Es war ein Tag wie jeder andere in der geschäftigen Stadt Turul, die mit ihrer zentralen Lage und der Nähe zum Meer, zu den wichtigsten und größten Hafen- und Handelsstädten ganz Cossmars gehörte. Träge wanderten einige der, auf der ganzen Welt bekannten, schwebenden Inseln durch die Lüfte und tauchten in unregelmäßigen Abständen die Stadt und das umgebene Land unter ihnen in Dunkelheit. Das hinderte die Bewohner und Besucher Turuls allerdings nicht daran, ihren Beschäftigungen nachzugehen. Sie kamen aus allen Teilen des Kontinentes, da die Hafenstadt ein wichtiger Umschlagplatz für Waren aller Art war. Dazu beherbergte Turul auch noch das Hauptquartier von Taklils Jüngern, die die bekannteste und einflussreichste Forschergilde der bekannten Welt war. Das alles führte dazu, dass die Stadt immer sehr gut besucht war und man so auf die verschiedensten Personen treffen konnte. Natürlich nicht nur Menschen, sondern auch kleine Favilla, die ehemals versklavten Ambacti, wild aussehende Gezeichnete und sogar Gilryn, die sich nur selten aus den Tiefen der Erde an die Oberfläche wagten.
Sie liefen über die breit gepflasterten Wege der Einkaufsstraßen - in deren Mitte sich unzählige Marktstände mit allen Waren, die das Herz begehrte, befanden - tranken in den Pubs - die von dreckigen Absteigen bis hin zu noblen, mit Gold verzierten Saloons reichten - feilschten mit duzenden Straßenhändlern, die überall ihre exotischen Waren feilboten oder waren unterwegs ins Industriegebiet, um die gerade eingekauften Waren direkt weiterzuverarbeiten. Manche waren auch nur auf der Durchreise und diese Personen zog es direkt weiter zu den, in die Wolken ragenden, Türmen des Luftschiffhafens. Es wuselte überall und man hatte zwischen all den Leuten kaum Platz um zu atmen. Der perfekte Ort für Taschendiebe aber auch allerlei anderes Gesindel. Zum Glück war die mit Schlagstöcken und Revolvern bewaffnete Stadtwache stets auf der Hut. Trotzdem konnte sie die Kriminalität, die überall in den Poren der Stadt gedieh, nicht Einhalt gebieten. Es war kein Geheimnis, dass Turul einen der größten Schwarzmärkte des Kontinentes Hebar beherbergte. Wenn man nur lange genug suchte, die richtigen Leute kannte und genug Geld hatte, bekam man hier alles.
Natürlich hatte der technologische Fortschritt vor dieser Stadt nicht halt gemacht. Turul gehörte zu den wenigen Städten, die mit dem Bahnnetz verbunden waren. Es war noch sehr neu und wurde ausgebaut, weshalb nur die wichtigsten Städte Zugang dazu hatten. Riesige, mehrere Meter hohe und bereite Stahlkolosse beförderten sowohl Waren, als auch Personen von Ort zu Ort. Eine magische Verbindung aus Stahl und Kristall erschuf ein starkes Magnetfeld, dass es dem Zug erlaubte, sich auf einer etwa zwei Meter breiten Linie entlang zu bewegen. Zusätzlich wurde Dampfkraft eingesetzt, um die Geschwindigkeit zu erhöhen. So gehörte die Magnetbahn neben Luftschiffen bereits zu den schnellsten Fortbewegungsmitteln der Welt.
In diese Stadt des Fortschrittes hatte es einige Personen gezogen. Sie sahen unterschiedlich aus, verfolgten verschiedene Ziele, kamen aus den unterschiedlichsten Milieus und doch hatten sie zumindest eine Sache gemein: Sie alle wollten sich der Forschergilde anschließen, die hier ihr Hauptquartier hatte. Taklils Jünger. Eine ehrenhafte und alte Gesellschaft, die sich auf die Erforschung der Welt konzentriert hatte. So alt, dass sie sich inmitten der Stadt befand und die Anfänge bereits existiert hatten, bevor Turul überhaupt als richtige Groß- und Handelsstadt gegolten hatte. Der Weg zur Gilde hätte gar nicht ausgeschildert sein müssen, denn das Gelände war so groß und zentral gelegen, dass man es gar nicht wirklich verfehlen konnte. Riesige Gebäudekomplexe ragten hinter einer langen aber vergleichsweise kleinen Steinmauer auf. Doch wie jeder wusste, war diese eineinhalb Meter hohe Mauer nur ein Teil einer viel komplexeren Verteidigungsanlage.
