Hintergrund (Anzeigen)Fornix 13, das Alpha. Fornix 13, das Omega. Hier soll alles beginnen, hier soll alles enden. Ich hasse solche Determinismen. Ich hasse die bloße Idee von irgendeiner Vorbestimmung durch innere und äußere Zwänge. Ich hasse Dogmata, Stigmata und alles weitere, was auf menschlicher oder menschenähnlicher Konstruktion basiert. Insofern hasse ich auch jene Geschichtsschreibung, welche die Welt in Sieger und Verlierer aufteilt und zu behaupten trachtet, dass gewisse Entscheidungen oder das Werden und Vergehen eine kausale Notwendigkeit gewesen sei. All diese Ideen sind für mich einfach nicht tragbar; nichts bleibt unveränderlich. Nichts! Und ein Scheiß ist determiniert!
Dass mein Fornix der Anfang und das Ende hätte sein sollen, ist ein klassischer Lehrsatz meiner Heimat, in der sich alles nur um sie zu drehen hat. Er hat keine Gültigkeit mehr. Weder für mich noch für viele meiner Brüder und Schwestern. Entweder sind sie tot, verkaufen die Produkte des Fornix in alle Welt oder sie haben ihren Horizont erweitert. Aber der Weg dahin war schwer, gerade für jemanden für mich.
Ich war nie ein besonders kräftiger Bursche und im Gegensatz vieler meiner Altersgenossen und Höhergestellten hatte ich auch nicht viel im Kopf. Ich war anfällig für Fantasien, selbsterdachte Vision, für heftigste Prokrastination und jede Form von Eskapismus, welche mich diesen üblen Ort verlassen ließen.
Ich will jetzt nicht ins Detail gehen, was die Stationen meines Lebens angeht. Zumal ich bald 70 Jahre alt werde und dementsprechend viel - aus menschlicher Sicht - erlebt habe. Aber ich fürchte, ein paar Informationen geben zu müssen, um darzulegen, wie ich dazu komme, alles Vorherbestimmte zu verneinen und ihm dort, wo kluge Köpfe ihm zum Helfer werden, in die Suppe kotzen zu wollen.
Fangen wir mit meiner Namensgebung an. Orville ist ein Fantasiename, den mein Vater - Henry - mir gab. Er sollte in irgendeiner Sprache goldene Stadt heißen. Er hatte davon gelesen in den kruden Werken, die seine Vorfahren mit ins Fornix genommen hatten, als der große Krieg ausgebrochen war. Er glaubte, dass dieser Name mir eine goldene Zukunft bescheren würde und auch dem Fornix, von ihm als Stadt identifiziert. Er hoffte also, mich dort in Verantwortung für Prosperität und Wachstum, für Forschung und Entwicklung zu sehen. Deswegen die Verknüpfung mit Henry, was von irgendeiner Protosprache kommt, dort heimirich ursprünglich hieß, und so viel wie Herr des Hauses bedeutet. Diese bedeutungstechnische Dopplung mit kleinen, nuancierten Unterschieden sollte mir helfen, das Schicksal, welches er für mich sah, zu erreichen. Ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass Opium schon immer eine Modedroge der literarischen und künstlerischen Avantgarde gewesen ist und mein Vater ein dem Opium sehr verfallener Liebhaber war. Bis zu seinem frühen Tod - erstaunlicherweise kein Drogentod, aber dazu später mehr - hatte er daran geglaubt, unter dem Dampf seiner Opiumpfeife Ozrum selbst tanzen gesehen zu haben, der ihn aufforderte, mit ihm zu Tanzen. Und wenn er diesen Tanzkontest gewänne, würde er einen Wunsch bekommen, doch der Preis dafür sei, dass er Ozrum diene und mich zu seinem willfährigen Diener erziehe. Das sei der Vertrag zwischen ihnen, für den ich magischen Kräfte verliehen bekäme.
Die Schulzeit war mir außerordentlich unangenehm. Ich war schlichtweg beschränkter gewesen als meine Altersgenossen. Ich hatte kein Gefühl für Sprache, kein Verständnis für die logischen Felder, keine Kreativität für die entsprechenden Schulfächer und mit meiner Sozialkompetenz war es auch nicht weit her. Woran lag das? Ich war ein Verweigerer.
