"Dein komisches Gefühl—", hatte Sven Blutaxt ihn gefragt.
"Lîfs!" stellte Tristan klar.
"Also gut, Lîfs komisches Gefühl, das hat nicht zufällig etwas mit dem Ziel unserer Fahrt zu tun?" Deutlicher hatte der Drachenführer nicht werden müssen, Tristan verstand auch so, was der Mann ihm unterstellen wollte.
"Weil es ein Kloster ist, meinst du? Weil du glaubst, ich hätte ein Problem damit, Mönche des Einen Gottes niederzumähen?" Er lachte ungläubig. Dann suchte er nach den richtigen Worten. Normalerweise sprach er nicht darüber. Zu Lîf ja, einmal. Dann nie wieder. Vor den Kameraden: niemals. Der alte Ole trat heran, schien gespannt zu warten. Er war damals als einer der ersten in die Kapelle gestürmt, in der Tristan den Gott seiner Kindheit um ein gnädiges Ende bat. Ole war einer von fünfen, zwei davon längst tot, die ihn hatten singen hören an jenem Ort, der nur Stille erlaubte.
"Sieben Jahre lang haben sie mir das Leben zur Hölle gemacht. Sollen sie doch brennen!" rief Tristan. Dann etwas versöhnlicher:
"Aber die Novizen, wenn wir da einen retten könnten, so wie Ole und die anderen mich damals gerettet haben, dagegen hätte ich nichts. Für die meisten wird's zu spät sein, die meisten werden von den Lehren der Mönche schon ganz und gar vergiftet sein. Den schwachen Geist durchdringt diese Lehre nämlich leicht, heuchelt ihm vor, Balsam zu sein, stark zu machen, indem sie ihn von der Last befreit, eigene Entscheidungen treffen zu müssen. Das geht so lange, bis derjenige sich Freiheit nicht einmal mehr vorstellen kann, bis er sich völlig in seine Knechtschaft ergibt und sogar Gefallen daran findet. Aber lass mich versuchen, ob nicht einer wenigstens, oder zwei, zu retten sind."Und falls Sven Blutaxt selbst nach dieser Rede noch Zweifel hegte, so wurden ihm diese in Sundheim ausgetrieben, denn Tristan stürmte ihm zur Seite voraus und Sven sah mindestens drei Mönche unter seinem Schwert fallen und auch beim Plündern und Feuer legen zeigte Tristan nicht das leiseste Zögern oder einen bislang verborgenen Rest an Pietät. Nur den Novizen gegenüber zeigte er Gnade. Sofern sie ihn ließen. Die älteren ließen ihn nicht. Zwei der jüngeren trug er eigenhändig aus dem brennenden Gotteshaus.
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Tristans Tag begann hoffnungsfroh. Sein Weib war gut gelaunt, weil er sich heute Arbeit suchen wollte. Sie heilte ihm die gebrochenen Rippen, ohne ein weiteres Wort über den Vorfall des gestrigen Tages zu verlieren, und der Streit schien fast vergessen. Er selbst konnte sowieso nur daran denken, was sie ihm gestern erst verraten hatte: Vater! Er wurde Vater! Und Lîf lachte über sein Entzücken. Vielleicht sonnte sie sich auch ein wenig in seiner Aufmerksamkeit, obwohl es ihr daran normalerweise eigentlich nicht mangelte. Solange er bei ihr war und nicht auf Fahrt. Wie er ja wohl demnächst wieder sein würde, sollte Ayrin ihn tatsächlich anheuern.
Ich werde um Vorschuss bitten müssen, damit mein Weib so lange in einer Herberge hier in Kromdag unterkommt.Doch dann kam alles anders. Zunächst einmal wollte Lîf ihn zu Fürst Ayrin begleiten, um zu hören, was für ein Auftrag das denn sei. Darin sah Tristan noch keinen Schaden. Er war auch gar nicht der einzige, der eine Frau mitbrachte—dachte er zunächst, obwohl eine der beiden ihn gleich stutzig machte. Eine Elbin? Wie kommt eine Elbin nach Kromdag? Tristan hatte noch nie eine gesehen. Er wusste überhaupt nicht viel über Elben. Einige Lieder kannte er, Märchen, ein Epos. Und natürlich das, was die Mönche von Gotburg erzählten, welche die Elben gleich einmal zu Kreaturen des Bösen erklärten. Allein schon dass diese sich "das erste Volk Gajas" nannten galt als schlimmste Ketzerei.
