Maniks und Basilios kurzes Wortgefecht löst verwunderte Blicke und Tuscheleien unter den Schützen aus. Auch die beiden Hauptmänner Lugano und Kortika schauen mit einem stummen Lächeln an. Nur die Kommandantin bewanhrt die Fassung, auch wenn Jamir meint, ein angedeutetes Kopfschütteln zu erkennen.
Bei Maniks letztem Kommentar, die Kargi nicht aus Versehen anzugreifen und sie als 'Feinde' zu betrachten, schmunzelt Lugano. "
Aber klar doch!", ruft der Hauptmann sarkastisch.
"
Genug." Es ist die Kommandantin. Sie hat weder allzu laut gesprochen, noch mit besonderer Schärfe. Aber der ruhige Ausdruck schneidet noch besser durch die Luft, als es ein wütender Befehl getan hätte, weil seine Besonnenheit militärische Disziplin transportiert. Lugano nickt und bleibt stumm. Und auch alle anderen Soldaten nehmen unbewusst Haltung an.
Schließlich ist Basilio an der Seite von Ejdarn und fragt nach weiteren Gesprächen mit Bosol. Die Kommandantin nickt. "
Ich hatte vor, euch nach dem Eintreffen den Kargi im Zelt zu unterrichten, aber wir können es auch gleich hier und jetzt machen. Euer Gefangener, hat sich zwar jetzt besser im Griff, singt aber auch weiterhin bereitwillig. Er sagte, es gibt da einen svimohzischen Priester, der wohl bösen Zauber wirken kann, aber ob das wirklich stimmt, müssen wir erst herausfinden. Außerdem meinte er, Sildan hätte noch drei Hauptmänner, die ihm helfen, die Männer zu führen: Gobbo, die Zunge - weil er sich immer über die Lippen leckt beim Sprechen - einen Dejy mit großer Schramme quer über dem Gesicht, einen bärtigen Kämpfer mit Hackennase und feuerrotem Haar, den alle nur "Spada" nennen, obwohl er wohl einen längeren Namen hat, und Aragast - einen drahtigen, brandobischen Söldner aus Mendarn. Er sagt, letzterer ist wohl derjenige, der den besten Draht zu den Leuten hat. Gobbo ist wohl ein Sadist, den alle fürchten. Und Spada - ich zitiere - 'hält sich für was Besseres'."
Basilio folgt den Ausführungen - ebenso die anderen Gefährten. Der Koraker muss feststellen, dass die Kommandantin entweder kein kalamarisch kann, oder dem Spitznamen des einen Hauptmanns nicht viel Bedeutung beimisst. 'Spada' bedeutet im Kalamarischen 'Schwert'. Hackennase und feuerrotes Haar deuten ebenfalls auf eine Herkunft aus dem Kaiserreich. Schwer zu glauben, dass die Kommandantin die Militärtermini der Kalamarer nicht kennt. Anscheinend ist es ihr also egal.
Hat Bosol denn noch etwas anderes erzählt, eventuell über seine Kameraden? "
Nein", antwortet die Kommandantin - dies sei alles gewesen. Der Koraker will eben noch etwas entgegenen, da unterbricht ihn Flannait. "
Da ist etwas", sagt sie. Die von ihrem Vater ererbten, elfischen Sinne, in den Jahren als Kundschafterin weiter geschärft, nehmen das entfernte Dröhnen und Trommeln als erste auf. Einige Augenblicke vergehen, dann kann es auch Sanjan hören.
Wenig später bestätigen es zwei Männer vom provisorischen Ausguck in der Krone einer hochgewachsenen Eiche. "
Sie kommen!", ruft einer der Soldaten. Inzwischen ist das Dröhnen und Trommeln von Dutzenden Füßen und Hufen für alle deutlich zu hören. Die beiden Männer in der Baumkrone - das sieht man Ihnen sogar vom Boden aus an - haben deutlich an Farbe verloren. "
Bei den Göttern!", ruft der andere. "
Na - das nenne ich mal eine Kampfreihe!"