Ich hatte die allgemeine Schulbildung im Fornix, aber auch eine ganze Batterie von Privatlehrern, die sich an mir die Zähne ausbissen. Ich schiss auf Ozrums Vertrag - obwohl er mir bis heute noch herrlich irrsinnig erscheint - und auf die ganz normale Bildung. Diese Bildung hätte mich nämlich zu etwas bestimmten erziehen sollen; das Ergebnis dieser Bildung war determiniert: ich sollte ein verantwortungsbewusster, leicht zu manipulierender Bürger werden, der entweder an der menschlichen Psyche herumschraubte oder wenn er zu wenig Leistung brachte, an dem dann geschraubt wurde. Die Privatlehrer sollten derweil darauf achten, dass ich Ozrum-Gefälligkeit erlangte und meiner Namensgebung entsprechend hart arbeitete, um dieser unausweichlichen Rolle gerecht zu werden.
Ende der Schulzeit hieß die Devise meines Vaters dann, dass ich zu lernen hatte, dass Opfer gebracht werden müssten, um Größe zu erlangen. Dieses Opfer war meine Mutter. Ich kann mit diesen wenigen Worten nicht der Komplexität dieser Situation gerecht werden, und vielleicht werde ich mich dieser Sache eines Tages ausführlicher widmen, aber ich will das kurz skizzieren. Da ich auf dem ersten Bildungsweg nur einen unterdurchschnittlichen Abschluss erzielt hattee, blieb mir neben dem Weg der Laborratte noch die des niederen Laboranten, weil das System es bei uns so determinierte. Mein Vater sah dies jedoch nicht ein, und wieder erschien ihm Ozrum im Opiumdelirium, und sie versicherten sich ihres Vertrages. Mein Vater setzte jetzt alles auf eine Karte - so ließ er es aussehen - und brachte große Opfer: er verpfändete alles, was nicht niet- und nagelfest war, um mich als Schüler in die Obhut von Rickson Jaquenet, unseren Fornixmagier zu bringen. Sein erstes großes Opfer, seiner Meinung nach. Zur selben Zeit erkrankte meine Mutter - Catherine - an einer nur schwer heilbaren Krankheit, die für Hautverfall sorgte. Mein Vater - dem Wahnsinn augenscheinlich nahe - inszenierte es als zweites Opfer: an der Behandlung meiner Mutter sparen, um mein Schicksal zu erfüllen. Soweit so klar, nun hatte ich inzwischen ein Interesse entwickelt, nämlich an der schmutzigen Wäsche von meinen Brüdern und Schwestern und meinen Höhergestellten, die da so mein Leben fleißig determinieren wollten. Ich wurde ein richtige, kleine Spürnase und untersuchte also, wie weit die Opferbereitschaft meines Vaters ging, und jetzt kommen wir zu der Komplexität, die ich andeutete. Freilich war er bereit Opfer zu bringen, die andere eher erlitten als er. Ich fand heraus, dass er ein Gros des erpfändeten Geldes zurückbehielt, um seine Drogenlust zu finanzieren, ich Mr. Jaquenets persönliche Laborratte sein sollte, um seine Magieexperimente auszuführen, wofür mein Vater auch zusätzliche Gefälligkeiten von diesem bekam. Und nebenbei deckte ich so auch weitere, für die Quintessenz nichtige, Interessenkonflikte auf.
Meine Mutter erduldete dies derweil, weil sie ihrem Mann glaubte, dass er es nur gut meinte. Jaquenet nutzte das Ganze derweil für ein anderes Experiment, weil er ein psychisches Feldexperiment dazu machte, wie viel es wohl brauchte, um die Systemeinheit Familie in einem Fornix zu zerrütten, um daraus den Widerstandswillen von Mitglieder dieses Fornix vorhersagen zu können.
Da ich gerade nicht viel Zeit habe, nur ein paar Ergebnisses dieses Lebensstranges: meine Mutter starb an dieser Hautkrankheit. Mr. Jaquenet unterschätzte meinen Widerstandswillen zwar, aber sein Buch "Die Fragilität und die Belastbarkeit der Systemeinheit Familie im Fornix - Ein Fallstudie in 3 Bänden" ist noch immer ein Bestseller. Und ich wurde zum Mörder.
