Der alte Mann ist sichtlich erleichtert, als El'ssa und auch Sanjan ihre Unterstützung ankündigen. Bei beiden bedankt er sich mit einem Lächeln und einem Nicken. Die beiden brechen ein wenig das Eis mit ihren Zusagen und man kann fast sehen, wie Jaresh eine Last von den Schultern fällt. Siola dagegen schaut Sanjan so lange an, bis der Augenkontakt hergestellt ist. Dann lächelt sie verhalten und formt mit den Lippen ein lautloses "Danke".
Mit Amaaras Worten hat Jaresh anscheinend nicht fest gerechnet. Als die junge Elfe ebenfalls ihre Unterstützung zusagt, schaut er sie einige Augenblicke überrascht an, bevor er dann doch lächelt. "Vielen Dank, Amaara. Ich unterschätze meinen alten Freund leider immer noch - er weiß bis heute, mit welchem Schlag Mensch man sich umgeben sollte. Deine Hilfe wird hoch geschätzt."
Dann steht plötzlich Basilio auf, und beginnt, sein Schreiben zu verfassen. Jaresh und Siola schauen verwundert, sagen aber nichts. Als der Koraker den Zettel an den Hausherren übergibt, faltet dieser selbigen sofort auf und liest. Er schaut dann auf und fixiert Basilio mit den Augen. Für einige Augenblicke wird es still - es ist so, als würde er nachsinnen, abwägen. Kurz bricht er den Augenkontakt ab und schaut zu Siola. Diese schweigt weiter, weiß auch nicht, was im Schreiben steht. Dann kehrt der Blick des alten Mannes zu Basilio zurück und er nickt. "Einverstanden - wenn ihr Erfolg habt und mit ihm zurückkehrt."
Jaresh greift nach seinem Becher, nimmt noch einen Schluck verdünnten Wein. Es scheint, als würde er damit nicht nur sich selbst auf die folgenden Worte einstimmen, sondern auch noch den bisher stumm gebliebenen Tarqetik und Flannait noch einmal die Möglichkeit zum Sprechen geben. Als die beiden diese jedoch ungenutzt verstreichen lassen, deutet der alte Mann dies wohl als vorläufiges Einverständnis, denn er setzt den Becher wieder ab, nimmt den vergilbten Brief in die Hand und beginnt mit leiser Stimme zu sprechen.
"Hud und ich - wir haben gemeinsam an der Universität von Bet Rogala studiert. Daher kannten wir uns. Daher rührte unsere Freundschaft. In den jungen Tagen damals haben wir genug Blödsinn unternommen - mit Wein und Weibern, wie es bei jungen Männern üblich ist. Ich bin jetzt ein alter Mann, aber ich kann mich erinnern. Und er würde sich auch erinnern, wenn er nicht vor zwölf Jahren gestorben wäre."
Jaresh macht eine kurze Pause. Die Augen scheinen für einen Lidschlag nach innen gekehrt, als würden Sie nicht die Anwesenden ansehen, sondern das Abbild des alten Freundes, irgendwo ganz tief im Inneren. "Wir hatten uns damals alberne Spitznamen gegeben. Ich nannte ihn den "torkelnden Löwen", weil er den Wein so schlecht vertrug. Er rief mich den "halbblinden Habicht", wegen meiner Nase, und weil ich beim Lesen immer so nah an die Bücher musste. Wir ersannen eine eigene Geheimsprache - eine Albernheit, zum Spaß. Aber als wir älter wurden, begannen wir einander darin zu schreiben, wenn es um geheime Themen ging. Es gab kein besseres Chiffre - niemand sonst kannte es. Vor einigen Jahren - da Hud lange tot war, hielt ich die Geheimsprache für bedeutungslos - habe ich unsere Spitznamen in einem Gespräch mit Malcus erwähnt. Daher konnte er den gefundenen Brief mir zuordnen und herbringen. Ein Wink des Schicksals - wie gesagt."
Wieder macht Jaresh eine kurze Pause. Dann räuspert er sich, faltet den Brief auf und spricht weiter. Immer wieder schaut er dabei auf den Bogen, aber das muss wohl eine reflexartige Geste sein - er hat diesen anscheinend so oft gelesen, dass er die darin geschilderten Informationen auswendig kennt. "Hud schreibt mir, dass er wenige Stunden vor dem Angriff gewarnt worden sei. Es war keine Zeit mehr, den Haushalt unbemerkt rauszubringen. Das Haus stand schon unter Bewachung. Wäre er hinausgeritten, oder hätte sich sonstwie ungewöhnlich verhalten, wäre der Zugriff sofort erfolgt.
