Mehrere Kilometer bohrten sich die deokischen Gipfel in den Himmel. Von ihnen wehte ein kalter Wind herab, der nur selten auf eine kleine Ansammlung von Gebäuden und dampfbetriebenen Maschinen traf, die sich immer weiter in die Seiten des Gebirges fraßen. Bergbaustädte, in denen nur ein paar dutzend Leute lebten. Nicht viele zog es hierher. Agetas war ein recht trostloses Gebiet und viele hielten es dort nur aus, weil sie auf den großen Gewinn und schnelles Geld in Form von wertvollen Metallen und Edelsteinen hofften. Kaum einer hatte dieses Glück und selbst wenn es doch einmal so weit kommen sollte - Eldos Creek und seine Söldner sorgten dafür, dass man das Herrschaftsgebiet mit leichtem Gepäck verließ.
Der Windstrom zog weiter und erreichte schließlich die Ausläufer des Gebirges, in das sich lediglich knorrige Pflanzen gebohrt hatten. Zwischen anspruchslosen Büschen und widerstandsfähigen Moosen gab es hier kaum etwas zu sehen. Dieser Teil Isygars war kaum bewohnt. Ganz anders sah es dagegen bei den steinigen, klippenartigen Küstenlandschaften aus, an denen sich tausende Menschen und Andersartige niedergelassen hatten, um Handel über das Meer zu treiben. So reihte sich hier Hafenstadt an Hafenstadt - eine schlimmer als die andere. Die größte und berüchtigtste Stadt von allen war Morgh. Ein Nest für Schmuggler, Piraten und Händler, das zwischen und auf zwei steilen Klippengebieten erbaut worden war.
Östlich des Gebirges befanden sich die Flusslande, die in die Herrschaftsgebiete Ethera, Andaran und Rhillat aufgeteilt worden waren. Von weiten, grasbewachsenen Ebenen, über feuchte Sümpfe, bishin zu dichten Wäldern fand man hier fast alles. Die südlichen Flusslande waren ein vergleichbar trockenes Gebiet aber dennoch fruchtbar und dadurch die Kornkammer des Landes. Hunderte Bauernhöfe und reihenweise Felder waren hier über Jahrzehnte nach dem Krieg entstanden. Ein Gebiet, in dem man gut leben konnte - solange man die heftigen Schutzgeldzahlungen an Abigale Hoos verrichtete. Andaran war das genaue Gegenteil von Ethera. Durch die zentrale Lage und die beiden Flüsse Tanradis und Virr war dies das Ballungsgebiet des Landes. So befand sich hier auch die Hauptstadt Natahi, die vom selbsternannten König Orville Torrob beherrscht wurde.
Nördlich von Andaran befand sich das unscheinbare Gebiet Rhillat. Dichte Laubwälder und einige Hügel, zwischen denen sich Flüsse wanden, beherrschten das Landschaftsbild. Nur wenige Personen traf man hier an, da dieser Landstrich kaum etwas zu bieten hatte. Einige wenige Dörfer und Holzfällerlager hatten sich dennoch gebildet. Zwischen ihnen gab es nur spärlich Kontakt. So wie die Bewohner dieses Herrschaftsgebietes recht verschlossen und eigenbrötlerisch waren, so waren es auch die Dörfer. Hier drehte jeder sein eigenes Ding und alle, die sich in Rhillat niedergelassen hatten, hatten dies wohl aus einem ganz bestimmten Grund getan. Ob sie Kriminelle auf der Flucht waren oder einfach nur ihre Ruhe haben und ein friedliches Leben führen wollten, war nicht ersichtlich. Selbst die Favilla Siroki, die dieses Gebiet beherrschte, ließ sich nur selten blicken.
Und trotzdem hatte es einige weitere Personen hierhergeführt. In diesen abgeschiedenen Landstrich, der auf den ersten Blick nicht viel zu bieten hatte. Doch sie waren sich sicher, dass sich der Ausflug nach Rhillat lohnen wird, denn ihnen allen wurden ein lohnendes Geschäft und eine üppige Belohnung versprochen. So zog es einen jeden, ob nun Ambacti, Mensch, Favilla oder Gezeichneter, in ein verschlafenes Dörfchen namens Sepo, welches an die Ufer eines kleinen Flusses gebaut worden war.
Noch nicht einmal 100 Bewohner fasste das Dorf. Es war so unscheinbar und unwichtig wie der Rest des Landes. Der technische Fortschritt hatte hier kaum einen Fuß gefasst. Die dampfbetriebenen Maschinen, die Magnetbahn oder Luftschiffe aus den Großstädten fand man hier genauso wenig, wie große Fabrikhallen und Forschungsanlagen. Handarbeit und Muskelkraft waren hier noch wichtigere Faktoren als das Wissen um den Umgang mit Maschinen.