Jaquenet war so sehr mit seiner Studie beschäftigt und vor allem in Band 3 seines Werkes mit dem Sterben meiner Mutter und wie sie trotzdem versuchte, verzweifelt die Familie zusammenzuhalten. Um es nicht zu komplex zu machen, lassen wir meine vier älteren Schwestern und meinen jüngeren Bruder aus der Sache raus; sagen wir einfach, sie bannten Jaquenets Blick. Der alte Magier nutzte mich vor allem als Laboranten - eine Stelle, die ich sehr liebte, da ich schnell lernte, mir psychoaktive Drogen herzustellen, die mich in meinem Eskapismus bestärkten und ihn zunehmend genießen ließen - und so hatte ich zu seinem Laboratorium freien Zugang. Laboratorium und arkanes Studierzimmer waren bei Jaquenet nicht getrennt, und meine schlechte Ausbildung machte ihn glauben, dass er sich nicht um die Verwahrung seiner arkanen Formelsammlungen, Erläuterungsfolianten und Schriftrollen kümmern müsste.
Wut machte mich zu einem dreisten Studenten der Künste. Ich lernte über die Magie des Todes, die der Illusion und naja, all diesen Krams halt. Meine eigentliche Motivation war eine Möglichkeit zu finden, meine Mutter zu retten. Ich fand sie nicht...
Ich determinierte das erste Mal in meinem Leben etwas für mich selbst, als die Wut mich packte. Ich stahl über Wochen Aufzeichnungen über die Herstellung von Psychoaktiva, dem Anpflanzen von den Rohstoffen, natürlichen psychoaktiven Drogen, welche Magie psychoaktive Elemente haben konnte und dergleichen und band sie in ein Kompendium. Dann plante ich einen Fluchtweg. Das Fornix hatte seine Tore inzwischen zu bestimmten Zeiten geöffnet, um mit der Außenwelt Handel zu treiben. Das Fornix hatte sich längst zu einem Fabriklabor entwickelt und produzierte viel für die Außenwelt. Ich brauchte einen Fluchtweg, denn alleine auf meinen Plan stand der Tod, geschweige denn auf seine Ausführung.
Ich war sehr umsichtig und auf Details aus bei diesem Plan. Zuerst heuchelte ich meinem Vater vor eine späte Kehrtwende zu Ozrum zu machen. Wieder und wieder fragte ich meinem Vater nach seiner Erscheinung, weil ich wissen musste, wie Ozrum aussah, wie er sich bewegte, wie er sich verhielt. Da ich in autodidaktischer Weise die Grundzüge magischer Nutzung, dank der erläuternden Kompendien von Jaquenet, erlernt hatte, konnte ich ihn erfolgreich um den Finger wickeln, dass sein Vertrag Bestand gehabt hatte und erfolgreich gewesen ist. Dieses Vertrauen nutzte ich, um mir seine Reserven als Startkapital für die Flucht draußen zu erschleichen, indem ich sie stehlen konnte nach meiner Tat. Ich hatte die entscheidenden Zauber von Jaquenet heimlich gelernt.
Ich schlich also in verschwörerischer Tat eines Abends, an dem die Tore aus dem Fornix offen waren, in die private Opiumhöhle meines Vaters, in der ich ihn in dämmriger Trance fand. Ich wirkte ein stilles Trugbild (Silent Image) der Vision, wie er sich Ozrum vorstellte. Ich erinnere noch wie heute das Erstaunen meines Vaters, als er sich der Gestalt gewahr wurde, die ihn da zu ihm winkte, als wolle sie ihm verschwörerisch etwas flüstern wollen. Mein Vater wankte zu seiner Vorstellung Ozrums, während ich mich auf der Gegenseite postierte und all meine Wut in einen ohrenzerreißenden Schrei kanalsierte (Ear-Piercing Scream), der ihm über diesen Zauber das Bewusstein nahm. Ich schrie meine Wut über den Tod meiner Mutter in sein Ohr bis er daran verreckte. Dann verschwand ich über einen passenden Zauber (Vanish), brachte seine Geldreserven an mich, hinterließ ein paar Spuren, welche die ersten Untersucher dieser Tat auf Jaquenet schließen ließen - zumindest für die ersten Stunden - und floh auf meinem ausgearbeiteten Fluchtweg aus dem Fornix - auf nimmer Wiedersehen.
