Sonntag, 30. Gozran 4717 - 05:45 Uhr - The Ash House
Es war am Ende schnell gegangen, geordnet, mit einer gewissen, grimmigen Professionalität, wie man es von Loyalisten des Hauses Thrune erwarten durfte und musste. Der erschlagene Hund wurde in einer der Gruben versenkt, das Pentagramm an der Tür würde seine eigene Drohung fortwährend sprechen und das Blut im Hof würde nicht weiter auffallen. Nicht mehr als weiterer Unrat in einem furchterregend stinkenden Hof.
Alles, was nicht sperrig war, wurde sorgfältig verpackt und eingeladen. Alles andere verblieb am Hof. Denn obwohl das Rohleder und die einfachen Rüstungen vor Ort blieben
[1], war der wirtschaftliche Schaden für den Betrieb immens. Jabral war vorgeworfen worden, seine Steuern nicht zu zahlen. Auf dunklen Pfaden hatte ihm Longacre das heimgezahlt und ihm einen Schlag zugefügt, von dem er - und seine ihm folgenden Veteranen - sich nicht so schnell erholen würden. Eine Tat, die Konsequenzen für Leben hatte, so leichtfertig sie von außen wirken mochte.
So schnell, wie sie in der Nacht gekommen waren, ihren kleinen Clou vorbereitet und dank der beiden Mädchen durchgeführt hatten, so schnell waren sie alsbald wieder verschwunden. Die Spuren waren deutlich genug, zu zeigen, dass jemand hier war. Für das ungeübte Auge jedoch subtil genug, um nicht verfolgt zu werden. Die tonlose Einschüchtern der bereits vergangenen Tat.
Cimri kam nicht umhin, nochmals ihre Bewunderung auszudrücken. Sie sah inzwischen müde aus und dunkle Augenringe verliefen fast bis in ihre Wangen. Trotz ihres jungen Alters sah sie jetzt wie eine überarbeitete Erwachsene aus, doch ihre Worte waren aufrichtig. Sie unterließ ihr typisches Fluchen.
"Ich bin...hätte nicht gedacht, dass ein paar Heuerlinge so schnell eine innere Hierarchie finden und ein Vorgehen. Ich...danke. Das war haarscharf, dass wir das hinbekommen haben. Ich hätte sonst gut Ärger bekommen." In ihren Worten kam jetzt wieder ihre Schüchternheit zu tragen, die sie ob ihrer Müdigkeit nicht mehr verborgen konnte.
Das selbst bemerkend, stieg Trotz in ihr Gesicht und sie wandte ihren Blick zum alten Ash House, vor dem sie sich - wie abgesprochen - getroffen hatten
[2]. Das alte Haus am Rande von Longacre, es machte in den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne einen erbärmlichen Eindruck. Doch woher der Name kam, wurde schnell deutlich. Eine alte, auf einem Ständerwerk stehende Villa, die schon vor Jahren gebrannt haben musste. Sie war verbrannt, aber nicht niedergebrannt. Die restlichen, intakten Glasscheiben trugen alte Rusmuster und ließen kein Blick ins Innere zu. Einstmals hatte die Villa zwei Obergeschosse, doch das Dach und das zweite Obergeschossen waren durch Einsturz eins. Und was von dieser Villa übrig war, sah aus, als könnte es auch jeden Moment nachgeben. Die Narben, entstanden durch das Feuer, entstellten das Haus an allen Seiten. Doch selbst an diesem Ort fand sich neues Leben. Denn durch die Fenster, durch Hitze geborsten, wuchs wilder Efeu, der durch alle Ritzen und Fenster in das zerstörte Haus wuchs. Ein Weg aus zersprungenen Granitplatten führte durch einen löchrigen, weißen Lattenzaun, eine kleine Veranda herauf, zu einer verzogenen Tür, die wohl nur noch mit Gewalt zu öffnen war. Ein stilisierter Wildschweinkopf diente als Türklopfer und gab einen Hinweis darauf, wem das Haus wohl einst gehörte
[3].