Ob man nun den beschwerlichen Weg über den Rücken eines Lacretas, die hölzernen Sitze einer Kutsche oder doch das Deck eines kleines Handelsschiffchens hierhergefunden hatte: Der Anblick, der sich ein jeder Person zeigte, war immer der gleiche. Ungefähr zwei Dutzend Gebäude standen hier in gebührlichem Abstand zueinander - der Großteil davon direkt an den Fluss gebaut. Es waren vor allem Fischer und Holzfäller, die sich in diesem Dorf niedergelassen hatten. Einen Bootsbauer und Schreiner sollte es auch geben. Der ein oder andere Händler und ein Wirt mit seinem Gasthaus fehlten natürlich auch nicht. Die wenigen Schiffe, die an dem Dorf vorbeikamen, versorgten die Bewohner mit allem, was sie brauchten.
Hier sollten Guillaume, Orville, Hariq, Voris und Bhekk auf eine Person treffen, die ihnen weitere Informationen und eine erste Bezahlung lieferte. Jedem von ihnen wurde einige Tage zuvor die Eckdaten über den Auftrag erzählt und eine saftige Belohnung versprochen, falls sie diesen annehmen sollten. Gleichzeitig gab es einigen von ihnen die Möglichkeit, ihren eigenen Zielen und Ambitionen zu folgen - wie diese auch immer aussehen mochten.
Es war früher Nachmittag und ein angenehm kühler Wind wurde von den Bergen in das Dorf getragen, sodass die Temperaturen gut auszuhalten waren. Einige Männer und Frauen - die meisten davon Menschen und Gezeichnete - wanderten geschäftig durch das Dorf, hackten Holz oder warfen ihre Netze in dem Fluss aus. Aus dem Bootshaus, welches durch einen morschen Steg mit dem Land verbunden war, erklang das geschäftige Kreischen einer Säge aber sonst wurde ruhig gearbeitet. Die Leute im Dorf waren nicht besonders gesprächig, was man schnell herausfand, sollte man sich mit ihnen unterhalten. Selbst zu dieser Zeit war das Gasthaus des Ortes gut besucht. Es war der Treffpunkt aller Dorfbewohner und Reisender. Ein gemütlicher, zweistöckiger, länglicher Holzbau in der Mitte des Dorfes. Dicke, leicht gelbliche Milchglasfenster verhinderten einen Blick ins Innere des Gebäudes. Doch man musste gar nicht hineinsehen, um zu erkennen, dass hier gute Laune herrschte. Lautes Lachen war bereits zu hören, bevor man überhaupt in den Schankraum eintrat. Vielleicht war dies der einzige Ort im Dorf, an dem es nicht so distanziert zu sich ging.
Ein jeder hatte sich hier eingefunden. Ob er gerade erst angekommen war oder schon seit Tagen auf diesen Moment wartete, wusste wohl nur der Wirt des Gasthauses selbst. Der schlaksige Gezeichnete mit den wirren, schulterlangen Haaren und der fleckigen Haut vermietete die Zimmer im zweiten Stock an jeden, der danach fragte. Sie waren recht spartanisch eingerichtet und beschränkten sich auf ein Bett, das eher einer Pritsche glich, einen schmalen Schrank und einen winzigen Tisch neben dem Bett. Nur wenige Quadratmeter groß aber es reichte aus. Dafür war der Schankraum viel gemütlicher eingerichtet. Der Großteil des Raumes wurde von abgenutzten, runden Holztischen eingenommen, an denen sich jeweils vier Stühle befanden. Eine lange Bar, an der der Gezeichnete mit seiner Favillagehilfin arbeitete, füllte den gesamten hinteren Teil des Raumes. In einer Ecke des Raumes befanden sich eine braune Couchgarnitur und einige Spielereien wie eine Dartscheibe und ein Billardtisch. Zwei runde, chemische Lampen verteilten künstliches Licht im Raum, was aber durch einen brennenden Kamin wieder ausgeglichen wurde. Um die zwanzig Leute mussten sich jetzt hier im Raum befinden - ein Teil davon war in Gespräche über die Götter und die Welt vertieft und wieder andere aßen einfach still ihren Fisch oder tranken Bier.
Schließlich traf die Kontaktperson ein. Ein Ambacti, der eine dicke Lederrüstung trug, welche mit weißen Knochenplatten verstärkt worden war. Sowohl ein Schwert, als auch ein Revolver hingen an seiner Hüfte und waren schnell einsatzbereit. Zielgerichtet lief er in die Mitte des Raumes und sah sich dann aufmerksam nach den Leuten um, die er hier treffen sollte. Anscheinend hatte auch er Beschreibungen bekommen, denn er erkannte alle Personen, die für den Auftrag ausgewählt worden waren. Möglichst unauffällig zeigte er mit dem Finger auf Guillaume, Orville, Hariq, Voris und Bhekk, woraufhin diese die geflüsterten Worte "Folgen sie mir bitte." vernehmen konnten und das, obwohl der Mann nicht in ihrer Nähe stand. Nachdem er ein letztes Mal seinen Blick durch den Raum glitten ließ, wandte er sich zur nicht besetzten Couchgarnitur und nahm etwas ungelenk platz.