Kaum ist der Holmgang beschlossen, zerrt Thorstein sein schimpfendes Weib davon. Ja, jetzt auf einmal ist Rike gar nicht mehr still, sondern flucht und fleht und keift in einem fort. Vorhaltungen macht sie ihrem Thorstein: warum hat er die Sache nur vor Gericht gezerrt? Sie habe ihn ja gleich gewarnt! Wolle er tatsächlich mit Björn...? Einen Holmgang...? Das kann er doch nicht ernst meinen! Da hätte er den Vetter doch besser gleich daheim erschlagen. Gerade das wollte er aber doch nicht, warum hat er sich nun also dazu verleiten lassen?—"Ha!" hält Thorsten dagegen, "du hast bloß Angst um Deinen fridleif!"—Nein, um beide Männer sorge sie sich gleichermaßen, einen werde es ja gewiss erwischen, also verliere sie auf jeden Fall einen geliebten Menschen. Und er selbst? Ganz schrecklich vermissen werde er den Vetter, wenn er ihn heute abend erschlüge! Es sei doch alles gut so gewesen, wie es war, aber nein, er musste die Sache ja unbedingt vor das Thinggericht zerren. Das Thinggericht! "Was geht es denn die Leute an, wie wir uns daheim in unseren Betten arrangieren?" hört Lîf sie noch keifen, dann sind die beiden außer Hörweite.
Auf der Thingstätte atmet alles auf—außer Tristan. Mit einem Blick vergewissert er sich beim Jarl, dass er nun wieder an der Reihe ist, und auf das entsprechende Nicken hin wendet er sich abermals den Weiberfeuern zu. Ein wenig blass scheint er Lîf, die Lippen schmal verkniffen, doch findet er sich rasch in seinen Vortrag ein und ist bald wieder ganz die neutrale Stimme des Gesetzes.
"Jetzt zum Erbrecht. Die Witwen bitte besonders aufmerken und auch die Töchter, denen der Vater jüngst starb." Und zu den Männern hinüber: "Gleiches gilt für die Witwer und die Söhne. Und für jeden, der sich sonst noch Hoffnungen auf eine Erbschaft macht!" Doch während der folgenden Rede hat er mehr das Augenmerk auf die Frauen, denn auf die Männer, vor allem auf die vier, die seinem Ruf folgend nach vorne drängen und ihm besonders genau zuhören.
"Wenn es heißt, ein Eheweib sei nicht die Erbin ihres Mannes, so lasst euch davon erst einmal nicht erschrecken, das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Die Sache mit der Erberei ist ein wenig kompliziert, weil da so viele Interessen—oder soll ich sagen: Interessenten!—zusammenkommen. Nun ist es so, dass sich das Hab und Gut eines Mannes grundsätzlich aus drei Teilen zusammensetzt: dem, was er bereits von den Eltern erbte, das nennt sich Allod, dazu das, was er selbst erwarb, und zwar vor seiner Ehe, drittens nämlich das Teil, welches die Ehegatten gemeinsam erwirtschaftet haben. Wie das Allod vererbt wird ist dabei besonders streng geregelt, für alle gleich, da kann der Einzelne nicht dran drehen. Das Allod—was in den allermeisten Fällen den Hof und einen Großteil des Landes umfasst— geht an den ältesten Sohn, fertig. Die weiteren Söhne bekommen das, was der Vater ihnen zuvor zubestimmt hat, was aber nicht vom Allod gehen darf, oder, hat er nicht vorgesorgt, so mögen sie sich den väterlichen Anteil des Zugewinns teilen, also brüderlich im wahrsten Wortsinn. Dieser väterliche Anteil umfasst alles, was der Vater vor der Ehe allein erwarb, und die Hälfte dessen, was er mit dem Eheweib gemeinsam erwirtschaftete. Was ist mit den Töchtern? Die verheirateten haben ja jeglichen Erbanspruch auf das elterliche Hab und Gut aufgegeben, als sie ihren Brautschatz empfingen; die noch unverheirateten stehen von nun an unter der Vormundschaft des ältesten Bruders, dem damit also auch die Aufgabe zukommt, sie anständig zu vermählen. Auch um seine Mutter hat er sich zu kümmern, in diesem Fall muss sie sich also keine Sorgen machen.