Eine furchtbare Tat. Den eigenen Vater mit einem Zauber zu töten. Keineswegs eine historisch notwendige Tat, und genauso wenig eine zufällige Tat. Jedoch eine mit weitreichenden Konsequenzen. Sie eröffnete mir einen neuen Blick auf mein Leben und ließ mich meinen eigenen Weg finden, und viel wichtiger, ließen mich aus dem mir prädeterminierten Leben ausbrechen. Ich würde dem Fornix nie Prosperität und Wohlstand bringen, ihn nie führen. Ich würde nie der Diener und gefällige Knecht des Ozrum sein, und niemand verkaufte mich in irgendeines Mannes Dienst, außer ich selbst.
Im Unterbewusstsein hatte sich aber noch etwas tief in mich gebrannt. Während meine Mutter langsam und qualvoll starb - als habe der Tod keine Lust sie zu holen, aber das Leben kein Interesse mehr an ihr - hat mich die Tat an meinem Vater gelehrt, wie schnell und mühelos ein Leben verwirkt sein kann. Das Leid, was ich in den Augen meiner Mutter sah, ließ mich das Sterben fürchten. Die Vehemenz des Todes meines Vaters ließ mich das Leben schätzen. Dass ich in der Magie Jaquenets keine Möglichkeit fand, ihr Leben zu retten, ließ mich spüren, dass auch meinem Leben enge Grenzen gesetzt waren. Der Rahmen - so wurde mir klar - war wieder ein Determinismus meines Lebens. Dass ich auf natürliche Art und Weise sterben würde, selbst wenn ich es nicht wollte, war von mir nicht ertragbar. Ich hasste diesen Zustand. Ich beschloss, dass ich das Gefüge der Magie selbst zerreißen würde, wenn es mich zum Herren über mein Leben werden ließe. Zum Herren über mein Sterben...
Ich könnte dir so viel mehr über Episoden meines Lebens erzählen, habe ich dir doch quasi nur von meinem ersten Tag bis zu meinem 20. Lebensjahr erzählt. Aber ich fürchte, wir haben jetzt nicht die Zeit dazu. Du wirst aber gelernt haben, was mich im Innersten zusammenhält und was mich im Innersten zerreißt. Alles ist erklärbar anhand dessen. Unkonstruierte Wahrheit.
Seit meiner Flucht aus Fornix 13 habe ich die Tage verbracht, wie ich sie zum Teil auch vorher verbrachte. Ich mischte Drogen, rauchte psychoaktive Kräuter und Pilze, um die Zwänge meines Lebens zu vergessen, und wenn ich das nicht konnte, suchte ich nach Lösungen für die Probleme. Und jetzt bin ich 68. Und ich suche immer noch nach dieser einer Lösung, welche mir weder die Magie mit ihrer wunderbaren Rätselhaftigkeit, noch die Philosophie mit ihren Transzendenzgedanken, noch die Religion mit ihren Wiedergeburtsvorstellungen, noch die Medizin mit ihrer wissenschaftlichen Schaffenskraft geben konnte. Aber ich bin ein Mensch im Zwielicht zwischen Leben und Tod, und so langsam sehe ich klarer, je näher mein natürliches Ende kommt.
Ich glaube, ich habe die Lösungen gefunden. Die Alten, in der Vergangenheit, sie waren dieser Frage auch auf der Spur. Ich wette die Qua'kal wissen auch davon. Und sie determinieren mein Leben, indem sie mir es vorenthalten. Das werde ich nicht tolerieren! Ich werde es selbst erforschen und mir das Wissen nehmen, was ich brauche!
Also, warum solltest du mich anheuern? Ich habe dir die Punkte genannt. Ich bin ein Autodidakt und kann mir anlernen, was ich zur Erfüllung meiner Aufgaben brauche. Ich bin magisch begabt und stehe den Magiern oder Hexern, die du kennst, in nichts nach. Ich mach klare Kante, was mit mir möglich ist und was nicht, sodass du keine Katze im Sack kaufst. Ich habe einen guten Riecher für Möglichkeit, bin ein begabter Spürhund, kenne mich mit Alchemie so gut aus wie mit Magie. Wer kann dir das alles bieten? Wer ist belesen und Schatten zugleich? Wer bringt in diesem Alter ein derartiges Feuer mit? Wer verzagt sonst nicht, bei schweren Entscheidungen? Es ist deine Wahl. Ich werde für dich nicht determinieren, wie du zu entscheiden hast. Wir machen das so, wie man es unter Männern macht. Man eröffnet Möglichkeit und lässt sich die Wahl.