Nach diesem verdammten Tag brauchte Spinner zunächst einmal Abstand zu allem und jedem, und so bekamen die meisten Bewohner der Arche in den darauffolgenden Tagen nicht mehr von ihm mit als ein beständiges Hämmern, Schweißen und Sägen, das aus seinem Wrack nach außen drang. Nur Lulu bekam den Tüftler ab und zu zu Gesicht, wenn er an ihr Fenster klopfte und einige kleinere Geräte, die er gebaut hatte, gegen etwas Nahrung und Wasser tauschte - Lulu konnte gut nachfühlen, dass er gerade niemanden sonst sehen wollte, und so tat sie ihm den Gefallen und verkaufte seine Basteleien an die Bewohner der Arche.
Die kleinen Spielzeuge, die Spinner an Lulu weitergab, waren jedoch nur simple Geräte, die er in den Pausen zwischen seinem eigentlichen Projekt herstellte: der Tüftler wollte endlich herausfinden, wie diese riesigen Stahlungetüme, die einmal Flugzeuge gewesen waren, jemals vom Boden abheben konnten. Wollte er eines Tages etwas ähnliches bauen, musste er verstehen, was diese Flugzeuge in der Luft gehalten hatte - und so baute er ein Modell in kleinem Maßstab, an dem er Experimente vornehmen wollte. Er hatte sich die Wracks auf dem Archegelände genau angesehen und Zeichnungen und Skizzen angefertigt, um die richtigen Proportionen von Flügel und Rumpf zu treffen, und verbrachte nun die meiste Zeit damit, aus Drähten zwei Gittergerüste herzustellen, aus dem einmal die Flügel werden sollten. Die Form der Flügel musste eines der Geheimnisse sein, aber es war sehr schwierig, diese mit den einfachen Werkzeugen, die er besaß, nachzubilden. Das Entscheidende war jedoch vermutlich der Antrieb. So schwer, wie die Maschinen waren, musste dieser gewaltige Kräfte freisetzen - ihn schauderte, wenn er daran dachte, was jemand wie Stonzlach mit solch einer Kraft anfangen würde. Langsam konnte er nachvollziehen, wie es möglich gewesen war, die alte Welt so in Trümmer zu legen.
Das war sein eigentlicher Geniestreich, wie er dachte: Wenn man eine Art umgekehrte Pistole baute, die das Schießpulver kontrolliert und über längere Zeit nach hinten ausbrannte, so musste der Schub das Modell nach vorne katapultieren - und wenn er Recht hatte, die Geschwindigkeit hoch genug war und die Flügel die richtige Form hatten, würde es dabei abheben.
Das war das Ziel, was er mit jeder Sehne seines Körpers verfolgte - bis eines Tages Roy an seine Tür klopft.
Spinner bereut bei seinem Anblick sofort, geöffnet zu haben; Roys Anwesenheit kann nur bedeuten, dass Scarlett etwas von ihm will, denn der Mutant, der sie in die Zone begleitet hat, ist seiner Bossin völlig verfallen und wird keinen Schritt machen, den sie nicht angeordnet hat. Und Scarlett ist bei Spinner unten durch, spätestens seit ihre Leute ihm sein Werkzeug abnehmen wollten, weil "niemand Eigentum horten soll" oder so was in der Art.
Leider ist Scarlett noch die vernünftigste von den drei verbliebenen Bossen. Stonzlach, das wusste jeder, ist ein Arsch. Sadistisch, hohl, quält andere, weil er Spaß daran hat. Und trotzdem, oder gerade deshalb, laufen ihm die Leute hinterher. Grimm, die man kaum sieht, ist völlig durchgedreht, anders kann man es nicht bezeichnen. Und obwohl das für Scarlett irgendwie auch gilt, ist sie immer noch das kleinste Übel.