Cimri ließ die Heuerlinge, wie sie sie benannt hatte, folgen, ging hinauf zur brüchigen Veranda und stieg durch eines der zerbrochenen Fenster neben der verzogenen Tür. Dahinter lagen zerbrochene und verbrannte Möbel, umgeben von stickiger Luft aus Staub und Asche. In der nördlichen Ecke des Raumes lag ein übergroßer Offiziersmantel, abgetragen und löchrig, der wohl als Bettdecke genutzt wurde. Mehrere leere Whiskeyflaschen
[4] lagen dort herum, um eine Stelle im Boden, die wohl hin und wieder als Feuerstelle benutzt wurde.
"Keine Sorge.", seufzte Cimri Staelish.
"Das ist nur mein Krempel. Wenn ich mal nicht weiß, wo ich eine Nacht unterkomme, dann bleib ich hier."Von einem Durchgang starrten zwei Cherubengel nieder in diesen Raum, der ehemals wohl eine Eingangsdiele gewesen ist. Die Engel schauten in eine in der Morgendämmerung nur schwach beleuchtete Ecke. Dort stand ein alter, runder Beistelltisch, dessen Furnier längst abgeplatzt war. Auf ihm, eine für den Tisch viel zu große Truhe aus dunklem Holz, mit polierten Schließen. Daneben ein aufrecht stehender Sack, in dem etwas langes und steifes war.
Cimri hielt sie nicht lange nicht einer Führung durch das zerstörte Gebäude auf. Die wenigen, halbwegs intakten Überreste ließen auf veraltete Modeerscheinigungen schließen, die mindestens ein paar Dekaden her gewesen ist. An den Wänden hingen verkohlte Bildnisse, die keinen Rückschluss mehr auf den Inhalt der Malereien zuließen. Aber die Größe der Rahmen ließ auf eine wohlhabende Familie schließen. Cimri führte sie direkt die Treppe hoch, die von hier aus in das erste Obergeschoss führte, in dem fast alles zusammengebrochen war. Die Holzkonstruktion der Decke lag offen, löchrig. Hier wellten sich die vergilbten Tapeten und der plankenhafte Holzboden, doch ein Weg zu einer Tür war freigeräumt, weitere Räumlichkeit waren vom Schutt verborgen.
Die junge Staelish ging zielsicher auf die Tür zu, und öffnete sie ruckartig. Sie musste zumindest etwas Kraft aufwenden, denn auch diese formschön, verkohlte Holztür war durch Witterung, Feuer und Nässe verzogen.
Auf dem zweiten Blick sah man auch, dass sie aufgequollene Bücher zur Seite schieben musste. Der Raum dahinter war in einem furchtbaren Chaos. Umgekippte Bücherregale, ein auf dem Kopf stehender Tisch und vier aufgestapelte Stühle, die vom hereinwachsenden Efeu gefesselt waren, suggerierten, dass diese Raum einst als Hausbibliothek gedient haben wird. Überall lagen verbrannte oder aufgequollene Bücher. Es mussten hunderte Bücher sein, an deren Einbandresten erkennbar war, dass es teure und wertvolle Bücher waren, ehe sie der Zerstörung anheim fielen. Kostbares Wissen brannte einfach nieder, und verwässerte durch den Regen, der durch die zerstörte Decke tropfte. An der Westwand waren genügend herabgefallene Bücher zusammengeworfen und gemeinsam zerquollen, und so voller Unrat, dass sie beinahe wie ein Nest wirkten. Und auf dem zweiten Blick. Auf dem zweiten Blick lag dort etwas, was ähnlich aussah wie ein wolfsgroße Raubkatze oder eine Hyäne. Gelangweilt blickte sie zu Cimri und ließ sie und die Gäste in den Raum. Die Katze lag gut verborgen in ihrem Nest, und ihre Ruhe war augenscheinlich nur gespielt. Eine merkwürdiger Riss schien durch die Mitte ihres Gesichts zu gehen, als könnte sie die Haut ihres Gesichts einfach zurückziehen, wenn sie es wollte
[5].