Nun kommen wir zu dem Fall, dass ein Mann kinderlos stirbt oder nur Töchter hinterlässt. Nun wendet sich der Blick auf seine Brüder. Gibt es unter ihnen einen, der noch keinen Hof besitzt? Hat der Verstorbene den seinen von den Eltern geerbt? In diesem Fall erbt der Bruder das Allod, also den elterlichen Hof, und übernimmt auch die Vormundschaft für die unverheirateten Nichten, für deren anständige Verheiratung er zu sorgen hat.
Der Witwe des Verstorbenen steht in beiden Fällen ihr Ehepfand zu, welches ich bereits erwähnte, bestehend aus: ihrem Brautschatz, also dem, was ihr Vater mit dem Gatten im Ehevertrag als Witwenerbe ausgehandelt hat, der Heimsteuer, also was der Vater der Tochter mit in die Ehe gegeben hat, und der Morgengabe, was da sind die Geschenke, die der Gatte seinem Weib am Morgen nach der Hochzeitsnacht überreichte. Das heißt also, ich sehe bestürzte Blicke: Nein, es steht euch nicht jeglicher Schmuck zu, den euer Gatte euch irgendwann einmal überreicht hat und den ihr so viele Jahre mit Stolz getragen habt. Dieser zählt erst einmal zur Gesamterbmasse, und ob euch davon etwas zusteht, muss erst noch berechnet werden. An dieser Stelle höre ich oft den Zuruf: Ja, aber... aber... wenn der Schmuck, den ich am Leibe trage, nicht mir gehören soll, wie steht's dann mit meinen Kleidern, wie? Gehören die auch zur 'Gesamterbmasse'? Natürlich nicht. Aber der Schmuck, ausgenommen die Morgengabe, und das habt ihr ja eigentlich stets gewusst, war niemals Geschenk, sondern ein Symbol für euren Stand, eure soliden finanziellen Verhältnisse. Nach außen eure Zahlungsfähigkeit beweisen sollte der Schmuck, in all euren Geschäften als Pfand dienen, in schlechten Zeiten als Notgroschen. So, nach diesen strengen Worten die gute Nachricht: von allem, was während eure Ehe erwirtschaftet oder erworben wurde—Land ist dabei die einzige Ausnahme!—steht euch die Hälfte zu.
Außerdem, stirbt der Mann auf Fahrt, erhält sie von seinen Fahrtenbrüdern den Anteil an der Beute, der ihm zugestanden wäre, zu ihrem Erbgut dazu. Das Eheweib, wohlgemerkt, ganz und gar unabhängig von der Existenz anderer Erben. Niemand außer ihr hat Anspruch hierherauf.
So, nun sind wir fast am Ende. Lasst mich nur rasch noch einige Sonderfälle erwähnen.
Nun kann es nämlich sein, der Verstorbene hat Schulden hinterlassen. Diese können die Gläubiger zurückverlangen, allerdings nicht vom Allod und nicht vom Ehepfand; auf den Zugewinn aber, dem ehelichen wie dem vorehelichen, darauf dürfen Gläubiger Ansprüche erheben.
Oder aber eine Ehe ist kinderlos geblieben und der Verstorbene hat auch keine Brüder. In diesem Fall erbt das Eheweib allein.
Ist zwar ein Sohn vorhanden, dieser aber noch kein Mann, so erbt der Sohn trotzdem, aber die Mutter verwaltet ihm alles, bis er das Mannesalter erreicht.
Eine Möglichkeit der Witwe, ihr Los zu verbessern, will ich noch erwähnen. Sie kann einen der Brüder ihres Mannes heiraten. Dieser erbt dann, so er selbst keinen Hof besitzt, das Allod, ob er nun der nächstälteste Bruder ist oder der jüngste von sieben. Im Fall, dass der Verstorbene Schulden gemacht hat, gehen diese allerdings in seine Verantwortung über, doch die Gläubiger dürfen sie nicht sofort verlangen, sondern müssen ihm eine angemessene Zeit gewähren, die Summe aufzubringen.
So, ich hoffe, ich habe nichts vergessen. Hat jemand noch Fragen?"