Er schreibt, er habe das einzige gemacht, was ihm blieb, um den Jungen zu retten. Der Kapitän einer Kogge aus Prompeldia war gerade vor Ort im Landesinneren und in seinem Haus. Er hatte wichtige Nachrichten zu überbringen und war daher in der Hauptstadt, während das Schiff an der Küste im Süden lag. Der Mann wurde von zwei jungen Leibsklaven begleitet. Hud hat ihm erzählt, er wolle ihm unbedingt einen der Jungen abkaufen, und wäre bereit, ihm neben einer Entschädigung einen Jungen aus dem eigenen Haushalt zu überlassen. So hat er Siolas Bruder an den Häschern, die das Haus bereits umstellt hatten vorbeigeschmuggelt. Als Sklaven. Er schreibt - er habe dem Kapitän nicht vertrauen können. Der Mann hielt den Jungen wirklich nur für einen Sklaven und glaubte ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Er sagte, er werde ihn wohl auf dem Sklavenmarkt in Prompeldia verkaufen, wenn das Schiff dort wieder ankommt. Dem Jungen selbst hat Hud eingeschärft, niemandem zu erzählen, wer er wirklich ist, sondern sich nur als Sebron, ein junger Sklave aus Pekal vorzustellen. Er sollte warten, bis Freunde ihn in Prompeldia finden und retten."
Bei diesen Worten schluchzt Siola auf und begräbt das Gesicht in den Handflächen. Jaresh hält kurz inne und schaut mitleidig zu der jungen Frau hinüber. "Hud hat auch diesen Brief an mich herausschmuggeln können. Als der Junge weg war, hat er so viele seiner Bediensteten wie möglich unter unverdächtigen Vorwänden rausgeschickt. Sein wichtigster Mann sollte den Brief an mich überbringen."
Auch Jareshs Stimme zittert. Der Mann hat Mühe, die Tränen zurückzuhalten. "Er schreibt, er hoffe die Häscher zu überzeugen, dass sie sich irren. Wenn der Junge nicht da ist, würden sie vielleicht von ihm und seiner Familie ablassen, aber falls es doch nicht funktioniert, schreibt er mir, damit ich mich um den Jungen kümmern kann; ihn in Prompeldia aufspüren und retten kann. Er hat sich dafür geopfert."
Der alte Mann lässt den Brief sinken und fasst sich mit der Linken an die Stirn. Für einen Moment schließt er die Augen. Der Mund verzieht sich, während er die Emotionen wieder unter Kontrolle zwingt. "Entschuldigung", murmelt er schließlich und hebt wieder den Kopf. Das Gesicht ist wieder gefasst, auch wenn es plötzlich älter und müder wirkt. "Er hat sich geopfert, damit ich ihn retten kann, aber der Brief hat mich nie erreicht. Niemand wusste, dass man Sebron, den jungen Sklaven hätte retten müssen. Niemand wusste, wer er wirklich war."
Er greift nach einem anderen Bogen, der vor ihm liegt. Amaara erkennt ihn - das ist die Ladungsliste des Schiffes, die Efet so aufgebracht hatte. Die Ladungsliste, die in den Unterlagen gelegen hat, die sie für Efet aus den Archiven der Goldenen Bank gestohlen hatte. Die der Higo. "Als ich Huds Brief bekam", beginnt Jaresh wieder, "habe ich Malcus sofort nach Prompeldia geschickt, Efet Nachricht zu bringen und ihn zu bitten, zu prüfen, ob ein Sklave Namens Sebron in dem genannten Zeitraum wirklich nach Prompeldia gebracht wurde. Und Efet hat es wohl mit Amaaras Hilfe geschafft. Das ist die Ladungsliste eines Sklavenschiffs - der Higo. Und die besagt, dass ein Sklave Namens Sebron im Jahre 545 der imperialen Zeitrechnung mit dem Schiff nach Prompeldia gebracht und dort auf dem Sklavenmarkt verkauft worden ist. Efet will noch herausfinden, an wen. Ich hoffe, er kann es in Erfahrung bringen, bevor ihr in Prompeldia ankommt. Denn ich will euch damit beauftragen, in die Wüstenstadt zu reisen und ihn zu befreien."
"Ich frage mich, wie viel mein Bruder wohl gekostet hat auf dem Sklavenmarkt", murmelt Siola abwesend.
"Siola...", beginnt Jaresh.
"Nein, wirklich, Onkel. Was zahlt man wohl für so einen jungen, von der Überfahrt abgemagerten Elfjährigen? Wie hat sich wohl der junge Sebron gefühlt, als die neuen Herren den Handel abschlossen und ihn mitnahmen?" Was wie ein Vorwurf klingt, wie die Fortsetzung der sarkastischen Einwürfe von vorhin, ist es diesmal nicht. Der Ton der jungen Frau ist nicht schneidend, nur traurig und kraftlos. Die Fragen sind nicht rhetorisch gemeint, sondern diejenigen, die sie gerade quälen - so sinnlos es auch sein mag, sie an die Anwesenden zu stellen.
Jaresh blickt zu ihr, weiß aber zunächst nicht, was er antworten soll. "Ich denke, er hat sich daran erinnert, dass er in Wirklichkeit nicht Sebron, der Sklave ist", sagt er schließlich. "Ich denke, er hat sich an seinen richtigen Namen erinnert und daran gedacht, dass jemand kommen wird, um ihm zu helfen, der diesen auch kennt - Córrea Gonzales Rúben."