Während das schwarzgepunktete Tier mit cremefarbenen Fell sich weiter in ihrem Nest verbarg und zum Sprung bereit war, ging Cimri auf einen Raumteiler zu, der etwa in der Mitte des Raumes aufgestellt war. Davor standen zwei schimmel-überzogene Ohrensessel, zwischen den Sesseln ein Rundtischchen mit einem Aschenbecher. Das dämmrige Morgenlicht fiel durch die rusigen Scheiben und tauchte das Zimmer in ein violettes, fast noch indigofarbenes Licht. Die Trennwand war aus Papier, wie man es in Minkai kannte. In dem violetten Licht hinter dem Papierschirm tauchte eine schattenhafte Silhouette auf, die vielleicht einem zierlichen, haarlosen Menschen, einem Halb-Elfen oder Elfen gehören mochte.
"Exzellent.", säuselte eine tief-hohe Stimme, die Autorität gewohnt war. Eine Stimme, die dennoch unpassend wirkte, irgendwo zwischen einem erwachsenen Mann und einem kindlichen Mädchen. Schwer einzuordnen, als würde sie mit rauer, männlicher Stimme physisch sprechen und der einer Sechsjährigen in den Köpfen der Abenteurer. Die Stimme im Kopf war eine Nuance eher, ließ es unwirklich wirken. Gefährlich.
"Cimri. Du und deine - noch namenlosen[6] - Partner. Ihr habt euch sehr - gar sehr - zu meiner Zufriedenheit verhalten. Ja..." Die schattenhafte Silhouette legte die Hände zu einer Raute zusammen und hielt sie vor den Kopf und nickte dann auffallend langsam.
"Ja. Ein Zeichen zu setzen, und dem - zukünftigen - Pöbel trotzdem keinen Grund gegeben, wieder mit dem Meutern zu beginnen. Ein guter Start in unserer - wunderbare - beginnende Freundschaft. Ihr habt euch als Personen von - außergewöhnlichem - Potenzial erwiesen und die auf euch wartende Belohnung -un- redlich verdient. Ihr werdet eure - passende - Belohnung[7], unten in der Empfangsdiele in der Truhe und daneben finden. Gemeinsam mit einem dem Anlass würdigen Geschenk. Die Steuerschuld - des Louslik - die dürft ihr zudem behalten! Das ist der Beginn, einer fruchtbaren Zusammenarbeit und ich werde nach eurer - verdienten - Morgenruhe mit einem zweiten Auftrag aufwarten. Wenn ihr diesen zu meiner Zufriedenheit erfüllt..."Jetzt sprach nur die kindliche Stimme in eurem Kopf.
"...wartet Großes auf euch. Sehr großes!"Die Silhouette nickte bedeutungsschwanger, stützte sich auf die Lehnen ihres Stuhles und beugte sich näher an den Papierschirm, fast auffordernd.
"Doch ich wette, ihr habt noch einige Fragen, so nebulös das alles ist. So als Mietklinge hereingezogen zu werden, in Thrunes Zukunft, ohne zu wissen, worum es genau geht und sich erst einmal...beweisen zu müssen. Das ist bestimmt aufreibend, nicht wahr? Als Zeichen meines guten Willens komme ich euch mit einem kleinen Vertrauensbeweis entgegen und sage euch meinen Namen. Razelago. Und ihr dürfte fragen. Vielleicht antworte ich."
Cimri wirkte jetzt nicht verschüchtert, sondern die Figur hinter dem Schirm machte ihr augenscheinlich Angst. Genauso wie das Tier in seinem Papiernest. Cimri lächelte krampfhaft aufmunternd, und machte damit deutlich, dass sie sich zurückhalten würde.