Otham fühlt sich schwach, seine Glieder sind taub und kraftlos. Er fühlt wie das Gift in seinen Adern pulsiert und sich eine bleierne Müdigkeit über ihn legt.
Für einen Moment lehnt er sich an eine der gewaltigen Steinsäulen die den breiten Korridor flankieren.
Er blickt hinab auf das längliche Bündel Leinen in seiner Hand und er fühlt den harten Stahl des Schwertes, das darin eingewickelt ist. Das Atmen fällt ihm schwer, er bekommt kaum noch Luft.
Othams Finger tasten nach dem Sternenmesser das von seinem Gürtel baumelt und als er die kühle, silberne Klinge berührt, holt er tief Luft und beruhigt sich ein wenig.
Mit einem Ruck stößt sich Otham von der Säule ab und wankt weiter den Korridor hinunter.
Ein Portal taucht zu seiner linken zwischen den Säulen auf, Otham stolpert hindurch.
Auf der anderen Seite erwartet ihn eine runde Kammer, die von einem Strahl Mondlicht erhellt wird, dass von oben durch eine Öffnung in der Kuppeldecke herein fällt.
Othams Blick gleitet suchend über dutzende von Statuen, die an den Wänden der Kammer in Galerien übereinander gereiht sind. In Marmor gehauen ruhen hier die Erinnerungen an die gefallenen Helden der Kreuzzüge.
Zielstrebig such Otham eine der Statuen aus, eine schlanke Halblingsfrau mit siegessicherem Lächeln auf den steinernen Lippen.
Er weiß, dass dies der Ort ist. Otham holt das in Leinen gebundene Schwert hervor und macht einen Schritt auf die Statue zu.
Auf einmal jedoch stutzt er - Jemand ist hier.
Langsam dreht sich Otham um. Hinter ihm steht ein Dämon in der Gestalt einer schönen, jungen Frau. Der Dämon hat schulterlange, nachtschwarzes Haar und gebogene Hörner. In seinem anmutigen Gesicht sitzen zwei blutrote Augen, die Otham anfunkeln.
Der Dämon lächelt.
"Das ist das Schwert, nicht wahr? Yaniels Klinge. Wie kommt es in deine Hände, Otham?
Warte... du bist nicht Otham, stimmt’s? Du bist... dieser junge Desnit den wir gefunden haben. Dann ist dies womöglich kein Traum, sondern eine Vision? Ist dies dein vorbestimmter Weg?
Du bist ein faszinierender Mann, Otham. Oberflächlich betrachtet bist du nur ein schwacher sterblicher, ein winziger Funke, der kurz flackert bevor er verlischt. Kaum der Mühe wert, möchte man meinen. Dennoch... da ist etwas. Ich spüre eine gewisse Anziehung. Etwas... Besonderes? Ich könnte verstehen wenn es Charisma, Trick oder auch Magie wäre, glaub mir damit kenne ich mich gut aus. Doch das ist es nicht.
Es ist mir unerklärlich. Es sollte nicht sein, verstehst du? Meine Art kennt Derartiges nicht."Der Dämon kommt näher und Otham spürt die Gefahr die von ihm ausgeht. Seine Hand zuckt reflexartig zu dem Sternenmesser an seiner Hüfte und mit einer fließenden Bewegung zieht er die Waffe und schleudert sie auf den Dämon.
Als die Klinge auf das Scheusal trifft, gleitet sie ohne Widerstand durch den Körper hindurch und fällt irgendwo hinten in der Dunkelheit der Kammer klirrend zu Boden.
Der Dämon lacht leise und schenkt Otham ein bezauberndes Lächeln.
"Dies ist ein Traum, Otham. Dein Traum, ich bin lediglich ein Gast. Da wir beide nicht wirklich hier sind, können wir einander nicht verletzen oder berühren.
Das heißt jedoch nicht, dass du in Sicherheit bist. Komm zu mir, Otham."Otham hört die Worte des Dämons und spürt den Zwang der von ihnen ausgeht. Er will sich widersetzen, doch seine Gliedmaßen gehorchen ihm nicht. Ohne Kontrolle über seinen Körper geht er auf das schöne Scheusal zu.
