte mit offener Handfläche dem Soldaten entgegen. "
Schon gut", beruhigt sie ihn. "
Geh raus - rufe Flannait und Jamir herein." Es folgt ein tiefer Atemzug - dann geht der Blick wieder zu Gelspad. "
Schon gut", wiederholt sie. "
Aber wir müssen alles dafür tun, dass er nicht abhaut, bevor wir da sind", sagt sie nun im ruhigeren Ton.
"
Das wird er nicht" - plötzlich schaltet sich eine dritte Stimme in das Gespräch ein - zögernd, unsicher; alle Blicke gehen in Richtung des Gefangenen. Manik muss grinsen. Offensichtlich hat sich Bosol endgültig entschieden und will die Gelegenheit beim Schopfe packen, sich vor dem Gericht zu empfehlen. "
Das wird er nicht", wiederholt er. "
Gulasado ist gut befestigt. Wir haben die Festung wieder instandgesetzt. Wir... ich meine, er kann selbst eine dreifache Übermacht mühelos abwehren. Wir... ich meine, er hat drei Dutzend Männer. Und er weiß, dass die Wache in Dorwida zusammen mit den Söldner, vielleicht sechzig-siebzig Mann zählen wird. Bis Truppen aus Rabuselido, Sisalasido oder aus den umliegenden Festungen hinzugezogen werden, dauert bis mindestens eine Woche. Also wird er es nicht eilig haben."
Gelspand und Ejdarn starren den Mann fassungslos an. "
Drei Dutzend?", fragt die Kommandantin. "
Das ist das Doppelte von dem, was er früher hatte. Du lügst doch!"
"
Nein!", beharrt Bosol. "
Ich lüge nicht. Ich habe mich mit Überlebenden unserer Bande ihm angeschlossen, vor etwas weniger als einem Jahr. Wir allein waren schon ein halbes Dutzend. Und er hat noch andere aufgenommen."
Der Sheriff schüttelt den Kopf. "
Das sind zu viele", murmelt er. "
Selbst wenn wir mit der gesamten Truppe ausrücken, sind das zu viele - sie werden die Festung halten. Und wir können nicht mit der gesamten Truppe ausrücken und Dorwida schutzlos zurücklassen."
"
Wenn wir das Haupttor sabotieren können, dann nützt ihnen die Festung nichts", hält Ejdarn dagegen. "
Dann können wir mit vierzig-fünfzig Mann angreifen."
"
Das ist immer noch zu wenig", antwortet Gelspad. "
Sie haben über dreißig Mann, können sich auch drinnen verschanzen und kennen die Festung. Wir brauchen mindestens siebzig-achtzig Mann und das offene Tor, damit es Sinn ergibt - das weißt du."
"
Wir haben aber keine siebzig-achtzig Mann, Pero!" - die Kommandantin gibt sich sichtlich Mühe, nicht wieder die Stimme zu erheben.
Offensichtlich hat sie mit ihrer Feststellung recht. Gelspad hat darauf nichts zu erwidern. Für einige Sekunden tritt wieder Stille ein. Doch dann spricht Barkas: "
Doch - die haben wir."
Nun schauen alle im Raum zum
Hirogul hinüber. Dieser nickt dem Koraker zu. "
Basilio hat recht - ich muss die Meinen über Desto informieren - ich muss erst einmal zurück nach Kezhdal. Aber diese Männer haben auch die Ukhtark mehrfach angegriffen. Sie sind auch unsere Feinde. Ihr werdet drei volle Tage brauchen, bis ihr bei der Festung seid, die ihr Gulasado nennt. Desto und ich können in zwei Tagen in Kezhdal sein - zwei Tage später stoßen wir mit einer vollen Kompanie der Ukhtark zu euch - achtundvierzig Hopliten und ein Dutzend Kataphrakten. Ihr müsstet nur einen einzigen Tag länger warten."
Ejdarn schaut Barkas ungläubig an. Gelspand neben ihr grinst. "
Ich müsste noch was anderes tun", murmelt die Kommandantin. "
Ich müsste euch vertrauen - so sehr, dass ich euch gehen lasse, obwohl euer Kamerad sich laut Richterurteil noch beweisen muss. So sehr, dass ich einen kostbaren Tag länger warte, bevor ich angreife."
Barkas Kiefer malmen bei diesen Worten. "
Ihr Menschen werdet es nie verstehen. Für euch ist die Ehre nur ein leeres Wort, ohne Bedeutung. Aber nicht für uns. Bezichtige mich noch einmal der Lüge, Weib, und dann vergesse ich, dass du eine Frau bist."
"
Sachte, sachte", mischt sich Gelspad ein und tritt mit erhobenen Händen zwischen die beiden. In die nun entstandene Stille hinein mischt sich das Knarren der Außentür des Raums. Schritte sind zu vernehmen und zwei Gestalten betreten den Raum.
[1] Doch die Aufmerksamkeit aller Anwesenden ist weiterhin auf die beiden Streithähne in ihrer Mitte gerichtet.
Barkas hebt leicht den Kopf. Die Augen sind verängt, der Blick feindselig. "
Das ist mein Angebot. Ich bin nicht an euren Trupp gebunden. Wir werden so oder so die Banditen angreifen. Nehmt unser Angebot an und seid siegreich mit uns. Oder lehnt es ab und sterbt ohne uns am Vortag."