Kortika schaut grimmig herauf, um die beiden Männer zum Schweigen zu bringen. Die Kommandantin hebt einen Arm mit offener Handfläche leicht an. "
Ruhig!", ruft sie, ohne sich umzudrehen, zu den Schützen in
ihrem Rücken.
Dann ist es so weit. Die Phalanx der Kargi bricht aus dem Wald. Die Gefährten - bis auf Flannait und Jamir - durften ein ähnliches Schauspiel schon einmal ansehen. Als sie Jaylin flohen, brachen sie selbst aus dem Dickicht und fanden sich einer Waffenstarrenden Phalanx der Ukhtark gegenüber. Doch es gibt entscheidende Unterschiede. Damals waren nicht die Kargi in Bewegung, sondern sie selbst. Und sie flohen von einer Bedrohung zu Verbündeten. Manik fällt wieder ein, wie ihm dennoch schon damals das Herz kurz in die Hose gerutscht war. Wie ihnen allen. Und nun? Nun entließ der Wald eine Einheit von fast sechs Dutzend kargischen Kriegern aus seinen Schatten. Helmrücken, Schulterschützer und Speerspitzen blitzten in der Sonne auf. Der grobschlächtige Gesang aus Dutzenden Kehlen, die wohl ein Marschlied der Ukhtark schmetterten, erfüllte die Luft. Die harten Schläge von Sandalen und Hufen ließen den boden vibrieren.
"
Was bei den Göttern!", rief Lugano. "
Zu Verteidigung bereitmachen!" Der Hauptmann zug sein Schwert. "
Nein!", schrie Kortika und fiel seinem Kameraden in den Arm, damit dieser die Waffe nicht heben konnte.
"
Halt!" - wieder war es die Kommandantin. Sie hatte nun beide Arme gehoben, mit offenen Handflächen, die nach hinten zeigten. "
Wenn auch nur noch ein einzigen seine Klinge zieht, oder einen Schuss abgibt, ohne direkten Befehl von mir, wird drei Tage lang am Pfahl in der Sonne schmoren!"
Nun brüllt die Kommandantin, aber dass muss sie auch, denn sonst gehen ihre Befehle im atemberaubenden Getöse der Ankömmlinge und den Rufen ihrer Hintermänner unter. So wie die Phalanx der Kargi auf die gakeliten zuhält, ist es ein beängstigender Anblick. Selbst die Gefährten, die bereits mit Barkas gekämpft und im
Muog von Kezhdal gesprochen haben, verspüren den instinktiven Impuls zu fliehen, oder die Waffe zu ziehen. Dennoch - die Worte der Kommandantin verfehlen ihre Wirkung nicht. Wer über die Schulter blickt, stellt fest, dass einige Schützen, die bereits die Bögen gespannt haben, die Pfeile wieder lockerer auf der Sehne halten. Alle sind besorgt, doch keiner gibt einen Schuss ab. Und auch Lugano, lässt den Schwertarm unten.
Dann hebt ein Ukhtark in einer kleinen Reitergruppe, die die Kargi anführt den Arm und ruft
"Itigil!"[1] Und die vier Gefährten erkennen die tiefe, rauchige Stimme sofort - es ist Mago, der
Serogul der Ukhtark. Er führt die Männer an.
Sofort gehorcht die Einheit. Innerhalb eines Lidschlags bleiben die Krieger stehen und nehmen Formation an. Bei Sanjan blitzt der Gedanke auf, dass er nur eine Einheit je hat schneller Befehle aufnehmen und umsetzen gesehen: den Erkundungstrupp der Elfen von Jaylin, unter der Leitung von Shanahan. Doch die Kargi standen diesen seinen Halbbrüdern nur ein wenig nach und schienen disziplinierter, als alle gakelitischen Truppen, die er in den letzten Tagen erlebt hatte. Er wollte nicht erleben, wer in einer möglichen Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Truppen die Oberhand behalten würde.
