Suri lässt die Behandlung ohne zu murren über sich ergehen. Zwar kann sie den einen oder anderen Schmerzenslaut oder unwillkürliches Zusammenzucken nicht immer vermeiden, erweist sich aber als eine dankbare Patientin, die der Curandera die Prozedur nicht unnötig schwer macht. Vielmehr vermittelt die Reisende gleich den Eindruck, dass sie mit dem medizinischen Vorgehen vertraut ist. Nicht einmal ob des Desinfizierens der Wunde mit Urin rümpft sie die Nase.
"Gewöhnlicher Tag... Suri Leute heilen," lacht die Hijra gedämpft zwischen zwei langen Atemzügen. "Drüben in Königsstadt," sie weist mit einem Daumen in die (vermutete) Richtung von Tenochtitlan, "früher in Schiff, in Zuhause." Als Dank für die Verarztung bietet sie der Mestizin nicht nur freundliche Worte, sondern auch eine Handvoll Tzopelic-Xihuitl-Blätter aus ihren bescheidenen Wegvorräten
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Neben frischen, örtlichen Heilkräutern wartet die wandernde Heilkundige aber auch mit einem exotischeren Mitbringsel auf - einem kleinen duftenden Beutel mit getrockneten und zerriebenen Blättern. Sie bittet die Gastgeberin und den Samurai, einen Aufguss aus dem aromatischen Pulver zuzubereiten.
"Tulsikraut. In daheim, sehr heilig Kraut," erzählt Suri während der abendlichen Rast ihren Zuhörern, indem sie immer wieder zwischen Nahuatl und Japanisch wechselt, teilweise zu ihrer eigenen Verwirrung. "Brahmana in West, reden das Göttin. Göttin Gleichlos. Vielleicht Devas in Kraut? Wissen nicht. Aber wissen Kraut warm und gut wie Mutter für Kind. Stillen schwärende Wunde, schwärende Seele. Nur Ihr nicht sagen Brahmana von West, Suri Tulsikraut habe, ja?" Wenngleich die letzte Bemerkung beiläufig und scherzhaft klingt, zeugt sie doch davon, dass die weitgereiste Heilkundige der ansässigen Priesterin und dem getauften Samurai Vertrauen entgegenbringt
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Schon am nächsten Tag ist die Hijra mit frischer Kraft und Zuversicht erfüllt. Es kostet sie einiges an Selbstdisziplin, sich nicht unnötigerweise zu viel zu bewegen; gnädigerweise erinnert sie der zwar gelinderte, aber immer noch scharfe Schmerz oft genug daran, dass ihr Körper noch Zeit und Ruhe braucht. Als sie jedoch im Lager der aufbruchbereiten Spanier eine Tarantel entdeckt, die gerade dabei ist, in einen abgelegten Helm zu klettern, kann die Reisende nicht anders, als hinzueilen und das Tier friedlich aus dem Lager zu entfernen. Indem sie ein langes Blatt um eine Hand wickelt, vermeidet die Fremdländerin den Kontakt mit den Nesselborsten der aufgeschreckten Spinne. Und auch wenn sie anschließend eine gefühlte kleine Ewigkeit braucht, um ihren Puls zu beruhigen, fühlt sie dennoch, dass sie richtig gehandelt hat
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