Der Feind meines Feindes... dachte Tristan daher, ganz allgemein, beim Anblick der Elbin. Von ihr begriff er als erstes, dass sie nicht als Begleiterin eines der anwesenden Männer hier war, sondern weil sie sich selbst für den Auftrag meldete.
Eine Frau auf Fahrt? dachte er spöttisch, noch gänzlich unbesorgt, dass es so weit kommen könnte. Ayrin würde ja wohl kaum eine Frau für diese Mission anheuern. Doch dann tat der Fürst genau das.
Nun, vielleicht weiß er mehr über Elben als ich? Vielleicht ist es bei Elben so üblich? Dann aber schien es so, dass auch die zweite Frau, die Tristan als Begleiterin, vielleicht gar Beraterin des Fürsten eingeschätzt hatte, gekommen war, um sich anheuern zu lassen. Und als Tristan um seinen Anteil am Vorschuss bat, damit seine Frau hier in Kromdag bis zu seiner Rückkehr unterkäme—oder hätte Fürst Ayrin die Möglichkeit, sie derweil sicher unterzubringen?—da meldete sich Lîf mit einem ganz anderen Plan zu Wort, bei dem Tristan die Kinnlade herunterfiel.
"Aldrig! Du bliver her i sikkerhed, Lîf. Husk... du ved, hvad!"[1]Wer den anschließenden hitzigen Streit zwischen den beiden gewann, ließ sich leicht daran erkennen, dass Fürst Ayrin sieben Pferde holen lassen musste, um seine Söldner loszuschicken. Und dieselbe Person, die den Streit gewann, saß auch wesentich besser zu Pferde. Zumindest zu Beginn.
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Während des Rittes hat Tristan kaum Zeit, über seine Lage nachzudenken; es kostet seine ganze Konzentration, um sich auf diesem schaukelnden Etwas festzuhalten. Ein Drache schaukelt natürlich auch, aber wenn man Wind, Wellen und das Wetter kennt, und dazu die Eigenarten des jeweiligen Bootes, so gibt es da selten
unerwartete Bewegungen. Ein Blick übers Wasser zeigt: dort vorn sind die Wellen höher, gleich fährt uns also eine Bö ins Segel! Und man ist vorbereitet. Beim Reiten aber nutzt es absolut nichts, die Landschaft vor sich im Auge zu behalten: das Mistvieh tut, was immer ihm gerade einfällt. Seine nächste Bewegung ist niemals vorhersehbar und dem Steuer gehorcht es nur widerwillig, wenn überhaupt. Umhergeworfen wie auf See nur im wildesten Sturm wird man in seinem Sattel! Immer wieder geht Tristans besorgter Blick zu seiner Frau.
Das kann nicht gut für das Kind sein!Und er hadert mit sich:
Warum habe ich nicht doch versucht, mich beim Kirchenbau anheuern zu lassen! Dann hätte es mich halt meinen Stolz gekostet! Besser den als... als... Den Gedanken will er nicht zu Ende denken, lenkt sich schnell ab:
Und ausgerechnet nach Ansdag sind wir unterwegs, dem unsäglichsten Pfaffendorf von allen! Eigentlich weiß er nicht wirklich was darüber. Die Mönche in Gotburg haben wohl davon erzählt, aber Tristan hat zu der Zeit besonders schlecht zugehört. Mehr, als Talahan erzählt hat—dass der Prophet dort geweiht wurde—weiß er auch nicht.
