OK, da muss ich jetzt doch einmal sagen: wenn's ein offensichtlicher Fehler des Spielers war, sollte der Spielleiter den Charakter nicht reinreiten. Jetzt glauben wir Groetus einfach mal, dass es wirklich OFFENSICHTLICH war. Sagen wir mal, er hat vergessen, was beim Spieleabend vor einem Monat gesagt wurde, obwohl es ingame erst zehn Minuten her ist. Oder er hat den Kronprinzen von X mit den Prätendenten von Y verwechselt, was aber seinem Charakter niemals passieren würde, denn er stammt aus X.
Ha puh. Da sagt der SL kurz: "Du, meintest Du das gerade ernst?" und klärt die Sache auf und alles ist gut.
Immer dieses Denken in Strafe und Belohnung! Das sehe ich irgendwie nicht als die Aufgaben des Spielleiters, genauso wenig, wie ich von den Spielern erwarte, alle Regeln und Weltdetails und Plotdetails herbeten zu können wie ein Süddeutscher die Mitternachtsformel.
Aufgaben des Spielleiters (in my most humble opinion):
- Die Spieler vor Herausforderungen stellen, und auch schon mal vor ein echtes moralisches Dilemma.
- Die Spieler immer mal wieder überraschen.
- Auf die Balance unter den Spielern achten, die Spot-light Zeit einigermaßen gerecht verteilen.
Aufgaben der Spieler (immho):
- Ihren Charakter mit Leben füllen, Spaß daran haben, einen stimmigen Hintergrund + Persönlichkeit entwickeln.
- Neugier, sich auf eine Situation ganz einlassen, nicht vorschnell urteilen oder gar rummeckern: öh, das kann doch gar nicht sein.
- Mitdenken und eigene Ideen einbringen, nicht bloß in großer Erwartung dasitzen, dass irgendwer sie schon bespaßen wird.
- In der Gruppe zusammenzuhalten.
Zum zweiten Teil der Frage, falls das überhaupt aktuell ist und nicht schon längst entschieden:
Die Enttäuschung über das Verhalten kann ich gut nachvollziehen (s.u. mein eigenes "Fallbeispiel").
Trotzdem, wenn dies ein Einzelfall war, würde ich deshalb eine ansonsten gut funktionierende Runde nicht aufgeben. Gute Runden sind schwer zu finden und man wird in jeder Runde, nach anfänglicher Begeisterung, bald etwas finden, was einem nicht so passt. Da muss man sich genau überlegen, was sein Punkt oder seine Punkte sind, von denen man einfach nicht abweichen kann, ohne den Spielspaß ganz zu verlieren.
Bei mir ist dieser Punkt zum Beispiel: Als Spieler möchte ich einen Charakter spielen dürfen, auf den ich Lust habe.
Fallbeispiel, wie's bei mir mal lief, worauf ich die Runde (zumindest für anderthalb Jahre) verließ:
SL: Ich möchte eine neue Kampagne anfangen.
ich: Aber es ist doch gerade so spannend! Können wir nicht die alte weitermachen? Wir haben doch schon so viele abgebrochen!
SL (ignoriert Einwand): Ich habe hier ein neues Buch gekauft und hätte jetzt Lust auf ein Asien-Setting.
ich: Asien. Öhm. Mit Asien habe ich es so überhaupt nicht.
SL (hat gar nichts gehört): Ihr spielt alle einen Fighter.
ich (entsetzt): fighter!?
SL: Aus dem neuen Buch hier (*Nine Swords o.s.ä.). Guckt's euch an.
*einige Zeit später, Fighter-Charaktere sind schon gebastelt, durch die verschiedenen Kampfstile eigentlich auch ganz nett...
SL: Ihr beiden (zeigt auf den besten Kumpel nebst Frau) seid die Kinder des Kaisers und damit Thronerben. Ihr beiden (zeigt auf mich + vierten Spieler) seid deren Diener.
ich: *Mund auf, Mund zu, tief Luft holen* Ähm, ich würde meinen Hintergrund ja lieber selbst überlegen. Müssen wir wirklich die Diener sein? Glaubst du, das kann überhaupt funktionieren? Es sollten doch eigentlich alle Charaktere gleichberechtigt sein.
SL: Ihr seid die Diener.
*ich beim nächsten Mal halt einen Dienerhintergrund entwickelt.*
SL: (zu 4. Spieler) Du bist sein (auf Kumpel zeigend) Bodyguard. (zu mir) Du bist ihre (auf Frau des Kumples zeigend) Gouvernante.
ich: Nein.
SL: Doch.
ich: Nein.
SL: Doch.
ich: Ne, komm, bitte, ernsthaft: ich möchte keine Gouvernante sein! Ich hasse Gouvernanten. Gouvernante ist ein ganz böses Schimpfwort bei uns früher gewesen. Das böseste, was ich meine (ältere) Schwester genannt habe, wenn sie mal wieder unausstehlich war: ich möchte echt, ganz ehrlich keine Gouvernante spielen. Alles andere mache ich mit, ich will auch nie wieder in meinen Leben murren oder ein Widerwort geben: aber bitte, bitte, keine Gouvernante!
SL: Du spielst ihre Gouvernante.
ich: OK. Dann halt... tschüss.
Wobei jetzt nicht nur der Gedanke, eine Gouvernante zu spielen, den Ausschlag gab, sondern ich konnte nicht begreifen, dass nicht einmal der bescheidenste, privateste aller meiner Wünsche, nicht einmal die dringlichste Bitte vom SL respektiert wurde. Wie scheißegal muss man einem sein, damit so eine Behandlung dabei abfällt?
Und ja, hm, ich fand's auch enttäuschend, dass die anderen Spieler sich bloß fein rausgehalten haben und nicht einer mal gesagt hat: Mensch, wenn sie doch nun keine Gouvernante spielen will, lass sie doch! Sie hat doch bei allem anderen Ja gesagt und einen schönen asiatischen Fighter gebastelt und alles.
Langer Rede, kurzer Sinn: Ich kann die geschilderte Situation des Spielers sehr wohl verstehen.
[1] Es gibt Dinge, die sind einem halt so unerträglich, dass es keinen Zweck hat, weiter in der Runde zu bleiben.
Gravierende Eingriffe des SL in den Spielercharakter sollten schon einen guten, nachvollziehbaren Grund haben.
Positives FallbeispielEiner meiner Charaktere, der mal wieder ganz zu Beginn eines (enorm wichtigen) Kampfes gestorben war, hat zu Helm (der ihn zu solcher Gelegenheit immer mit Milch und Keksen bewirtete) gesagt - weil ich mich ganz schrecklich gelangweilt habe:
"Hör mal, Helm, du hast mich jetzt schon sieben Mal wieder zurückgeschickt, da wird es Zeit, dass ich dir mal danke! Im Ernst, wenn es irgend etwas gibt, das ich mal für dich tun kann: sag es einfach!"Darauf hat Helm mich - auf der Stelle und eigenhändig, mit Fanfaren und Lichteffekten - als sein Paladin zurückgesandt. Ein Drow-Paladin. Charisma 9. (Und steigern durfte ich ab da an nur noch Paladin.)
Der Wandel, aber, war verdient, und nicht größer als meine Klappe zuvor.
Und der Drow-Paladin hat ganz schrecklich viel Spaß gemacht.