Nun, da die Kargi plötzlich stillstanden, kehrte auf einmal gespenstische Ruhe ein. Keiner wagte es, etwas zu sagen. Alle starrten nur stumm die Neuankömmlinge an. Ähnlich wie schon damals im Wald, hatten die Kargi einen Trupp von ungefähr vier Dutzend schweren Infanteristen in der Mitte der Schlachtreihe. Die Männer standen in der Tradition der großen Kriege der Vergangenheit und nutzten die selbe Formation, die seinerzeit die frühen kalamarischen Eroberer und auch König Kruk-Ma-Kali - die
Testudo. Die Männer trugen schwere Schulterschützer und Helme, Schutzplatten an den Unterschenkeln und übermannslange Speere. Die ersten drei der vier Raihen konnten mit gesentem Speer angreifen. Sich überlappende Schilde bildeten einen schier unüberwindlichen Wall in der Schlacht. Vor ihnen postiert waren die Plänker, wobei das bei einem Kargi immer noch eine schwere Bewaffnung bedeutete. Ein Dutzend Mann mit Schwert, kleineren Schildern, als die Phalangiten und einem Bogen auf dem Rücken. Zu beiden Seiten der Phalanx stand ein Reitertrupp - je ein Dutzend Mann, bewaffnet mit Schilden, sowie Speeren, Streitkolben oder Langschwertern, auf schweren Rössern. Alles in allem eine tödliche Komposition aus Disziplin und ursprünglicher Wut der wilden Rasse.
Dann richteten die Gefährten ihren Blick auf die fünf Reiter, die den Phalangiten und Plänkern voranritten und die Einheit anführten. In der Mitte und leicht nach vorne versetzt saß Mago auf seinem Ross, in voller Rüstung, jedoch unbewaffnet. Sowohl Schwert, als auch Speer und Bogen waren verstaut. Er nahm den Helm ab, erspähte in der Ferne Sanjan, und nickte ihm zu.
Rechts von ihm erkannten die vier Gefährten die mächtige Statur von Barkas. die wilden locken des
Hiroguls umrahmten sein Gesicht, doch konnten das zufriedene Lächeln nicht verbergen.
Links von Mago saßen zwei weitere Krieger auf ihren Rössern. Auf die Entfernung konnten die Gefährten sie nicht erkennen - sie sahen nur, dass einer noch jung, der andere jedoch schon etwas älter war.
Der letzte Reiter saß ganz rechts auf - neben Barkas. Und besonders Basilios Herz machte einen Satz, als er ihn erkannte. Es war Maru - kleiner und schmächtiger als die vier Männer neben ihr. Neben Barkas - dem breitschultrigen Kämpen - fast schon zierlich. Doch sie saß ebenso stolz und aufrecht auf ihrer Stute, wie die vier Gefährten neben ihr.
Die Einheit der Kargi war in einer Entfernung von gut Hundert Fuß vor dem Lager der Gakeliten zum Stillstand gekommen. Immer noch war es ruhig. Jedes Klirren einer Klinge - jedes Wiehern eines unruhigen Pferdes war zu vernehmen und spielten den überspannten Nerven der Soldaten streiche. Waren die Kargi ebenso angespannt? Das war wohl anzunehmen.
Schließlich noch ein Wiehern - diesmal vom Ross des
Seroguls. Mago ließ sein Reittier langsam nach vorne traben, bis es sich gut zwanzig Fuß vor der übrigen Formation postiert hatte, richtete sich im Sattel auf und zeigte die offenen Handflächen, zum Zeichen, dass er unbewaffnet war. Dann rief der Krieger den Gakeliten seine Begrüßung entgegen: "
Ich grüße die Krieger von Dorwida im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind. Die Ukhtark kommen heute als Verbündete zu euch."