Wenn Rex noch am Leben wäre ... gut, er hatte keine große Gefolgschaft, aber er war vernünftig. Die Erinnerung schmerzt immer noch - Rex hat sich für sie geopfert. In seinem Tod hat er den beeindruckendsten Beweis geliefert, dass die Arche einen Anführer wie ihn braucht. Und jetzt ist er nicht mehr. Lulu hat ihm bei einem seiner Besuche erzählt, dass sie sofort eine seiner Leute zur neuen Bossin aufgeschwungen hat, Seiren; vielleicht ist sie ja ein würdiger Nachfolger für Rex. Aber kann er jemandem vertrauen, der nicht einmal abwartet, bis Rex' Leiche kalt ist, bevor sie die Macht an sich reißt?
Der Anblick von Roys fuchtelnder Hand, als dieser Spinners Aufmerksamkeit erregen will, holt ihn wieder in die Realität zurück. Scarlett will eine Versammlung mit den anderen Bossen abhalten, und Spinner soll ihnen von ihren Erlebnissen berichten. Zumindest ein Schritt in die richtige Richtung, denn bisher hat ihre Rückkehr außer einer Panik in der Bevölkerung der Arche noch keine Maßnahmen ausgelöst; also sagt er Roy zu.
Nachdem Roy gegangen ist, bricht Spinner seine Arbeiten erst einmal ab; zu sehr schwirren nun wieder sämtliche Gedanken in seinem Kopf umher, die er die letzten Tage verdrängt hat. Und auch wenn das Wirrwarr ihm sehr zu schaffen macht, ein Bild taucht immer wieder auf: Enoch. Ihn wollte er eigentlich zurück holen, und gerade er ist immer noch in der Gewalt der Fremden auf dem Schiff. Alle anderen scheinen sich mit dem Gedanken abgefunden zu haben, dass Enoch entweder tot oder ein Verräter ist, aber Spinner glaubt an keins der beiden. Irgendetwas muss unternommen werden, um Enoch wieder zurückzuholen.
Stonzlach ist Enoch als Vertrauter des Ältesten ein Dorn im Auge, von ihm wird keine Hilfe zu erwarten sein. Kaum mehr erhofft er sich von Grimm und Scarlett. Also bleibt als einzige, wenn auch dünne Hoffnung, nur Seiren.
"Ich muss zu ihr, und sehen, wie sie denkt."
Spinner schnappt sich die Pistole, die er am Tag ihrer Rückkehr gebaut hat. Ein Prachtstück, das ihm, wenn er es verkauft, einige Tage über Wasser halten kann - aber nur wenige würden den angemessenen Preis für so eine Waffe zahlen können. Der perfekte Anlass, um Seiren aufzusuchen, und zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Alleine traut der Tüftler sich jedoch nicht in die Höhle des Löwen. Er war zwar einige Male in Rex' Unterschlupf, aber wer weiß, was sich dort verändert hat, seit Seiren übernommen hat. So stapft er zunächst zu seinem Freund Truknur. Er hat sich zwar ein schlechtes Gewissen, dass er den Hünen seit ihrem Zonenausflug nicht einmal gesprochen hat, nur um ihn jetzt um Hilfe zu bitten, aber der gutmütige Vollstrecker scheint ihm das nicht übel zu nehmen und stimmt sofort zu, mit ihm zu kommen.
Schon beim ersten Eintreten in den Hangar erkennt man die zahlreichen Veränderungen. Anscheinend hatte Seiren es sehr eilig, die Erinnerung an ihren Vorgänger auszulöschen. Als die beiden an Rex' ehemaligen Quartier vorbeikommen, schluckt Spinner. "Wie können sie sein Andenken so mit Füßen treten?"
Mit einem deutlich schlechteren Gefühl und vor sich hin köchelnden Zorn steht Spinner schließlich mit Truknur vor Seiren.
"Hallo Sara, hallo Ashley. Und hallo Seiren. Ich sehe, Du hast keine Zeit verloren, hier alles umzukrempeln. Hast Du Rex wirklich so gehasst?"