Alle Anwärter - denn um nichts anderes handelte es sich bei den Personen, die der Gilde neu beitreten wollten - mussten das Gelände über einen langen Weg betreten, der direkt ins Herz des Geländes führte. Mitgliedern standen auch andere Eingänge zur Verfügung. Während sie den Weg entlanggingen, konnten sie bereits einige der Gebäude und Bäume betrachten, die sich auf dem Gelände befanden. Kein Baum schien dem anderen zu gleichen - von einer Eiche, bis zur sesbelischen Palme war alles vertreten. Die Gebäude waren schmucklos und eher sachdienlich. Es gab kaum Stuck- oder Holzverzierungen und keine strahlenden Farben, wie es auf der Handelsstraße der Fall war.
Die Gilde war gut besucht. Mitglieder der Gilde, Bewohner der Stadt und auch Reisende liefen umher und verließen oder betraten das Gildengelände. Die Männer und Frauen schienen aus allen Gesellschaftsschichten zu stammen, wenn man einen Blick auf ihre Kleidung warf. Es war bekannt, dass Teile des Geländes auch der Öffentlichkeit zugänglich waren - so zum Beispiel die Bibliothek, welche am Ende des Weges stand und für Anwärter und Besucher der einzige Eingang zum Gildengelände war. Es handelte sich um ein kleines Gebäude. Recht unscheinbar, alt und ein bisschen heruntergekommen. Zwei Männer, in edle, graublaue Gewandungen gekleidet, winkten Neuankömmlinge herein. "Alle Anwärter bitte hier entlang. Wenn sie der Gilde beitreten möchten, dann warten sie im Inneren."
Der schwere Geruch alter Bücher lag in der Luft, als sie die Bibliothek betraten. Fast schon erdrückend schien das viele Wissen auf alle Anwesenden einzuwirken. Obwohl sich hier dutzende Personen aufhielten, war es erstaunlich leise. Irgendetwas brachte die vielen Besucher dazu, still zu sein. Regal reihte sich hier an Regal. Alle gefüllt mit den verschiedensten Büchern. Einige Personen standen vor den Regalen und suchten nach Büchern, andere hatten sich auf einzelne Stühle und Bänke gesetzt und lasen. Doch eine kleine Gruppe von Personen hatte sich in der Mitte des Raumes zusammengefunden. Dort zog es auch schließlich Bhekk, Oreat, Alev, Ignaton und Nereza hin.
Nachdem sie dort von einem Magister der Gilde begrüßt worden waren, wurden einige allgemeine Informationen geklärt. Es wurde etwas über die Geschichte der Gilde, des Geländes und der Bibliothek erzählt, in der sie sich befanden. So soll es sich um das gleiche Gebäude handeln, in dem Taklil studiert und schließlich zu einer Gottheit aufgestiegen war. Ein deutliches Zeichen für jeden Besucher, der etwas mit der Gilde zu tun haben wollte. Nachdem den Anwärtern alles Wichtige mitgeteilt worden war, teilte sich die Gruppe auf. Ein großer Teil spaltete sich ab und verließ die Bibliothek, um das Gildengelände zu betreten. Sie würden sich auf eine zweijährige Ausbildung vorbereiten, um danach als vollwertiges Mitglied gelten zu können. Nur eine kleine Gruppe aus fünf Personen blieb zurück. Sie alle hatten sich dazu entschieden, einen Auftrag auszuführen, um ihren Wert zu beweisen und so in den Rang des Jüngers erhoben zu werden. Es würde sich nur um einige Minuten handeln, bis der Großmeister höchstselbst mit ihnen sprechen und ihnen alles weitere erklären würde.