Der Dämon hebt eine feingliedrige Hand und fährt mit seinen Fingern betörend durch Othams Haar.
"Du interessierst mich Otham. Was wünschte ich doch du könntest bei mir bleiben. Ich könnt dir Lust und Freude zeigen, weit jenseits von dem was du je erlebt hast.
Doch leider kann ich nicht zulassen das du dieses Schwert in den Händen hältst. Du und deine Freunde, ihr seid ein unterhaltsamer Haufen. Entgegen aller Widrigkeiten behauptet ihr euch. Ihr wachst an den Herausforderungen die euch entgegen geworfen werden in atemberaubender Geschwindigkeit. Was würde aus euch werden, wenn man euch in Ruhe lassen würde? Würdet ihr unsere Pläne durchkreuzen können?
Noch seid ihr schwach, doch die Augen mächtiger Wesen ruhen auf euch.
Die Flamme muss gelöscht werden, bevor sie eine Feuer entfacht, nicht wahr?
Verzeih mir, Geliebter. Ich werde dich in Erinnerung behalten."Der Dämon leckt sich über die vollen Lippen und nähert sich Othams Gesicht. Ein wundervoller Duft steigt dem Halbling in die Nase und vernebelt seine Sinne. Er sieht nur die tiefen, blutroten Augen des Monsters und dann fühlt er feuchte Lippen auf seinem Mund. Sein Verstand setzt aus, als eine Welle purer Ekstase durch seinen Körper schießt. Otham fühlt sich als würde eine enorme Menge an Energie in seinem Körper anschwellen und ihn dann durch den Mund verlassen.
Die Sicht des Halblings verschleiert sich und sein Blick wandert nach oben, zum Kuppeldach, wo die Sterne im Nachthimmel glimmen. Einige Nachtfalter flattern zwischen den Strahlen des Vollmondes.
Eines der Insekten fliegt wie beiläufig näher und umschwirrt die Köpfe des Halblings und des Dämons.
Plötzlich klärt sich Othams Sicht und er sinkt kraftlos zu Boden. Der Dämon hat offenbar von ihm abgelassen und weicht irritiert zurück. Mehrere Dutzend Motten und Schmetterlinge in schillernden Farben umflattern das Scheusal und lassen sich der Reihe nach auf seinem Körper nieder.
"Was... was ist das? Das ist nicht mein Traum, wie kann es sein das ihr mich berühren könnt? Bei den Fürsten der Finsternis, wie... AAAAH!Der Dämon schreit wie unter Schmerzen auf, als sich immer mehr Falter auf ihm niederlassen. Otham blickt nach oben und sieht eine schillernde Wolke die sich langsam niederlässt und den Dämon einhüllt.
"Aaaah, was tut ihr? Wie ist es möglich? Mein Verstand, meine Essenz! Wer hat derartige Macht? Wer... De... Desna? Ich wollte nicht, ich wusste nicht, ich... Aaaaaaaah!Die Nachtfalter haben den Dämon mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit eingehüllt. Othams Blick jedoch ist starr nach oben gerichtet. Inmitten des Nachthimmels erkennt er die Umrisse von etwas gewaltigem. Nachtschwarze Flügel schlagen lautlos auf und ab und in ihnen glitzern unzählige Sterne. Gefiederte Antennen wippen im Wind und darunter glotzen zwei Augen von der Größe von Wagenrädern.
Obwohl Otham tief unter dem gewaltigen Nachtfalter auf dem Boden liegt, erkennt er sein Spiegelbild in jeder einzelnen Facette der riesigen Augen.
Der Dämon schreit und schreit und dann wacht Otham auf. Der Schrei des Scheusals gellt immer noch in seinen Ohren, als er in die weit aufgerissenen Augen Lisandras blickt. Einen winzigen Moment sieht Otham den roten Schimmer in Lisandras Augen und den Speichelfaden der von ihrem Mund zu seinem reicht, dann springt das Mädchen auf und prallt zurück.
Im Antlitz der jungen Frau steht blanker Terror geschrieben.
"Was war das? Es war in mir, es war tief in meinem Kopf... es..."Lisandra blinzelt und sieht erst Otham und dann die übrigen Helden, die durch den Schrei unsanft geweckt wurden.
"Oh, Mist."