ASHUR
Das 4.837. Jahr seit dem Blutschwur von Adun
Als Aethe langsam, die Hände sichtbar haltend, einen Fuß vor den anderen zu setzen begann und sich auf die beiden Gestalten zubewegte, zuckten diese erst einmal erschreckt zusammen. Doch dann schienen die bedächtigen Bewegungen der Undine doch eine beruhigende Wirkung auszuüben, so dass die beiden Klingenträger, zwar immer noch vorsichtig, doch nun ruhiger, stehen blieben.
Immer weiter näherte sich Aethe den beiden - Schritt um Schritt; Fuß um Fuß. Je näher sie kam, desto besser konnte sie die Gesichtszüge der beiden Männer - so dachte sie jedenfalls - erkennen. Sie blickte auf die gleiche, weiche, ledrige Haut und in die gleichen blau leuchtenden Augen, wie Taram, einige Hundert Fuß von ihr entfernt.
Die beiden Männer trugen mit Metallstücken verstärkte Waffenröcke aus grünlichem Leder. Zwei quer verlaufende Lederstreifen bildeten ein seitlich liegendes Kreuz auf Bauch und Brust und liefen über den Schultern, wohl ebenfalls über Kreuz den Rücken hinab. Grünliche Umhänge hingen den unbekannten Wesen von den Schultern und die Füße steckten in Sandalen, deren Lederriemen sich am Unterschenkel emporwanden und auf halbem Weg zum Knie zusammengeführt wurden.
Immer mehr schienen sich die beiden zu beruhigen, doch sie gaben ihre grundsätzliche Vorsicht nicht auf. Einer machte sogar einen Schritt auf die Undine zu, aber der andere hielt ihn mit leise gemurmelten Worten zurück und deutete dann mit der Hand auf einen der Steine, die Aethe und Taram eben noch bemerkt hatten.
Dann war Aethe nur noch fünfzehn oder vielleicht zwanzig Fuß von den beiden Gestalten entfernt und ließ sich langsam auf die Knie sinken. Jetzt - aus der Nähe - konnte sie Details erkennen, und sie sah, wie ungewöhnlich die Klingen dieser beiden Männer gefertigt waren. Die Klingen hatten keinen Schaft, sondern waren am unteren Ende der Unterarmschützer befestigt - anscheinend mit einem Stift. Die Unterarmschützer liefen von den Handgelenken bis zum Ellenbogen. Aethe vermutete, dass die Klingen durch einen einfachen Mechanismus sich um ungefähr 35-40 Grad nach unten herausklappen ließen - wie sie sie gerade sah - und bei Bedarf wieder in die Unterarmschützer gefahren werden konnten - wo sie wohl vorher waren.
Sie dachte eben über diese Bebachtung nach, als einer der Männer zum anderen schaute und sagte: "Amikor a Drakony! Ő dacol a varázslat! Jön a varázslat!" Die Worte waren nicht laut gesprochen, sondern gemurmelt, doch eindringlich und aufgeregt. Aethe überlegte, ob etwas davon ihr bekannt vorkam:
Drakony? Oder vielleicht
varazslat, das sich zwei Mal wiederholt hatte?
Der andere der beiden schien seinen Kameraden beruhigen zu wollen. Er murmelte ihm ebenfalls etwas zu, dann ließ er die Klingen an seinen Handgelenken in die Unterarmschützer zurückfahren und einrasten und streckte die Hand zu Aethe aus, als würde er ihr diese reichen wollen. "Nem akarjuk, hogy a harc, a világ nahur", sagte er zu ihr gewandt.
Die Undine versuchte auch diese worte zu entziffern, doch plötzlich fiel ihr Blick auf etwas im Gras, was nur wenige Fuß von ihr entfernt lag. Für einen Moment konnte sie nicht erkennen, was es war, doch dann sah sie es und ihre Augen weiteten sich vor Schreck. Es war ein Skelett - der Schädel- und der Körperform nach sah es den Wesen vor ihr ähnlich und es trug auch ein halb verrottetes Lederwams und einen ebensolchen Rock um die Gebeine. Es lag wohl auf dem Rücken und mit dem Kopf in ihre Richtung, mit den Füßen in Richtung der beiden Gestalten. Und es musste wohl schon sehr lange hier liegen, denn die Knochen waren blank und von Wind und Wetter gezeichnet.
Viele Dutzend Fuß hinter ihr stand der Neunte General und beobachtete die Szene aus dem Weiten. Er konnte das Skellet nicht ausmachen und auch nicht die Worte der beiden Gestalten hören, doch er sah, wie die beiden Klingen des einen Mannes in den Unterarmschützern verschwanden. Und er sah, dass Aethe vor etwas, was wohl vor ihr im blauen Gras liegen musste, zurückschreckte. Dann fiel sein Blick wieder auf die in regelmäßigen Abständen platzierten Steine, die einen Halbkreis zu bilden schienen und er realisierte, was die Mitte dieses Halbkreises oder Kreises sein musste - der blaue, pulsierende Kristall hinter ihm. Und er realisierte, dass die beiden Männer gerade Mal zwei Schritt vor einem der Steine standen, sich jedoch keinen Fuß weiter nach vorne wagten.
Einige Hundert Fuß Luftlinie entfernt stand Taram auf und antwortete auf seine direkte Art dem Kapuzenträger auf seinem Reittier. Dann drehte er sich um und lief in richtung der Lichtung zurück. Hinter sich hörte er ein herrisches "Nem!" des Rüstungträgers und - wohl die Übersetzung - ein "Halt!" der anderen Gestalt, die seine Sprache sprach. Dann waren Hufe zu vernehmen und er nahm an, dass die beiden ihm folgten. Der Kapuzenträger erklärte dabei dem anderen reiter neben sich etwas in seiner Sprache, doch Taram war zu weit entfernt und zu unkonzentriert, um die Worte zu hören.
Nur wenige Sekunden später trat Taram aus dem Wald und fand sich ungefähr ierzig Fuß schräg hinter den beiden Männern wieder, die gerade zu Aethe schauten. Er erkannte die Undine auf den Knieen und mit einem erschreckten Gesichtsausdruck etwas im Gras betrachten. Und weit hinter ihr sah er den stahlgepanzerten Tiefling wie eine Statue im blauen Gras stehen und abwarten.
Dann fiel sein Blick auf den von ihm weggebogenen Kreis oder Halbkreis der Steine zwischen den Gestalten und Aethe, doch bevor er sich darauf konzentrieren konnte brachen auch schon die beiden Reiter hinter ihm aus dem Wald.
Der Gepanzerte trieb sein Pferd an ihm vorbei und zu seinen Männern.
"Mi folyik itt?", rief er ihnen zu.
"Dehir nahuri, kapitány. Ők szembeszáll a varázslat!", antowrteten die beiden wirr und leider ebenso unverständlich.
Dann hielt der Kapuzenträger sein Reittier neben Taram an und rief. "Weltenwanderer. Senkt eure Waffen. Wir suchen keinen Streit!"