[2] Vielleicht wurde der ganze Ort ja von einem anderen Insel-Clan niedergebrannt, dann müsste ich sagen: Bravo! Und nicht versuchen, sie zu enttarnen. Was tu ich hier bloß? Warum habe ich nicht darauf bestanden, dass wir bei meinen Fahrtenbrüdern und den anderen Überlebenden bleiben? Meinen Verstand muss ich verloren haben, als ich einwilligte, dass wir zwei allein losziehen!Als Tristan bemerkt, dass seiner Frau die Reiterei doch schwerer fällt, als sie selbst erwartet hat—oder zugeben will!—steigt er wortlos von seinem Pferd und führt beide Tiere am Halfter. Ohne zu fragen, aber auch ohne Vorwurf. (Fast ist er ein wenig froh über diese Ausrede, nicht reiten zu müssen. Aber nur fast. Die Sorge um Lîf überschattet sein Gesicht und seine Gedanken.)
Während der einwöchigen Reise spricht Tristan überhaupt sehr wenig. Wenn, dann mit seiner Frau, mal hitzig, mal beschwörend, mal versucht er es wohl, soweit ein Außenstehender das beurteilen kann, mit zärtlichen Worten, aber immer halblaut und in seiner komischen Sprache, die nur aus Vokalen und kehligen Presslauten zu bestehen schien, bei welch letzteren man sich fragen muss, warum er nicht längst zu heiser ist, um überhaupt noch krächzen zu können.
Eines aber stellt er gleich zu Beginn der Reise klar und jedes Mal von neuem, sollte einer der männlichen Mitstreiter sich seiner Frau allzu nah nähern, und dazu muss Tristan nicht einmal den Mund aufmachen. Er stellt sich nur neben sie, manchmal auch halb vor sie, eine Hand am Knauf seines Sax'
[3], die andere in die Hüfte gestemmt. Sein finster entschlossener Blick erledigt den Rest: Finger weg von meinem Weib!
[4]Der Mut der jungen Frau—gerade mal halb so alt wie ihr Mann wirkt sie—muss wohl bewundert werden. Wie furchtlos sie sich ihm Abend für Abend entgegenstellt und Streit mit ihm sucht. Umgänglichere Männer als der ihre hätten wohl längst zugeschlagen. Vielleicht verlässt sie sich auch ganz auf ihren Zustand? Dass ein Mann seine Frau niemals schlagen wird, solange sie sein Kind unter dem Herzen trägt?
Und so begegnet Tristan auch am siebten Tag dem dunkelhäutigen Mann, der sich als Abdo al'Mbabi vorstellt, mit gewohnt abwehrender Haltung. Als Tristan hat er sich schon in Anwesenheit des Fürsten vorgestellt—dessen Frage nach seinem Clan hatte Tristan mit 'Hjallason' beantwortet—genau wie Abdos Name ihm bereits bekannt ist. Deshalb versteht er nicht so recht, was dieser mit einer erneuten Vorstellung bezweckt. Machte er einen Scherz? Mit einer Schwangeren will er "in die Schlacht" ziehen? Auch dass der Mann sie als "Freunde" bezeichnet, wenn man sich noch gar nicht kennt, kommt Tristan herablassend vor. Andererseits spricht der Mann mit starkem Akzent und sein Aussehen lässt ebenfalls darauf schließen, dass er wohl von sehr weit weg kommt. Vielleicht sollte man erst einmal Sprachschwierigkeiten und eine Unkenntnis der hiesigen Sitten annehmen, bevor man Streit mit ihm sucht. Von Streit hat Tristan nämlich erst einmal genug nach der letzten Woche.
"Wer ist Aris?" Auch er spricht mit einem leichten Akzent. Eigentlich ist es nur die Satzmelodie, die Betonung einzelner Worte, der ein oder andere Laut, der ihm zu tief in der Kehle zu stecken scheint. Das 's' gerät ihm auch ein wenig zu scharf. Zusammen könnte dies daran zweifeln lassen, dass er Suli als Muttersprache gelernt hat.
"Wieso sollte dieser Aris seine Hände schützend über uns halten wollen? Wir kennen ihn doch gar nicht. Und woher täte er die Macht dazu nehmen?"